Stand: 28.04.2018 04:00 Uhr

Fabrikant Wupperman prägte das alte Pinneberg

Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute - möglichst aufgenommen von exakt derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". So wollen wir den Wandel der Städte im nördlichsten Bundesland dokumentieren. NDR Autoren tauchen in die Stadtarchive ein. Dabei fördern sie persönliche Geschichten und historische Aufnahmen zu Tage, die teilweise in großem Kontrast zur Gegenwart stehen. Ein interaktiver Foto-Vergleich macht das besonders deutlich.

von Janine Artist

Waschbeton statt alter Stuckfassaden: Pinneberg hat heute nicht gerade den Ruf, eine Stadt mit viel Charme zu sein. Das war im Kaiserreich noch anders. Pinneberg war damals ein beliebtes Ausflugsziel - vor allem für Großstädter aus Hamburg und Altona. 100.000 Besucher kamen pro Jahr in das damals mit 4.000 Einwohnern noch recht beschauliche Örtchen. Hübsche Villen, viele Gaststätten und Pensionen sowie der Wald Fahlt zogen die Menschen an. Nach der Eisenbahn-Anbindung und der Eingliederung ins dänische Zollgebiet siedelten sich aber auch zunehmend Fabriken an. Unter den Industriellen war einer, der die Stadt gegen Ende des 19. Jahrhunderts besonders stark prägte: Herman Wupperman.

Eine aktuelle Aufnahme der Drostei in Pinneberg. © NDR Foto: Janine Artist Eine historische Aufnahme des Drosteiparks in Pinneberg. © Stadtarchiv Pinneberg

Die Drostei wurde in den Jahren 1765 bis 1767 im Stil des norddeutschen Backsteinbarock erbaut. Die undatierte Aufnahme mit herausgeputzten Spaziergängern am Ende der Allee des Drosteiparks kommt aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Die Drostei ist heute ein Kulturzentrum - und das bedeutendste Baudenkmal des Kreises Pinneberg.

Mit dem Schieberegler auf diesem und den weiteren Bildern können Sie leicht vergleichen, wie Pinneberg früher erstrahlte - und wie die Stadt heute aussieht.

Erfolg durch Massenproduktion und Export

1878 übernahm der in Texas geborene Unternehmer das Union-Eisenwerk, das damals in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Er führte die moderne Massenproduktion ein und baute die Fabrik so zu einem der größten Emaillierwerke Europas aus. Die Arbeiter fertigten in den Hallen an der Schauenburger Straße direkt neben den Bahngleisen bis zu 30.000 Geschirrteile pro Tag.

"Der Erfolg kam dadurch, dass Wupperman nur noch 30 statt 200 verschiedene Produkte herstellen ließ und wohldurchdachten Export betrieb", sagt der Pinneberger Historiker Peter Russ. Aber der Industrielle war nicht nur geschäftstüchtig, sondern galt auch als sehr sozialer Arbeitgeber. Seine Beschäftigten wurden überdurchschnittlich bezahlt und profitierten von zahlreichen Wohlfahrtseinrichtungen, die Wupperman aufbaute - darunter eine Unfallversicherung, eine Arbeiterrentenstiftung, eine Betriebs- und Familienkrankenkasse sowie ein Kohlenkonsumverein.

Eine aktuelle Aufnahme der Dingstätte in Pinneberg. © NDR Foto: Janine Artist Eine historische Aufnahme der Dingstätte in Pinneber. © Stadtarchiv Pinneberg Foto: Theodor Schlüter

Die Dingstätte in der Pinneberger Innenstadt ist heute eine belebte Fußgängerzone mit zahlreichen Filialgeschäften. In der Aufnahme von Pinnebergs erstem Fotografen, Theodor Schlüter, von etwa 1900 sieht die Straße noch ganz anders aus. Obwohl die Stadt im Zweiten Weltkrieg von Bomben verschont blieb, wandelte sie in den Jahrzehnten danach ihr Gesicht. Viele alte Gebäude wurden abgerissen und es entstanden Neubauten wie etwa das sogenannte Kupferhaus am Ende der Dingstätte in der Bildmitte.

Herzensprojekt Werkswohnungen

Im alten Pinnebergerdorf ließ Wupperman 1891 eine Siedlung errichten. 120 Wohnungen mit günstigen Mieten entstanden an der Herman- und an der Ottostraße, benannt nach den beiden Söhnen des Unternehmers. Im Gegensatz zur Fabrik an der Schauenburger Straße, von der heute nichts mehr zu sehen ist, sind die Wohngebäude erhalten geblieben. "Es ist ein bisschen schade, dass die Anlage nicht unter Milieuschutz steht. Die Eigentümer der Häuser haben Fassaden und Fenster verändert", bedauert Ina Duggen-Below, Leiterin des Pinneberg Museums. Aber: "Man spürt schon noch die ursprüngliche Atmosphäre", findet Duggen-Below. Ganz so idyllisch wie zur Jahrhundertwende ist es allerdings nicht mehr. Am Ende der Hermanstraße ragen heute die grauen Hochhäuser des "Iduna Zentrums" an der Elmshorner Straße in den Himmel.

Eine aktuelle Aufnahme des Wupperman-Denkmals in Pinneberg. © NDR Foto: Janine Artist Eine historische Aufnahme des Wupperman-Denkmals in Pinneberg. © Stadtarchiv Pinneberg

Die Wuppermansche Arbeitersiedlung ist bis heute erhalten geblieben, wird aber inzwischen vom Iduna Zentrum an der Elmshorner Straße überragt. Das Denkmal zu Ehren des wohltätigen Fabrikanten Herman Wupperman wurde 1903, fünf Jahre nach seinem Tod, enthüllt.

Betriebssportverein war Vorläufer des VfL Pinneberg

Ebenfalls 1891 von Wupperman erbaut und bislang vor dem Abriss bewahrt, ist die Turnhalle in der Lindenstraße in der Pinneberger Innenstadt. "Auf Wuppermans Anregung wurde der Betriebssportverein Union gegründet, bei dem zunächst nur Angestellte und Meister Mitglieder werden durften. Später wurde daraus ein allgemeiner Sportverein", erzählt Peter Russ, der für das Pinneberg Museum historische Stadtführungen anbietet. Union ging später im VfL Pinneberg auf, der heute zu den größten Sportvereinen in Schleswig-Holstein gehört. Die alte Turnhalle aus hellem Backstein wurde zuletzt unter anderem für Theateraufführungen genutzt, ist jetzt aber baufällig und deshalb gesperrt.

Eine aktuelle Aufnahme der Turnhalle in der Lindenstraße in Pinneberg. © NDR Foto: Janine Artist Eine historische Aufnahme der Turnhalle in der Lindenstraße in Pinneberg. © Stadtarchiv Pinneberg Foto: Theodor Schlüter

In der Turnhalle in der Lindenstraße durften früher nur "Hochschnutige" Sport machen. Der von Herman Wupperman gegründete Betriebssportverein Union ließ zunächst nur Angestellte und Meister als Mitglieder zu. Das Feuerwehrgebäude links neben der Turnhalle wurde abgerissen. Um die Zukunft der baufälligen Halle - die heute Ernst-Paasch-Halle heißt - gibt es in Pinneberg Streit.

Unterricht für die Kleinen

Die ehemalige Wuppermansche Warteschule am Ende der Straße existiert dagegen nicht mehr. Dort klafft zurzeit eine große Baulücke. Die Warteschule war eine Art Kita für Arbeiterkinder. Die Öffnungszeiten entsprachen den Arbeitszeiten in der Fabrik, damit die Familien in der Pause zusammen zum Mittagessen nach Hause gehen konnten. Jungen lernten dort Handwerkliches wie Hobelarbeiten, Mädchen bekamen Nähen, Flicken, Stopfen und Stricken beigebracht.

Unsichere Frauen gefährden Familienfrieden

Auch das Gebäude, in dem der Fabrikant ab 1887 eine Kochschule betrieb, wurde zum Bedauern vieler Pinneberger vor wenigen Jahren dem Erdboden gleichgemacht. An der Ecke Moltkestraße / Am Drosteipark steht nun ein Neubau mit seniorengerechten Wohnungen. Die Begründung, warum Wupperman die Koch- und Haushaltungsschule für Arbeiterfrauen seinerzeit einrichtete, mutet heute antiquiert an: "Zweifellos ist ein Gutteil des Elends, welches man vielfach in Arbeiterfamilien findet, auf die Unsicherheit der Frauen zur selbstständigen Führung des eigenen Haushalts zurückzuführen". Der Fabrikant wollte ihnen deshalb "Sinn für sittliches Familienleben einpflanzen".

Eine aktuelle Aufnahme des Damms Ecke Tangstedter Straße in Pinneberg. © NDR Foto: Janine Artist Eine historische Aufnahme des Damms Ecke Tangstedter Straße in Pinneberg. © Stadtarchiv Pinneberg

Die Ecke Damm / Tangstedter Straße bzw. Hindenburgdamm hat trotz einiger Neubauten noch einen hohen Wiedererkennungswert. Sogar der alte Baum steht noch. Statt einer Bäckerei und Konditorei befindet sich in dem Haus auf der Ecke heute ein Blumengeschäft. Der Hindenburgdamm wurde 1933 gebaut. Die alte Aufnahme wurde vermutlich um 1900 gemacht.

Herrschaftlicher Wohnsitz weicht Schule

Die Villa Wupperman in Pinneberg Anfang des 20. Jahrhunderts. © Stadtarchiv Pinneberg
Die Wuppermansche Villa am Fahltskamp galt als das prachtvollste Haus Pinnebergs.

Das Familienleben von Herman Wupperman, seiner Frau Emmeline sowie der Söhne Herman junior und Otto spielte sich in einer herrschaftlichen Villa am Fahltskamp ab. "Sie war das erste Wohnhaus in Pinneberg mit elektrischer Beleuchtung - versorgt vom Elektrizitätswerk der Fabrik", erzählt Historiker Peter Russ. Dort, wo die Villa einst stand, steht seit den 1960er Jahren das erste Gymnasium Pinnebergs - die Johannes-Brahms-Schule.

Unfall reißt Fabrikchef aus dem Leben

Emailleure lassen sich nach dem Tod des Fabrikchefs Herman Wupperman im Jahr 1898 mit dessen Porträt fotografieren. © Stadtarchiv Pinneberg Foto: Theodor Schlüter
Nach dem Tod ihres Chefs lassen sich Emailleure mit dessen Porträt fotografieren.

Die Wuppermans lebten nicht sonderlich lange in Pinneberg. 1893 zog die Familie auf Wunsch von Emmeline nach Düsseldorf um. Von da an führten der technische und der kaufmännische Direktor das Werk weiter. Fünf Jahre später starb Fabrikchef Wupperman im Alter von nur 45 Jahren nach einem Unfall. Auf dem Rückweg von einem Jagdausflug wurde seine Kutsche in der Nähe von Oberhausen von einem Zug erfasst. Die Emailleure in Pinneberg trauerten um den verunglückten Patriarchen.

"Er hat viel für die Stadt getan"

In Pinneberg gibt es heute wenig, das an Herman Wupperman erinnert. In der Siedlung im alten Pinnebergerdorf steht ein Denkmal mit seiner Büste auf einer Verkehrsinsel. Es wurde 1903 zum 25. Jubiläum der Wuppermanschen Fabrik-Übernahme aufgestellt. "Er hat sehr viel für die Stadt getan. Vor allem für die Entwicklung im sozialen Bereich mit Einrichtungen, die es bis dato nicht gab", resümiert Ina Duggen-Below. Historiker Peter Russ findet es sehr schade, dass Wupperman von der Stadt nicht mehr gewürdigt wird.

Eine aktuelle Aufnahme der Dingstätte Ecke Fahltskamp in Pinneberg. © NDR Foto: Janine Artist Eine historische Aufnahme der Dingstätte Ecke Fahltskamp in Pinneberg. © Stadtarchiv Pinneberg Foto: Theodor Schlüter

Zu Zeiten als Pinneberg noch ein beliebtes Naherholungsziel für gestresste Hamburger war, gab es in der Stadt viele Gaststätten, Pensionen und Hotels - wie Schmüsers Hotel (r.) auf der Aufnahme aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Heute ist die Straße Fahltskamp sehr viel stärker bebaut als damals, aber ein Hotel existiert an der Stelle nicht mehr.

Weitere Informationen
Eine Vergleichsaufnahme von Lübeck, früher und heute. © NDR/Fotoarchiv Lübeck Foto: Katrin Bohlmann/Fotoarchiv Lübeck

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 27.04.2018 | 20:05 Uhr

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