Stand: 17.12.2008 00:00 Uhr

Postscheckverkehr: Geldfluss ohne Münzen

von Carina Werner

"Voll entwickelt, gleicht das Postscheckwesen einem riesigen Herzen mit tausend Venen und Arterien, die bis in das bescheidenste Dorf hinausgehen", steht im "Wörterbuch der Volkswirtschaft" von 1906. Eine Euphorie, die zu jener Zeit berechtigt ist: Die Einführung des Postscheckverkehrs am 1. Januar 1909 soll allen Bürgern ermöglichen, ein eigenes Konto zu führen, Überweisungen zu tätigen und ihr Geld nicht mehr im Sparstrumpf zu verstauen. Was uns heute selbstverständlich erscheint, revolutionierte damals den Alltag.

Die Anfänge des Giroverkehrs

Rentenauszahlung im Hamburger Hauptpostgebäude 1898. Holzstich nach einer Zeichnung von Karl Mueller © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images
Rentenauszahlung im Hamburger Hauptpostgebäude 1898.

Der Gedanke des bargeldlosen Zahlungsverkehrs ist im Grunde uralt: Schon im alten Griechenland nehmen Bankiers Umschreibungen von einer Rechnung auf eine andere vor, doch bleibt diese Praxis lange Zeit vereinzelt. In Deutschland beginnt die Geschichte des Giroverkehrs in Hamburg: 1619 wird die berühmte "Hamburger Bank" gegründet. Zwei Jahrhunderte später nehmen weitere Hamburger Banken den Giroverkehr auf, dieser bleibt jedoch auf die großen Hamburger Unternehmen beschränkt. Mit der Gründung der Deutschen Reichsbank 1875 wird der Giroverkehr über das ganze Reich ausgedehnt, bleibt aber auch hier weitgehend den großen Firmen und wohlhabenden Bürgern vorbehalten.

Die Deutsche Reichspost, 1871 ins Leben gerufen, tritt an, diesen Missstand zu ändern. "Das Postscheckamt sollte die Bank des 'kleinen Mannes' werden, der wegen des hohen Mindestguthabens von 1.000 Mark die Giroeinrichtungen der Reichsbank nicht benutzen konnte", schreibt der Hamburger Postdirektor Wilhelm Meinken.

Vorstöße und Einwände

Dass die Reichspost sowie die Reichsregierung auf die Einführung des Postscheckverkehrs drängen, hat gute Gründe: Der bargeldlose Zahlungsverkehr ist weitaus kostengünstiger, da er eine bessere Ausnutzung der im Lande vorhandenen Kapitalien ermöglicht. Für eine massenhafte Einrichtung von Konten eignet sich vor allem die Post, da sie den Menschen leichter zugänglich ist als andere Banken: Sie hat eine dichtere räumliche Verbreitung und ist den Menschen, vor allem durch den Postversand, vertraut. Zudem soll der Postscheckverkehr weitere positive Nebeneffekte mit sich bringen. Unter anderem soll er dem weit verbreiteten "schädlichen Borgunwesen" - also dem Treiben windiger Geldverleiher - ein Ende bereiten.

1876 unterbreitet die Reichspost dem Reichstag den Vorschlag, einen Postüberweisungs- und Scheckverkehr einzuführen, doch die Idee stößt auf Widerstand. In Politik- und Finanzkreisen befürchten viele, dass die Post den bestehenden Sparkassen und anderen Kreditanstalten zu große Konkurrenz machen würde. 1885 wird ein erster Gesetzesentwurf zur Einführung des Postscheckverkehrs vorgelegt - und abgelehnt. Denn der Reichstag hat massive Änderungswünsche: Die Postscheckguthaben sollten nicht verzinst werden dürfen und die Gebühren relativ hoch sein, um anderen Banken keine Kunden streitig zu machen. Erst nach langem Ringen wird 1908 ein Kompromiss gefunden: Am 7. Mai stimmt der Reichstag der Einführung des Postscheckverkehrs zu.

Raus aus dem Sparstrumpf, rauf aufs Konto

Kunde beim Einlösen eines Schecks beim Postscheckamt Berlin 1925. © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images
Kunde beim Einlösen eines Schecks beim Postscheckamt Berlin 1925.

Am 1. Januar 1909 nehmen zeitgleich 13 Postscheckämter im Deutschen Reich den Betrieb auf. Im norddeutschen Raum werden die Postscheckämter Hannover und Hamburg eröffnet. Hannover ist zuständig für die Oberpostdirektionsbezirke Braunschweig, Hannover, Minden und Oldenburg, Hamburg für Bremen, Kiel und Schwerin. Die Einführung verläuft reibungslos, viele Bürger nehmen das Angebot an: Im Gründungsjahr 1909 tragen 3.000 Hamburger ihr Erspartes aufs Postscheckamt. 1948 zählt das Hamburger Postscheckamt bereits 150.000 Teilnehmer. Geld als materielles Tauschgut verliert so mehr und mehr an Bedeutung. Wurden im Jahre 1909 36 Prozent des Gesamtumsatzes bargeldlos abgewickelt, sind es im Jahre 1938 bereits 85 Prozent.

Voraussetzungen und Leistungen

Um ein Konto einzurichten, müssen die Teilnehmer zunächst mindestens 100 Mark einzahlen. Ein paar Jahre später wird der Betrag auf 50 Mark reduziert, 1917 noch einmal auf 25 Mark. Zinsen gibt es keine. Für Ein- und Auszahlungen sind geringe Gebühren zu entrichten, ab 1918 sind alle Überweisungen gebührenfrei. Geld einzahlen können die Kunden per Zahlkarte, per Postanweisung oder durch Überweisung von einem anderen Postscheckkonto. Auch die Landbewohner können den Postscheckverkehr nutzen: Ob an der Nordsee oder in der Lüneburger Heide, die Postboten nehmen Zahlkarten in normalen Briefumschlägen zur Überlieferung an die Postämter an und zahlen Beträge von Überweisungen bis zu 800 Mark aus.

Wirtschaftskrisen und Innovationen

Im Laufe der Zeit werden zahlreiche Neuerungen eingeführt. Beispielsweise sind ab 1914 Überweisungen auch per Telegramm möglich. Bereits nach zwei Jahren verzeichnet die Post in Deutschland über 50.000 Postscheckteilnehmer. Diese Auftragsmengen sind ohne Maschinen kaum noch zu schaffen. Deshalb werden ab den Zwanzigerjahren Schreib-, Rechen- und Buchungsmaschinen zur Durchführung der Überweisungen eingesetzt.

Wirtschaftskrise und Inflation berühren auch den Postscheckverkehr, führen zu kurzzeitigen Zahlungsengpässen und schwindelerregenden Summen: Im Zuge der Inflation 1923 beträgt der Mindestbetrag für ein Konto zeitweilig mehrere Milliarden Mark, bis durch Einführung der Rentenmark der Währungsverfall eingedämmt werden kann. Ab 1929 sind, gegen erhöhte Gebühr, Eilzahlkarten und Eilüberweisungen möglich. Der Zweite Weltkrieg legt schließlich auch den Postscheckverkehr lahm, 1945 bricht er völlig zusammen.

Der Postscheckverkehr nach 1945

1965: Bundespostminister Richard Stücklen stellt den automatisierten Postscheckdienst vor. © dpa - Report Foto: Karl Schnörrer
1965: Bundespostminister Richard Stücklen stellt den automatisierten Postscheckdienst vor.

Im Sommer 1945 nehmen die Postscheckämter in Hamburg, Hannover und weiteren Städten den Betrieb wieder auf. Kurz darauf stehen mehrere Neuerungen an: 1950 wird der Dauerauftrag eingeführt. Ab 1951 können, im Krieg unterbunden, wieder Beträge ins Ausland überwiesen werden. Viele neue Techniken werden zuerst im Postscheckamt Hamburg erprobt, das mittlerweile das größte in der Bundesrepublik ist. Beispielsweise wird hier 1961 erstmalig der Dauerauftragsdienst mit Hilfe eines EDV-Systems eingerichtet.

Im Zuge der Postreform 1989 wird die Deutsche Bundespost in relativ eigenständige Bereiche aufgeteilt und die Postbank gegründet, die das Postscheckamt ersetzt. Seit 1993 können die Kunden der Postbank ihre Bankgeschäfte auch telefonisch und seit 1998 auch im Internet erledigen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Tagesschau | 01.05.1965 | 20:00

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