Stand: 22.10.2015 14:50 Uhr

Die Friedensmacher: Mennoniten in Hamburg

von Daniel Kaiser

Die Mennoniten in Hamburg sind eine kleine Kirche mit einer großen, aufregenden Geschichte. Sie nennen sich nach dem Reformator Menno Simons. Vor 400 Jahren kamen die Mennoniten auf der Flucht vor Verfolgung nach Norddeutschland. Es ist eine bescheidene, nüchterne Friedenskirche mit weltweit etwa zwei Millionen Mitgliedern, die die Bergpredigt besonders ernst nehmen. Vor genau 100 Jahren, im Herbst 1915, eröffnete die Hamburger Gemeinde ihre neue Kirche in Altona-Nord, die zu einem neuen Selbstbewusstsein der Mennoniten in der Stadt führte.

Es begann in St. Pauli. Die erste Mennoniten-Kirche stand hier in der weltbekannten Großen Freiheit. Heute noch kann man gegenüber vom Club "Grünspan" das alte Pastorat und das Küsterhaus erkennen. 300 Jahre lang lebten sie in diesem Viertel. Straßennamen wie Paul-Roosen-Straße oder Van-der-Smissen-Straße erinnern noch heute an bekannte Mennoniten.

Mennoniten: Von Flucht und "Großer Freiheit"

Dass sie sich damals gerade hier ansiedelten, hatte einen Grund. Die Straße, in der heute Strip-Lokale, Bars und Diskotheken auf Besucher warten, war damals voller Kirchen. Weil sich in Hamburg selbst nur Lutheraner ansiedeln durften, blieben die anderen Konfessionen nämlich vor der Stadt und bauten ihre Kirchen gleich hinter der Grenze in Altona, das damals nicht zu Hamburg gehörte. Die katholische St. Joseph Kirche steht dort bis heute. Auf alten Stadtplänen ist die Straße voller Kreuze. Die Große Freiheit bedeutete also Religions- und Zunftfreiheit. Auch die Mennoniten fanden hier eine Heimat, erzählt Gemeindemitglied Holger Brehm. "Das waren Flüchtlinge aus den Niederlanden. Bis ins 19. Jahrhundert wurde in der Kirche auch nur auf Holländisch gepredigt." Man blieb still und unter sich. Brav und fleißig.

Walfänger und Pazifisten

Die Mennoniten waren nicht gerade arme Leute. Sie gründeten in Altona Reedereien und brachten es mit einer der größten Walfang-Flotten der Region zu einem gewissen Wohlstand. Der Name kommt von Menno Simons, einem Reformator, der radikalere Thesen vertrat als Martin Luther. Simons gehörte zur sogenannten Täuferbewegung, die die Kindertaufe ablehnte. Weil sie Erwachsene noch einmal tauften und das damals bei Todesstrafe verboten war, wurde Menno Simons steckbrieflich gesucht. Die Mennoniten wurden verfolgt, obwohl sie strikt pazifistisch eingestellt waren, erklärt Pastor Bernhard Thießen. "Mennoniten war damals ein Schutzname. Er signalisierte, dass diese Menschen friedfertig waren - im Gegensatz zu den Täufern von Münster, die dort ein Terrorregime errichtet hatten."

Bad Oldesloe als "mennonitisches Mekka"

Die Hamburger Gemeinde betreut heute auch einen Ort, der für die weltweit zwei Millionen Mennoniten besonders wichtig ist. In der Mennokate am Stadtrand von Bad Oldesloe soll Menno Simons Zuflucht gefunden und in seinen letzten Lebensjahren gewirkt haben. Mennoniten aus aller Welt kommen zu diesem kleinen reetgedeckten, weiß getünchten Haus, in dem sich auch eine kleine Ausstellung über die Geschichte der Mennoniten befindet. "Selbst für uns nüchterne reformierte Christen ist dieser Ort etwas Besonderes", sagt Pastor Thießen und legt seine Hand an die mächtige Linde vor der Kate, die Menno Simons selbst gepflanzt haben soll.

Emigrantenkirche auf der Suche nach Freiheit

In der Kate sieht man Ölbilder von Menno Simons, alte Bücher, und Landkarten mit großen Pfeilen in alle Himmelsrichtungen. Mennoniten sind eine Emigranten-Kirche. Sie zogen immer dort hin, wo sie in Ruhe ihren Glauben leben konnten und keinen Wehrdienst leisten mussten. Große Pfeile auf den Weltkarten weisen auch nach Amerika, denn die Mennoniten gehörten zu den ersten deutschen Siedlern in den USA. Auch die Amischen, die zurückgezogen und wie vor 300 Jahren leben, waren einmal Mennoniten. Eine europäische Hochburg war der Danziger Raum, den sie als Wasser- und Mühlenexperten Jahrhunderte lang bewirtschafteten. Nach dem Zweiten Weltkrieg landeten viele dieser Mennoniten in Hamburg und prägten das Gemeindeleben. Viele Vertriebene aus Westpreußen stehen heute mit Tränen in den Augen in der Mennokate, wenn sie die Karte mit den Fotos ihrer kleinen Kirchlein und den Ortsnamen entdecken.  

Mennoniten seit 100 Jahren in Altona-Nord

Vor genau 100 Jahren flohen die Hamburger Mennoniten vor dem sich ausbreitenden Rotlichtviertel in St. Pauli und zogen nach Altona-Nord. Dort errichteten sie 1915 eine für Mennoniten eigentlich untypische, eher stattliche Kirche. Es ist ein Klinkerbau mit stolzem Dachreiter aus Kupfer, der grün leuchtet. Der Innenraum ist schlicht und schmucklos. Nichts soll vom Wesentlichen ablenken. Wenn man nicht jeden Sonntag in die Kirche geht, kann man einen Mennoniten-Gottesdienst von einem handelsüblichen evangelischen Sonntagmorgen kaum unterscheiden. Die Bergpredigt aus dem Neuen Testament mit der Aufforderung zu Frieden und Feindesliebe ist ein zentraler Text für die Mennoniten. "Das ist ernst gemeint und gehört zu unserem Lebensmodell dazu", erklärt der Mennonit Fernando Enns, der Professor an der Hamburger Universität für die Theologie der Friedenskirchen ist. "Wir sehen ja, wie wenig militärische Einsätze bringen. Wir müssen Konflikte gewaltfrei lösen, auch wenn es noch so schwer fällt."

Glauben ohne Dogmen

Die Mennoniten halten sich ausschließlich an die Bibel. Ihre Geistlichen werden auf keine anderen Bekenntnisse verpflichtet. "Jeder Erwachsene formuliert bei seiner Taufe ein eigenes Glaubensbekenntnis", erklärt Pastor Bernhard Thießen. Jede Gemeinde  entscheidet für sich, welchen theologischen und moralischen Kurs sie einschlagen will. "Das hat natürlich eine unglaubliche Vielfalt zur Folge", sagt Thießen. Die Hamburger Mennoniten sind eher links-protestantisch und suchen den interreligiösen Dialog. Sam Schamp, ein junges Gemeindemitglied, ist gerade deshalb stolz auf seine mennonitische Gemeinde. "Christen nehmen sich oft einfach bestimmte Stellen aus der Bibel und legen dann den Fokus darauf, andere niederzumachen", erklärt er. "Dabei bedeutet Christ sein doch Friede und Liebe. Ich finde es gut, dass es bei uns nicht darum geht, die Menschen in gut und schlecht zu sortieren, sondern es geht darum, Frieden zu bekommen."

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Kulturjournal Spezial | 22.10.2015 | 19:03 Uhr

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