Stand: 17.05.2019 11:11 Uhr

Bildband über Milein Cosmans Zeichenkunst

von Martina Kothe

Es geht um eine Künstlerin, die vielleicht Musikliebhabern bekannt ist, weil sie Musiker so großartig und einfühlsam gezeichnet hat. Emilie Cosman, genannt Milein. Die 1921 in Gotha geborene Zeichnerin wuchs in Düsseldorf auf und emigrierte 1939 nach England. Dort studierte sie Kunst und lernte ihren Ehemann, den österreichischen Musiker und Musikwissenschaftler Hans Keller, kennen. Sie zeichnete viele zeitgenössische Musiker und Komponisten, darunter Berühmtheiten wie Igor Stravinsky, Wilhelm Furtwängler und Mstislav Rostropovich; aber auch Politiker wie etwa Konrad Adenauer.

Milein Cosman hat schon als Kind leidenschaftlich gezeichnet

Das Zeichnen, das Festhalten des Augenblicks, gehört schon von frühester Kindheit zum Leben von Milein Cosman. Sie zeichnet alles, was sie sieht. Auch in der Schule unter der Bank. Sie sagt: "Sie gaben es auf, mir das zu untersagen. Das Zeichnen war für mich eine Obsession. War auch gut, denn ich war begabt."

Als Illustratorin und kongeniale Zeichnerin macht sich Milein, die eigentlich Emilie heißt, ab den 1950er-Jahren einen Namen. Stück für Stück reduziert sie die Striche, schmückt immer weniger aus. Je mehr ihre Bilder an Detailreichtum verlieren, desto genauer werden sie im Ausdruck.

Wie etwa bei der Zeichnung "Der Mann mit dem Korb" aus dem Jahr 1950. Verwischte Linien und Flächen aus schwarzer Tusche bannen die Rückenansicht eines Mannes aufs Papier. Er scheint sich gerade erst vom Betrachter abgewendet zu haben - sein Fuß ist noch in der Drehung, der Blick geht schon in die weite leere Fläche.

Reduzierte Zeichnungen ohne Ausschmückungen

Äußerst selten deutet Milein Cosman einen Hintergrund an. Die Tänzer, Musiker, Schauspieler oder Politiker, die in den Bann ihres Blickes, ihres Stiftes geraten, scheinen zu schweben. Raum-, zeit- und ortlos.

Ortlos wie sie, die zwar nach dem Zweiten Weltkrieg in England bleibt - aber viel reist und die Landschaft ihrer Kindheit nicht vergessen kann, wie sie erzählt: "Das ist meine Kindheit: der Rhein, der Niederrhein. Flach, schön. Riesenhimmel, Schiffe. Ich habe es geliebt und bin immer auf dem Fahrrad den Rhein entlang gefahren."

Milein Cosman gewöhnt sich an, sehr schnell zu zeichnen und findet so zu einem unverwechselbaren Ausdruck. Die Menschen auf ihren Bildern sind ganz Bewegung, sind ganz im Moment. Igor Stravinsky etwa, den sie 1959 in einer Serie mit Tusche zeichnet.

Cosmans Musikerzeichnungen lassen die Musik hören

Auf dem ersten Blatt steht er seitlich zum Betrachter, blickt nach links auf ein unsichtbares Orchester. Mit raschen, schwarzen Strichen hingeworfen, die Arme gerade nach vorne gestreckt, den Kopf konzentriert gesenkt. Auf dem nächsten Blatt bereits hat Stravinsky eine fast tänzerische Pose eingenommen, dreht sich vom Betrachter weg, die Arme holen aus - man ahnt fast seine nächste Bewegung. Endlich hebt er die Arme - immer noch ist der Kopf halb gesenkt.

Dann, drei weitere Blätter auf denen man den Dirigenten von hinten sieht. Sein ganzer Körper ist Gegenwart, er scheint Unsichtbares zu formen. Die Kraft und die Dynamik, die diese Bilder ausstrahlen, machen die Musik fast hörbar, die gespielt haben muss, als Milein Cosman zeichnete.

"Außer Milein dürften nur wenige Künstler in der Lage gewesen sein das musikalische Genie von Stravinsky mit dieser Intensität, diesem tiefen Verständnis seiner Musik, festzuhalten", schreibt Ines Schlenker in ihrem Buch. Die Kunsthistorikern ist nicht nur eine Kennerin von Milein Cosmans Werk, sie pflegte auch eine langjährige Freundschaft mit der 2017 verstorbenen Künstlerin.

Die ausgewählten Abbildungen und die detaillierten biografischen Texte machen den Band zu einem wertvollen Stück Zeitgeschichte. Voller Bewegung, voller Leben. Heute ist Milein Cosman in England bekannter als in Deutschland. Es wird Zeit, dass sich das ändert.

Milein Cosman - Capturing Time

von Ines Schlenker
Seitenzahl:
192 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
Hardcover, Pappband, 20,5 x 25,4 cm, 200 farbige Abbildungen - Text in englischer Sprache
Verlag:
Prestel
Bestellnummer:
978-3-7913-5797-3
Preis:
39,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 19.05.2019 | 17:40 Uhr

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