"Putins Netz": Die Machtstruktur des russischen Präsidenten
Der Westen reagiert im Ukraine-Krieg mit wirtschaftlichen Sanktionen - auch um die Machtbasis Wladimir Putins zu treffen. Doch wie ist die Machtstruktur des russischen Präsidenten eigentlich aufgebaut? Die Journalistin Catherine Belton beschreibt in "Putins Netz" eine Struktur aus Abhängigkeiten, organisierter Kriminalität und gigantischer Geldwäsche.
Der Westen hat Wladimir Putin immer noch nicht verstanden. Das meint jedenfalls die britische Investigativ-Journalistin Catherine Belton. Der russische Machthaber sei nicht einfach nur ein Autokrat. Vielmehr handele es sich bei seinem Netzwerk um ein mafiöses System, mit Geheimdienst-Strukturen, organisierter Kriminalität und gigantischer Geldwäsche. Das hat Belton für ihr Buch "Putins Netz" bis ins Kleinste recherchiert.
Wladimir Putin: Mentalität aus dem Kalten Krieg

"Anfangs wollte ich nur über die Oligarchen schreiben, die Großunternehmer aus dem engen Umkreis von Putin, die sehr mächtig geworden waren und einen Geheimdienst-Hintergrund hatten", erzählt die Journalistin. "Aber als ich schrieb, wurde nach und nach etwas anderes offensichtlich: Die Frage nach der russischen Einflussnahme im Westen".
Die Fäden von Putins Netz reichen zurück in die Zeit kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als er KGB-Geheimdienst-Offizier in Dresden war. Hier rekrutierte Putin auch verdeckt Agenten bei der Stasi, die später noch im Westen eine Rolle spielen sollten, wie Belton zeigt. "Da liegt der Ursprung seiner Weltsicht, seine Kalter-Krieg-Mentalität", so die Autorin. "Der Westen wird darin als der Widersacher gesehen - und der KGB muss alles daran setzen, ihn zu untergraben und zu spalten."
"Putins Netz": Milliarden-Gewinne und schwarze Kassen
Nach dem Ende des Sowjetreichs wird Putin Vize-Bürgermeister von St. Petersburg. Mafia-Clans beherrschen damals die Geschäfte rund um den Hafen. Putin nutzt sie, um Öl- und Gas-Lizenzen an ein Netzwerk von Tarnfirmen im Ausland zu vergeben. Die Milliarden-Gewinne fließen in schwarze Kassen und in geheime KGB-Zellen im Westen.
"So hat Putin Russland im Grunde bis heute regiert", erzählt Belton. "Er verteilt Schlüsselindustrien an seine engsten Freunde, die meisten haben einen KGB-Hintergrund, viele sind aus St. Petersburg. Sie müssen den erworbenen Reichtum mit dem Kreml teilen. Als Putin und seine Männer dann im eigenen Land genug Macht etabliert hatten, konnte der immense Reichtum, den sie in Steueroasen versteckt hatten, genutzt werden, um westliche Demokratien zu korrumpieren."
London: Russisches Schwarzgeld weißgewaschen
Bestes Beispiel: Großbritannien. Russische Unternehmen gingen gezielt an die Londoner Börse, Oligarchen investierten, kauften, spendeten hier. Der Westen hoffte, dass sich so die liberale Marktwirtschaft und vielleicht auch die Demokratie nach Russland exportieren ließen. Doch stattdessen flutete russisches Schwarzgeld die City und wurde dank der laschen britischen Finanzgesetze weißgewaschen. Niemand musste offenlegen, woher das Geld kam. Belton sagt: Das machte sich Putin zu Nutze. "Es ist sicher, dass die meisten dieser Geldwäsche-Projekte von der höchsten Ebene der russischen Sicherheitsbehörden überwacht wurden. Jeder dieser Banker, die Schwarzgeld-Konten im Ausland führten, wurde von Russland gesteuert."
Wie Putin mit aufmüpfigen Oligarchen umgeht, haben die Fälle Michail Chodorkowski und Boris Beresowski gezeigt. Der Energiemagnat Chodorkowski, einst der reichste Mann Russlands, war über die Frage der Korruption mit Putin aneinandergeraten. Er wurde wegen Steuerhinterziehung und Unterschlagung zu zehn Jahren Haft verurteilt.
"Der Kreml hat das russische Justizsystem untergraben"

Der Moment, als Chodorkowski ins Gefängnis musste, sei ein Wendepunkt gewesen, so Belton. "Von da an begann der Kreml, das Justizsystem zu untergraben, also den Richtern zu sagen, welches Urteil sie im Fall Chodorkowski zu fällen hatten. Und das wurde ganz genau zur Kenntnis genommen von den anderen Oligarchen."
Die Liste der Vergehen, die mit Putins Netz in Zusammenhang gebracht werden, liest sich beunruhigend: Es geht um Rechtsbeugung, Erpressung, illegale Konten und staatliche Machtausübung wie bei der Mafia, wo Abtrünnige bestraft werden. Der Ex-KGB Offizier Alexander Litwinenko wurde mit Polonium vergiftet. Der Agent Sergei Skripal, Informant für westliche Geheimdienste, überlebte nur knapp einen Giftangriff. Wie der Ex-Oligarch Beresowski in London starb, wurde nie geklärt.
Catherine Belton: Westen trägt Mitschuld
Wie konnte es so weit kommen? Der Westen trägt eine Mitschuld, glaubt Catherine Belton. Lange Zeit schaute man nicht nur im Londoner Bankenviertel bewusst weg, wenn es um russisches Geld und Einflussnahme ging. All das hat längst schon Wirkung gezeigt, um aktiv westliche Politik zu beeinflussen. Auch das belegt Belton detailliert.
Beträchtliche Summen flossen in Propaganda zugunsten der Brexit-Kampagne und in die Verbreitung von Fake News - nicht nur in Europa. Schon vor Jahrzehnten konnte in den USA der Unternehmer Donald Trump mehrfach dank russischer Investoren der Pleite entgehen. Russisches Geld spielte wahrscheinlich später auch eine Rolle bei seinem Wahlsieg.
Vier Oligarchen haben Autorin Catherine Belton verklagt
In ihrem Buch folgt Catherine Belton der Spur des Geldes. Dafür wurde sie von gleich vier Oligarchen verklagt. Belastende Passagen sollten wegfallen. "Zum Glück stärkte mir mein Verlag Harper Collins den Rücken", so die Autorin. "Wir erreichten Einigungen in allen Streitfällen. Der Staatskonzern Rosneft musste die Klage sogar zurückziehen, weil die Vorwürfe so lächerlich waren. Ich bekam viel Unterstützung von den Medien und wenn man mich körperlich angreifen würde, würde das wirklich nicht gut für sie aussehen."
Beltons Buch "Putins Netz" ist eine akribische, furchtlose Recherche. Sie kommt zur richtigen Zeit.
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