"Auto Land Scape" von Michael Tewes: Malerische Autobahn
Kaum jemand glaubt vielleicht, dass Autobahnen einen speziellen ästhetischen Reiz haben. Den Beweis für das Gegenteil liefert der Fotograf Michael Tewes in seinem neuen Bildband "Auto Land Scape".
Eine sattgrüne Wiese mit Bäumen. Durchschnitten wird die Idylle von zwei massiven Autobahnbrücken. Grau und brutal bilden sie einen scharfen Kontrast zur Natur und zum trüben Himmel. Wie zwei deplatzierte Skulpturen stehen in der Landschaft: Schon das erste Foto in Michael Tewes Bildband "Auto Land Scape" zieht uns in seinen Bann, was auch an der ungewöhnlichen Perspektive liegen mag, die der Fotograf gewählt hat. Er hat die Autobahntrassen nämlich von schräg unten aufgenommen.
Michael Tewes zeigt die Autobahn mit null km/h
Um seine ungewöhnlichen Blickwinkel einnehmen zu können, verlässt Tewes die Autobahn und sucht für seine Kamera Standorte neben den Trassen, um nachzusehen, was da sonst noch so ist. Tewes zeigt uns in seinen Fotografien, in welche Umgebungen sich das Straßenbauwerk Autobahn einfügt und was es dort so zu entdecken gibt. Und zwar in hoch-ästhetischen, streng komponierten tableau-haften Bildern. Im Begleittext zum Fotoband schreibt Claudius Seidl:
Michael Tewes betrachtet die Autobahn aus der Perspektive von nullkommanull Stundenkilometern. So wird sichtbar, was bei Tempo 180 unsichtbar bleibt. Leseprobe
"Auto Land Scape": Wenige Autos, viel Bewegungslosigkeit
Nur ganz selten sind Autos auf Tewes Fotos zu sehen. Das menschliche Element hallt in Tewes Bildern allenfalls als Ahnung nach: im Aschenbecher auf einem Tisch an einer Raststätte, in zurückgelassenen Maschinen auf einer Baustelle, an denen kürzlich noch Arbeiter gewerkelt haben müssen, in Reifenspuren auf dem Asphalt, auf dem jemand aus Langeweile mit dem Auto herum gekurvt sein muss.
Menschenleer und bewegungslos. Selbst in den wenigen Fotos, auf denen Fahrzeuge zu sehen sind, scheint jegliches Vorwärtsstreben wie eingefroren. Keine vorbeirasenden Autos, keine gehetzten LKW-Kolonnen. Wer Tewes Fotos betrachtet, hört keine Geräusche vor dem inneren Ohr. Stattdessen erzeugen die Fotos Kontemplation und Ruhe. Ein erstaunliches Phänomen angesichts des Themas.
Fotografien zwischen bedrückend und reizvoll
Autobahnhochbrücken, neben denen benachbarte Siedlungen wie Häuser für Puppen wirken. Asphaltierte Wüstenei neben lieblichen Tümpeln, auf denen Wasserrosen schwimmen. Eine Kuhherde, die unter einer Betonbrücke Schutz vor Regen sucht. Man kann dies entsetzlich hässlich finden. Bedrückend. Es ist aber auch das Gegenteil denkbar. Für Claudius Seidel jedenfalls ist gerade die Brechung von Schrecklichem und Schönem das Reizvolle:
Da, wo Tewes das Außen hineinlässt in die Bilder, krachen die Gegensätze zwischen den wuchernden Pflanzen und der Unbewegtheit der Farben ganz heftig aufeinander, was man als Naturunterwerfung deuten darf. Man muss aber nicht: Man darf es auch lesen als Bewunderung der Kraft, die in diesem Bauwerk steckt. Als Sichtbarmachung der ungeheuren kinetischen Energie, die darin gebunden ist. Leseprobe
Das Malerische im Detail
Unerbittlich landschaftsverschandelnd und zugleich doch anmutig - was einem in den eher landschaftlich geprägten Fotos vielleicht noch als unauflöslicher Widerspruch erscheinen mag, zeigt sich in anderen Bildern gefälliger. Denn im Detail finden sich gerade dort, wo Michael Tewes nah herangeht an die Dinge, überraschend malerische, ja fast heitere Aspekte.
Wie Farbfeldmalerei präsentiert sich etwa eine dreifarbige Schallschutzwand in zarten Grüntönen vor einem grau verhangenen Himmel. In einem anderen Foto lenkt Fotograf Tewes den Blick auf die verwaschene Fassade eines heruntergekommenen Autobahnmotels. Das intensive Blau erinnert an die monochromen Gemälde von Yves Klein. An anderer Stelle findet Fotograf Tewes in einer Reihe knallgelber Bauzäune an einer Autobahnböschung feine grafische Elemente.
Tewes Fotoband schafft etwas Erstaunliches: Er versetzt den Ort permanenter Bewegung, Hektik und des Transits in einen entschleunigten Zustand. Ein an sich unwirtlicher Unort wird zum Punkt des Verweilens - zur Meditation auf eine Welt, die sich im bloßen Vorbeirasen so niemals offenbaren würde.
Auto Land Scape
- Seitenzahl:
- 180 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- Texte von Marietta Schwarz, Claudius Seidl und Thomas Zeller Hrsg.: Nadine Barth
- Verlag:
- Hatje Cantz Verlag
- Veröffentlichungsdatum:
- 2022
- Bestellnummer:
- 978-3-7757-5170-4
- Preis:
- 48 Euro €
