Buchcover: Melissa da Costa - Apfeltage © Penguin Verlag

"Apfeltage": Eine trauernde Frau findet neuen Lebensmut

Stand: 11.04.2023 06:00 Uhr

Mit "Apfeltage" ist Melissa da Costa ein besonderes Buch über Trauer und Glück gelungen, das leicht und bisweilen sogar heiter daherkommt - und doch der Thematik gerecht wird.

von Annemarie Stoltenberg

Die französische Autorin Melissa da Costa ist durch einen Roman berühmt geworden, den einst kein Verlag drucken wollte. Also hat sie "Tout le Bleu du ciel" im Selbstverlag herausgebracht und allein durch Mundpropaganda 200.000 Exemplare verkauft. Zusammen mit der späteren Verlagsausgabe sind es inzwischen 600.000. Nun ist ihr zweiter Roman, "Apfeltage", auf Deutsch erschienen.

Weitere Informationen
Viele Bücher in Regalen in einer Buchhandlung, eine junge Frau steht vor einem der Borde und zieht Bücher heraus © Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Rolf Vennenbernd

Bücher 2023: Diese Romane haben uns bewegt

Ob Juli Zehs "Zwischen Welten", Stuckrad-Barres "Noch wach?" oder Kehlmanns "Lichtspiel" - viele Bücher haben 2023 für Gesprächsstoff gesorgt. mehr

Rückzug aufs Land

Die Hauptfigur dieses Romans heißt Amande. Ihr Hochzeitskleid hängt schon auf dem Bügel im Schlafzimmer und sie erwartet ein Kind, als ihr Geliebter, der nur ganz kurz noch etwas erledigen wollte, bei einem Motorradunfall ums Leben kommt. Im Schock kommt sie ins Krankenhaus und verliert ihr ungeborenes Kind. Sie beschließt, nachdem alles erledigt ist, was zu einem Todesfall dazu gehört, ein Haus auf dem Land zu mieten.

Die schwere Tür mit der abblätternden Farbe gibt nach und schwingt nach innen auf, hin zu Dunkelheit und Kühle. Das Haus muss seit Monaten verschlossen gewesen sein. Ein schwacher ranziger Geruch hängt in der Luft, doch die Kühle macht den unangenehmen Eindruck wieder wett. Ich habe genügend Zeit, die Innentemperatur zu schätzen: 22 Grad, mehr nicht. Perfekt. Ich höre, wie sich der Mann neben mir bewegt, seine kunstlederne Aktentasche auf den Boden stellt. Schlüssel klirren, er steckt sie in die Hosentasche. "Ich suche den Lichtschalter", erklärt er. Folgsam stehe ich im dunklen Flur und warte. Ich habe nichts Besseres zu tun. Leseprobe

Amande möchte sich einfach nur verkriechen. Sie hat ein paar wirklich scheußliche Nahrungsmittel gehortet und möchte bei heruntergelassenen Rollos einfach nur in Ruhe gelassen werden.

Die Zeit verstreicht zwischen den dicken Mauern des alten Hauses. Mir fällt auf, wie still es ist. Es gibt keine direkten Nachbarn. Auch das ist gut. Leseprobe

Der Garten als Trostspender

Nach einigen Tagen im Haus findet sie in einer Küchenschublade das Gartentagebuch der Vormieterin. Offenbar war auch sie Witwe und suchte Trost im Alleinsein. Amande beginnt, sich mit dem Garten zu beschäftigen und das wird zu ihrem Glücks- und Sinnspender. Sie versucht, den Garten zu verstehen und durch das penibel geführte Gartentagebuch zu lernen, wie man ihn pflegt und hütet und wie viel Lebensfreude er verströmen kann. Sie erntet die ersten Kräuter, freut sich an Blüten, erlebt kleine Rückschläge.

Das ist mit einer besonderen Gabe für die kleinen Freuden des Alltags beschrieben von Melissa da Costa. Sie hat Liebe und Verständnis für diesen Garten. Allein die Beschreibung einer Staude, die "Felsenbirne" heißt, entwickelt sich zu einem Fest für die Sinne. Es kommen dann auch Gefährten zurück in Amandes Leben und sie lernt neue Menschen kennen, wie etwa die Tochter der verstorbenen Vormieterin, für die es Trost über den Tod der Mutter bedeutet, dass sich jemand um den Garten kümmert. Behutsam lernt Amande, dass auch die anderen trauern und man es gemeinsam besser hinbekommt als ganz allein.

Melissa da Costa ist ein besonderes Buch über Trauer und Glück gelungen, das ganz leicht, bisweilen heiter daherkommt und doch diesen Themen gerecht wird.

Apfeltage

von Melissa da Costa
Seitenzahl:
352 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Aus dem Französischen von Nathalie Lemmens
Verlag:
Penguin
Bestellnummer:
978-3-328-60291-0
Preis:
22 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 11.04.2023 | 12:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Romane

Ein Latte Macchiato, eine Brille und eine Kerze liegen auf einem Buch © picture alliance / Zoonar | Oleksandr Latkun

Neue Bücher 2024: Die spannendsten Neuerscheinungen

Unter anderem gibt es Neues von Dana von Suffrin, Michael Köhlmeier und Bernardine Evaristo. mehr

Logo vom NDR Kultur Podcast "eat.READ.sleep" © NDR Foto: Sinje Hasheider

eat.READ.sleep. Bücher für dich

Lieblingsbücher, Neuerscheinungen, Bestseller – wir geben Tipps und Orientierung. Außerdem: Interviews mit Büchermenschen, Fun Facts und eine literarische Vorspeise. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Ein Plakat des Filmkunstfestes Schwerin. © Screenshot

Filmkunstfest beginnt in Schwerin - Volker Schlöndorff ist Ehrengast

Für seine Verdienste um den deutschen Film wird der Regisseur bei der 33. Ausgabe des Filmfestivals mit dem "Goldenen Ochsen" geehrt. mehr