Günter Gaus, 2001. © picture-alliance/ZB Foto: Klaus Franke

Unbequem und unbeirrbar - der Grenzgänger Günter Gaus

Stand: 20.11.2009 11:50 Uhr

Günter Gaus war Journalist, Politiker und der erste "Ständige Vertreter" der Bundesrepublik in der DDR. Mit seiner Interview-Reihe "Zur Person" schrieb er ein Stück Fernsehgeschichte.

von Carina Werner

Ob Hans Magnus Enzensberger oder Jürgen Habermas, das Jahr 1929 hat zahlreiche Persönlichkeiten hervorgebracht, die die Bundesrepublik geprägt haben. Zu ihnen zählt auch Günter Gaus. Geboren wird er am 23. November 1929 in Braunschweig. Dort führen seine Eltern einen Obst- und Gemüseladen. Der Zweite Weltkrieg macht auch vor dem 15-Jährigen nicht Halt: Kurz vor Kriegsende wird er eingezogen, muss Schützengräben in Holland schaufeln und mit Panzerfäusten und Pistolen durchs Braunschweiger Umland streifen, doch er erlebt den Krieg ohne "Feindberührung".

Gaus startet seine Karriere bei der "Badischen Zeitung"

Der Journalist und Politiker Günter Gaus 1974. © (c) dpa - Bildarchiv Foto: Bratke
Der Journalist und Politiker Günter Gaus 1974.

Die Alliierten kommen nach Braunschweig, und mit ihnen die Nachkriegsjahre. Günter Gaus macht Abitur und hospitiert bei der "Braunschweiger Zeitung". Dann zieht es ihn nach München, an die dortige Journalistenschule. "Journalist zu sein erschien wie eine Mischung aus weiter Welt, gehobenem Privatdetektiv, Schiedsrichter der Politik und gemäßigter Bohème", schreibt er später in seiner Autobiografie. 1952 erhält er seinen ersten Redakteursposten bei der "Badischen Zeitung", vier Jahre später geht er zur "Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung". Er heiratet Erika Butzengeiger und bekommt mit ihr eine Tochter. Die Karriere des Polit-Journalisten verläuft rasant: Von Rudolf Augstein umworben, wird Günter Gaus 1958 politischer Redakteur des "Spiegel" in Hamburg. Drei Jahre später wechselt er zur "Süddeutschen Zeitung".

Der bekannteste Hinterkopf Deutschlands

Günter Gaus (rechts) im Interview mit dem Berliner Bürgermeister-Kandidat Klaus Schütz 1967. © (c) dpa - Bildarchiv Foto: dpa
Günter Gaus (re.) im Interview mit dem Berliner Bürgermeister-Kandidat Klaus Schütz 1967.

Anfang der Sechzigerjahre wird das gerade gegründete ZDF auf den jungen Ausnahme-Journalisten aufmerksam. Günter Gaus erhält das Angebot, eine eigene Interview-Reihe mit dem Titel "Zur Person - Porträts in Frage und Antwort" zu gestalten. Am 10. April 1963 wird die erste Sendung ausgestrahlt, Gast ist der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. Auch wenn Titel und Sendeanstalten (SWF, WDR, DFF, ORB) im Laufe der Zeit wechseln, bleibt Günter Gaus der Reihe über 40 Jahre lang treu. "Im Rückblick weiß ich, dass meine Fernsehinterviews ein wesentlicher Teil meines Lebens gewesen sind", schreibt er in seinen Memoiren.

Gaus führt Interviews mit Persönlichkeiten aus Politik und Kultur

Über 250 Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wissenschaft interviewt Günter Gaus - von Franz Josef Strauß bis Christian Klar, Hannah Arendt bis Rudi Dutschke. Seine Fragen sind scharf, analytisch und manchmal so naiv anmutend, dass sie manchen Gast entwaffnen. "Tatsächlich hat man nach beinahe jedem Gespräch das Gefühl, eine Person, von der man dieses und jenes wusste, nun mehr zu kennen; ganz so, als habe man eine differenzierte Biografie gelesen", schreibt die Wochenzeitung "Freitag". Als Interviewer ist Günter Gaus ein Purist. Das Fernsehstudio ist minimalistisch gestaltet. Zu sehen sind lediglich zwei Personen, in Sesseln sitzend, vor dunklem Hintergrund. Der eine von ihnen, Günter Gaus, wird nur von hinten gezeigt, was ihm den Spitznamen des "bekanntesten Hinterkopfs des deutschen Fernsehens" einbringt.

1965 wird Günter Gaus Programmdirektor für Hörfunk und Fernsehen beim SWF. 1969 geht er zurück zum "Spiegel", diesmal als Chefredakteur. In den folgenden Jahren wird er, auch ohne Parteibuch, zu einem der einflussreichsten Befürworter von Willi Brandts Ostpolitik.

Verhandlungsführer in der Ständigen Vertretung in Ostberlin

Günter Gaus (links) bei der Unterzeichnung des innerdeutschen Vertrags über den Bau der Autobahn Hamburg-Berlin 1978. © (c) dpa - Report Foto: Günter Bratke
Günter Gaus (li.) bei der Unterzeichnung des innerdeutschen Vertrags über den Bau der Autobahn Hamburg-Berlin 1978.

1973 betritt der Journalist das Parkett der Politik: Günter Gaus wird zum ersten "Ständigen Vertreter" in Ostberlin ernannt. Dies ist "der faszinierendste Job, den ich je hatte und den ich mir vorstellen kann", sagt er später. Als zentraler Verhandlungsführer gelingt es ihm, viele Neuerungen für deutsch-deutsche Kontakte auszuhandeln. Zu seinen Verdiensten zählen 17 Abkommen, die unter anderem den Bau der Autobahn Hamburg-Berlin und Erleichterungen im Transitverkehr ermöglichen. Der Schriftsteller Christoph Hein charakterisiert Günter Gaus als "unbequem, unbeirrbar und integer", nicht nur in seinen Interviews, sondern auch in den diplomatischen Verhandlungen. Durch seine Arbeit in Ostberlin gewinnt Gaus wie kaum ein anderer Westdeutscher tiefe Einblicke in das Leben in der DDR. Vieles findet seine Sympathie, vor allem, dass es kaum soziale Hierarchien gibt.

1976 wird Günter Gaus Mitglied der SPD. Nach Unstimmigkeiten mit dem neuen Kanzler Helmut Schmidt wird er 1981 in seinem Amt abgelöst. Für kurze Zeit betätigt er sich als Senator für Wissenschaft und Kunst in Berlin.

Nachdenken über seine Heimat Deutschland

In den Achtzigerjahren schreibt Günter Gaus eine Reihe von Büchern. Ob "Deutschland im Juni" oder "Wo Deutschland liegt", bereits die Titel seiner Bücher verraten, wie sehr sein Denken um sein Heimatland kreist. "Mein Vater hatte zu seinem Lebensthema gefunden, das ihn bis zum Schluss nicht mehr loslassen sollte: Die Liebe zum eigenen Land - und die Sorge darüber, wohin es steuert", schreibt seine Tochter Bettina Gaus, die in die Fußstapfen ihres Vaters getreten ist und heute als politische Korrespondentin der "tageszeitung" arbeitet.

Gaus ist gegen eine schnelle Wiedervereinigung

Günter Gaus gehört nicht zu denen, die nach dem Mauerfall in Freudentaumel geraten. Immer wieder warnt er davor, die Wiedereinigung nicht zu überstürzen und die Einheit nicht zum "Volksfest mit Freibierausschank" verkommen zu lassen. Stattdessen schlägt er vor, eine "zentraleuropäische Konföderation" mit den beiden deutschen Staaten, Polen, der ČSSR und Ungarn zu gründen, in der sich das deutsch-deutsche Verhältnis behutsam entwickeln kann, doch seine Anregungen finden wenig Gehör.

1990 wird Günter Gaus Mitherausgeber der linken Wochenzeitung "Freitag". Aus der SPD tritt er aus - nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder im Herbst 2001 die "bedingungslose Solidarität" mit den USA verkündet hat.

Christa Wolf beschreibt ihn als "anständig" und "hilfsbereit"

Während Günter Gaus an seinen Memoiren schreibt, erkrankt er an Krebs. Am 14. Mai 2004 stirbt er in Reinbek bei Hamburg, wo er lange Jahre seinen Wohnsitz hatte. Beerdigt wird er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin. In ihrem Nachruf schreibt seine langjährige Freundin Christa Wolf: "Man muss altmodische Wörter für ihn verwenden: Er war anständig. Er hatte Zivilcourage. Er war mitfühlend und hilfsbereit. Er hat sich hinter den Kulissen für so manchen Vergessenen eingesetzt. Er war ein nobler Mensch."

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 16.05.2004 | 23:15 Uhr

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