Alfred Schnittke - Ein musikalischer Grenzgänger
Der deutsch-russische Komponist Alfred Schnittke zählt ohne Frage zu den bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. Mancher bezeichnet ihn als "Gratwanderer zwischen Ost und West" - und das spiegelt sich auch in seiner Musik wider. Schnittke hat ein reichhaltiges Werk hinterlassen.
Geboren wurde er am 24. November 1934 in Engels, der damaligen Hauptstadt der Autonomen Wolgadeutschen Sowjetrepublik. Sein Vater war der Journalist und Übersetzer Harry Schnittke, ein in Frankfurt am Main geborener Jude lettischer Herkunft. Seine Mutter Maria war eine wolgadeutsche Katholikin. Von 1946 bis 1948 lebte die Familie in Wien, da der Vater für eine Zeitung dorthin versetzt wurde. Schnittke schrieb über die Zeit später: "Nun komme ich nach Wien - und da darf ich deutsch sein." Sein Leben zwischen der deutschen und russischen Kultur bestimmte auch zeitlebens sein Wirken und findet sich in seinem kompositorischen Schaffen wieder.
Musikalische Ausbildung in Moskau
Erste Kompositionsversuche unternahm der zwölfjährige Schnittke in Wien, doch der Grundstein für sein reiches Wirken wurde 1948 in Moskau gelegt. Dort besuchte er zunächst fünf Jahre lang eine Musikfachschule und ließ sich zum Chorleiter ausbilden. Zudem nahm er Privatunterricht in Harmonielehre und Analyse. 1953 begann er am Moskauer Konservatorium sein Studium der Komposition und Kontrapunktik. Ab 1962 lehrte Schnittke dort selbst und arbeitete gleichzeitig als freischaffender Komponist. Berühmt machten ihn zunächst die vielen Kompositionen für den Film, unter anderem für "Die letzten Tage von St. Petersburg" oder "Agonie", die er schrieb. Er arbeitete mit Regisseuren wie Andrej Tarkowski zusammen.
Begründer der Polystilistik
Schnittke widmete sich aber längst nicht nur der Filmmusik, er nahm letztendlich in seinen Werken auf sämtliche musikalische Gattungen Bezug - so begründete er die mit seinem Namen eng verbundene sogenannte Polystilistik. Als beispielhaft dafür gilt seine erste Sinfonie, die er mit Zitaten aus der Barock-, Tanz- und Jahrmarktmusik durchsetzt hat. Sie entstand in den Jahren 1969 bis 1972. Seine zweite Violinsonate von 1968 war der Durchbruch auf diesem Gebiet. Schnittke bezeichnete das Stück als "Quasi una Sonata", denn sie sei "ein Bericht über die Unmöglichkeit der Sonate in Form einer Sonate". Er verglich diese Komposition mit Fellinis Film "8 1/2" - "eine Erzählung darüber, wie schwierig und unmöglich es ist, diesen Film zumachen. So ähnlich war für mich dieses Stück." Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb 1998 in ihrem Nachruf auf Schnittke über das Werk: "Die zweite Violinsonate [...] ist ein buntes Ineinander von Klassischem und Barockem, Atonalem, Tango und Walzer."
Genauso wie er die verschiedenen musikalischen Genres aufnahm, zerlegte und neu zusammensetzte, zitierte er in seinem Schaffen auch häufig seine musikalischen Vorbilder. "Immer wieder haben sich die Kommentare zu Schnittkes Werken darin erschöpft, seine verwendeten Materialien aufzuzählen, seine Corelli-, Bach-, Mahler-, Brückner-, Ives-, Schostakowitsch-Reminiszenzen offenzulegen", heißt es im August 1998 in der "Zeit".
Ruhm im Westen, Gängelung in der Heimat
Dass sich Schnittkes Musik schon früh im Westen durchsetzte, verdankte er vor allem dem Geiger Gidon Kremer und dem Dirigenten Gennadij Roschdestwenskij. Sie führten bei Konzerten seine Werke auf, und so dauerte es nicht lange, bis Schnittke bei Musikfestivals in Graz, Paris, London, Berlin, Donaueschingen und Wien gespielt wurde. Den sowjetischen Kulturfunktionären war das ein Dorn im Auge: Sie hielten seine avantgardistische Musik für zu experimentell und westeuropäisch - auf jeden Fall nicht geeignet, die Kulturpolitik der UdSSR zu repräsentieren. Die eingangs erwähnten Kompositionen für den Film waren für Schnittke daher auch ein Mittel, um sich finanziell und politisch über Wasser zu halten.
Umzug nach Hamburg
1990, gesundheitlich bereits angeschlagen, siedelte Schnittke mit seiner Familie nach Hamburg über. Er nahm eine Professur für Komposition an der Musikhochschule an. Schon vor seinem Umzug an die Elbe verband ihn vieles mit der Stadt: John Neumeier, Choreograf und Direktor des Balletts an der Hamburgischen Staatsoper, hatte 1983 Tennessee Williams' "Endstation Sehnsucht" nach der Musik von Schnittkes erster Sinfonie inszeniert. 1989 führte Neumeier Schnittkes Ballett "Peer Gynt" in der Hamburger Oper auf.
Mit der Oper setzte sich Schnittke erst spät in seinem Leben auseinander. Gerade drei Jahre vor seinem Tod, 1995, vollendete er die Oper "Historia von D. Johann Fausten", sie hatte noch im selben Jahr in Hamburg unter der Leitung von Gerd Albrecht Premiere. 1992 feierte "Leben mit einem Idioten" in Amsterdam Premiere, uraufgeführt von Mstislav Rostropovich.
Alfred Schnittke hatte seit 1985 bereits mehrere Schlaganfälle erlitten. Am 3. August 1998 starb er in Hamburg. Mit einem Staatsakt wurde er dann auf dem Moskauer Nowodewitschi-Friedhof beigesetzt.