Cover von "Ulle. Jan Ullrich: Geschichte eines tragischen Helden" von Sebastian Moll. © Delius Klasing

Buch über Jan Ullrich: "Geschichte eines tragischen Helden"

Stand: 26.07.2022 12:27 Uhr

Die Tour de France: für Franzosen ein Heiligtum. Einer, der dort 1997 ganz groß herauskam, ist ein gebürtiger Rostocker: Jan Ullrich. Mit ihm hat sich Sebastian Moll in seinem Buch "Ulle. Jan Ullrich: Geschichte eines tragischen Helden" auseinandergesetzt.

von Axel Seitz

2004 - das war die Hochzeit von Doping im Radsport, nur öffentlich darüber reden, es zugeben, das wollte damals kaum einer. Einer, der sich traute, war der Radsportler Jörg Jaksche. Sein Dopinggeständnis glich einer Majestätsbeleidigung:

Es wird oft gesagt, der Radsport sei wie die Mafia, es herrsche eine Omertà. Aber das stimmt nicht. Der Radsport ist schlimmer als die Mafia. Wenn bei der Mafia einer etwas auf sich nimmt, wird er geschützt und entschädigt. Im Radsport zeigen dieselben Typen mit dem Finger auf dich, die dir vorher die Nadel in den Arm gesteckt haben. Leseprobe

Das hat Jörg Jaksche dem Journalisten Sebastian Moll gesagt. Und auch Udo Bölts kommt in dem Buch zu Wort:

Du denkst als junger Fahrer, wenn du erfolgreich bist, dass sich alles um dich dreht, dass du unersetzlich bist. Letztlich bist du nur ein Werbeträger, ein Körper, der ein Trikot durch eine Landschaft fährt. Ich hatte ein schönes, erfolgreiches Leben als Radprofi und ich bin auch mal in die Scheiße getreten. Aber ich habe mich berappelt. Das Leben verläuft halt nicht auf einer Geraden. Leseprobe

Udo Bölts und Jörg Jaksche: Dem Radsport den Rücken gekehrt

Udo Bölts ist heute Förster in Rheinland-Pfalz. Jörg Jaksche war Banker in Australien, lebt heute wieder in Deutschland. "Es sind beides Fahrer, die in einem neuen Leben angekommen sind, die den Abstand zum Radsport gewonnen haben und die sich eine neue Identität geschaffen haben nach dem Spitzensport", erzählt der Autor Sebastian Moll. "Das ist für ehemalige Spitzensportler oft die Schwierigkeit, nicht nur etwas Neues zu tun, sondern sich auch selber in einer neuen Rolle zu begreifen und sich nicht mehr als Spitzensportler zu sehen. Und die beiden haben das auf ihre eigene Art und Weise geschafft. Aber man muss natürlich sagen, dass es für beide eine lange, lange Zeit gedauert hat, und es auch ein sehr, sehr schwieriger Weg war. Das hat für beide zehn Jahre und mehr gedauert."

Sebastian Moll wollte sich eben nicht nur auf Jan Ullrich konzentrieren: "Es ging mir durchaus darum, Strukturen aufzuzeigen - die Strukturen im Profiradsport, vielleicht im Spitzensport insgesamt. Und welche Elemente von diesem System vielleicht diese persönliche Tragödie von Jan Ullrich beschleunigt oder befördert haben. Um das zu zeigen, war es mir wichtig zu zeigen, dass das kein Einzelfall ist, dass seelische Gesundheit im Spitzen- oder im Hochleistungssport fast epidemische Proportionen annimmt." Und so ordnet der Autor das Auf und Ab eines Jan Ullrich ein, zieht Vergleiche zu anderen Spitzensportlern wie dem Fußballer Gerd Müller, dem Schwimmer Michael Phelps, dem Leichtathleten Christian Schenk und viele anderen.

Sebastian Moll: Strukturen im Radsport noch immer die selben

Mittlerweile ist es ein Vierteljahrhundert her, dass erstmals ein Deutscher im Gelben Trikot die Tour de France auf den Champs-Élysées beendet hat. Seither wurde viel geschrieben, berichtet und gesendet - jüngst sehr ausführlich, informativ und beeindruckend in der ARD-Radsport-Doku "Being Jan Ullrich" sowie im Sportschau-Podcast "Jan Ullrich. Held auf Zeit". Für Buchautor Sebastian Moll hat sich allerdings kaum viel verändert: "Die Ära Ullrich/Armstrong wird sozusagen als die Epo-Ära und als die Doping-Ära dargestellt. Ich habe manchmal das Gefühl, man macht es sich ein bisschen leicht damit und sagt: Das war damals - jetzt ist alles besser. Wenn man allerdings genau hinguckt, fragt man sich, wie da irgendetwas besser geworden sein soll, weil die Strukturen und die handelnden Personen im Großen und Ganzen immer noch dieselben sind."

"Ulle. Jan Ullrich: Geschichte eines tragischen Helden" enthält nicht unbedingt spektakuläre Neuigkeiten über den Radsportler Jan Ullrich. Es ist ein lesenswerter Blick von außen, der in das Inneres des Radsports, des Spitzensports allgemein, eintaucht und analysiert.

"Ulle. Jan Ullrich: Geschichte eines tragischen Helden": Kurzweilig und tiefgreifend

Übrigens - nach seinem Toursieg am 27. Juli 1997 stand Jan Ullrich wenige Tage später beim Radrennen "Rund um den Pfaffenteich" am 16. August mit rund 80 Fahrern am Start in Schwerin. "Ich freue mich unwahrscheinlich, dass meine Familie aus Rostock hier angereist ist, fast vollständig, und sehr viele Fans hier an der Strecke", sagte Ullrich damals. "Das ist unwahrscheinlich gut für den deutschen Radsport, auch für den Radsport im Norden. Das hat in den letzten Jahren ziemlich an Wert verloren. Und da freue ich mich natürlich, dass hier gefüllte Straßen sind mit Zuschauern en gros. Ich freue mich einfach auf das Rennen." Und dieses Rennen findet seine Erwähnung, wenn auch knapp, in diesem kurzweiligen, jedoch tiefgreifenden Buch.

Weitere Informationen
Jan Ullrich © Sportschau Foto: Sportschau

Jan Ullrich. Held auf Zeit.

Es ist die Geschichte eines Jahrhunderttalents. Es geht um Schuld, verpasste Chancen und ein Drama, das in drei Leben passt. mehr

Jan Ullrich führt bei der Tour de France 1997 das Fahrerfeld im Gelben Trikot an. © imago sportfotodienst

1997: Als Ullrich die Tour de France gewann

Als erster Deutscher gewann Jan Ullrich 1997 die Tour und wurde in Deutschland zum Star. Ein Blick zurück auf den Sommer 1997. mehr

Rad-Profi Jan Ullrich bei der Tour der France 1997 © imago images / Reporters

Tour-Sieger Jan Ullrich: Tragik eines Grenzgängers

Vor 25 Jahren gewann Jan Ullrich als erster Deutscher die Tour de France. Doch dann versank er im Sumpf aus Doping und Drogen. Wie konnte das geschehen? mehr

Ulle. Jan Ullrich: Geschichte eines tragischen Helden

von Sebastian Moll
Seitenzahl:
180 Seiten
Genre:
Sachbuch
Verlag:
Delius Klasing
Bestellnummer:
978-3-667-12502-6
Preis:
22 Euro €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Kulturjournal | 26.07.2022 | 19:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Sachbücher

Radsport

Fahrrad

Ein Latte Macchiato, eine Brille und eine Kerze liegen auf einem Buch © picture alliance / Zoonar | Oleksandr Latkun

Neue Bücher 2024: Die spannendsten Neuerscheinungen

Unter anderem gibt es Neues von Dana von Suffrin, Michael Köhlmeier und Bernardine Evaristo. mehr

Logo vom NDR Kultur Podcast "eat.READ.sleep" © NDR Foto: Sinje Hasheider

eat.READ.sleep. Bücher für dich

Lieblingsbücher, Neuerscheinungen, Bestseller – wir geben Tipps und Orientierung. Außerdem: Interviews mit Büchermenschen, Fun Facts und eine literarische Vorspeise. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

André Szymanski und Tim Porath in einer Szene © Krafft Angerer/Thalia Theater Foto: Krafft Angerer

"State of Affairs": Fulminante und bitterböse Komödie am Thalia Theater

Regisseurin Yael Ronen ist mit ihrem großartigen Ensemble und "State of Affairs" ein rasanter, kluger Abend gelungen. mehr