Stand: 15.01.2015 14:22 Uhr

Wenn Auschwitz das Leben verändert

von Carolin Fromm, NDR.de

"Ich kann nicht genau sagen, wie das wird", hatte Barjas Alo gesagt, bevor er das erste Mal die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau betrat. Vor mehr als drei Jahren war der Kurde mit seiner Familie vor dem Krieg in Syrien nach Niedersachsen geflüchtet. Von der deutschen Geschichte wusste der 20-Jährige bis zu seiner Reise nach Polen nur wenig.

VIDEO: Von Hannover nach Auschwitz (16 Min)

"Diese Reise werde ich niemals vergessen"

Mit zehn anderen Jungs der Berufsbildenden Schule 6 (BBS 6) aus Hannover hat Barjas zwei Wochen in der Kleinstadt Oświęcim verbracht, in dem die Gedenkstätte liegt. Zusammen mit polnischen Schülern haben sie in dem ehemaligen KZ und in einem Waisendorf gearbeitet, Krakau besichtigt, Fußball gespielt. Der immer fröhliche Barjas sang kurdische Lieder während er in Birkenau alten Stacheldraht vom Zaun knipste.

Kurz nach der Reise sagte er, er habe viel über deutsche Geschichte dazu gelernt. "Filme brauche ich nicht mehr gucken, denn ich habe die Wahrheit gesehen. Diese Reise werde ich niemals vergessen, so etwas erlebt man nur einmal im Leben." Er habe vielen Mitschülern und seiner Familie Bilder gezeigt und ihnen vom Konzentrationslager erzählt. "Sie kannten auch keine Details, fanden es aber super interessant. Am Ende habe ich gesagt: Mama, du hättest einfach dabei sein müssen."

Auschwitz ist nicht nur Vergangenheit

Schon in den stillen Momenten in der Gedenkstätte verglich Barjas seine Heimat Syrien immer wieder mit Auschwitz. Für ihn, den Flüchtling, ist dieser Ort nicht bloße Vergangenheit. Zum Ende der Reise fragte er sich, was er tun könne, damit sich "Katastrophen wie hier" nicht wiederholen. Einige Wochen nach der Rückkehr nach Hannover spielte Barjas auf seiner Saz - einer langhalsigen, im Orient verbreiteten Gitarre - Lieder für die Flüchtlinge im Irak. "Hitler hat Juden umgebracht, weil er das einfach so wollte und im Irak töten sie Jesiden und denken, dann kommen sie ins Paradies." Warum töten Menschen? Diese Frage hat auch Auschwitz ihm nicht beantworten können.

Arbeiten um zu begreifen

Zusammen etwas erreichen, Spaß haben, eine andere Kultur und die deutsche Geschichte kennenlernen: Das steht bei dem Begegnungsprojekt der BBS 6 seit 20 Jahren im Vordergrund. "Was hier passiert ist, können wir in Hannover nicht vermitteln. Um die Geschichte zu verstehen, müssen die Jungs hier sein, handwerklich arbeiten und im wahrsten Sinne des Wortes begreifen", erklärt Sozialarbeiter Claus Schütte. Er organisiert die Fahrt seit Jahren.

"Die Reise hat mein Leben mehr als verändert"

Alexander Himberg, Schüler BBS 6 Hannover © NDR Foto: Carolin Fromm/Mairena Torres
"Die Reise hat mein Leben verändert", sagt Alexander Himberg.

Im Gegensatz zu Barjas schwieg Alexander Himberg während der Arbeit im ehemaligen Vernichtungslager meist. Nur wenn es um das Leid ging, das an diesem Ort geschehen war, erklärte er seinen Mitschülern, was er aus der Geschichte wusste. In Auschwitz hätten die Gefühle bei ihm manchmal verrückt gespielt, sagte er rückblickend auf die Reise. Denn Trauer und der Spaß mit den anderen Schülern wechselten sich stetig ab. Es sei vor allem der Horror, mit dem er konfrontiert wurde, der ihn zum Nachdenken gebracht hätte: "Ich habe mir danach gedacht: Dort passierte so eine Scheiße. Dann kam ich nicht mehr mit dem Gedanken klar, selber Mist zu bauen."

Die Reise habe sein Leben verändert, sagt der 18-Jährige. "Ich hab mich danach viel mehr um meine Zukunft gekümmert. Ich war wieder voller Freude, nicht mehr so niedergeschmettert." Alex ist mittlerweile in seine erste eigene Wohnung gezogen und hat sich einen Praktikumsplatz gesucht. Bald beginnt er eine Bäckerlehre.

Wir bedanken uns für die Unterstützung bei der BBS 6 Hannover, der Stadt Hannover und der Freiwilligen-Abteilung der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau.

Dieses Thema im Programm:

DIE REPORTAGE | 16.01.2015 | 21:15 Uhr

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