"Reise durch ein fremdes Land": Ein Roman wie eine Lebensbeichte
Der Nordire David Park erzählt in "Reise durch ein fremdes Land" eine berührende Familiengeschichte, die zeigt, dass Kummer nur bewältigt werden kann, wenn man sich der Wahrheit stellt.
Ein Mann namens Tom fährt kurz vor Weihnachten von Nordirland mit Auto und Fähre nach Schottland, um seinen Sohn Luke aus dem College abzuholen. Das Land versinkt gerade im Schnee und Luke ist krank geworden. Er hat sich ein paar Mal fiebernd zum Flughafen geschleppt, aber keinen Flug nach Hause bekommen. Der Vater ist bei Eis und Schnee aufgebrochen, um ihn zu holen. Vater und Sohn bitten die Mutter Lorna, die außer sich ist vor Sorge, nicht alle fünf Minuten anzurufen.
Während der langen Fahrt werden die Lesenden eine Beichte hören. Sie werden nicht angesprochen, aber von Anfang an ist klar, dass der Vater von Luke etwas auf dem Herzen hat. Dass etwas auf seiner Seele lastet, mit dem er nicht zurechtkommt.
Irgendwie sind Lorna und ich zusammengeblieben. Dafür bin ich dankbar. Und weil ich Angst habe, etwas zu tun, was unsere Beziehung gefährden könnte, muss ich diese Reise zum Nachdenken nutzen [...] Die Sache ist komplizierter als die Entscheidung zwischen dem, was ich für richtig halte, und dem, was ich nicht als falsch erkenne. Der Schnee verdeckt alles, aber ich weiß nicht, ob ich das Verborgene weiterhin unter Verschluss halten kann. Buchzitat
Es geht in seinen schweren Gedanken um Daniel, seinen ersten Sohn, der tot ist. Dennoch sieht er ihn überall: auf der Fähre oder zwischen Bäumen neben der Straße.
"Reise durch ein fremdes Land": Aufarbeitung eines Todes
Tom ist Fotograf und offenbar hat er in seiner Kamera Bilder, die niemand sehen darf. Früh ahnt man, dass der Sohn seiner Familie durch seine Drogenabhängigkeit verloren ging, dass er nur noch nach Hause gekommen war, um Geld oder etwas Verkäufliches zu stehlen.
Während seiner Fahrt tastet sich Tom in die schmerzhaftesten Bereiche seiner Erinnerung. Vielleicht kann ein so großer Kummer nur bewältigt werden, wenn man sich der Wahrheit stellt. Mit Tom zusammen gehen wir in das Herz dieser Finsternis. Er hört die Lieblingsmusik seines Sohnes Luke während dieser Autofahrt; er nimmt eine junge Frau ein Stück mit und er hält an, um einer Frau zu helfen, die bei den üblen Straßenverhältnissen im Straßengraben gelandet und verletzt ist. Diese Gespräche unterwegs bringen ihn immer ein Stückchen weiter. Denn Tom muss lernen, mit seiner Frau zu sprechen: Damit Luke, Lorna und die kleine Lilly und er als Familie zusammenbleiben können. Gegen Ende des Romans gibt es einen schmalen Hoffnungsschimmer:
Jetzt ist alles getan, und ich kann mich unter diese Flügel flüchten, die Füße des Engels berühren, seine Fundamente spüren, die Betonpfeiler, mit denen er in der Erde verankert ist, die Flügel, die auch im stärksten Wind nicht flattern und irgendwie in die Zukunft weisen. Dann tue ich etwas, was ich zuletzt als Kind getan habe und spreche ein Gebet, ein stilles Gebet, denn ich habe die Worte endlich gefunden. Buchzitat
David Parks Erzählung berührt ist wie eine Lebensbeichte
Der Roman wirkt wie eine Lebensbeichte, wie man sie manchmal von Wildfremden hört, in der Bahn oder irgendwo, wo man lange warten muss und sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wiederbegegnen wird. Man kann den Vater nicht allein lassen, wir müssen ihm beistehen. Das ist eine tief berührende Leseerfahrung.
Reise durch ein fremdes Land
- Seitenzahl:
- 130 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Irischen von Michaela Grabinger
- Verlag:
- Dumont
- Bestellnummer:
- 978-3-8321-8002-7
- Preis:
- 20,00 €
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Romane
