Stand: 01.04.2019 09:43 Uhr

Widerspruchslösung? Montgomery hat Bedenken

Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, spricht vor der Eröffnung des 121. Deutscher Ärztetages mit Journalisten. © dpa bildfunk Foto: Monika Skolimowska
Frank Ulrich Montgomery hält eine Widerspruchslösung bei Organspenden nur für teilweise sinnvoll.

Tausende Menschen in Deutschland warten händeringend auf ein Spenderorgan. Das Ziel der Politik deshalb: Mehr Menschen sollen im Fall ihres Hirntods Organe spenden.

Eine Gruppe von Politikern um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach stellt einen fraktionsübergreifenden Antrag vor, der die Dinge revolutionieren soll: Nicht mehr derjenige steht als Spender zur Verfügung, der sich dazu entschließt und den Spenderausweis ausfüllt, sondern alle, die nicht ausdrücklich ihr "Nein" amtlich hinterlegen. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, nannte diesen Vorstoß auf NDR Info "ethisch völlig unproblematisch" und "medizinisch wünschenswert".

Rechtlich gesehen hat Montgomery hingegen Bedenken: Es gebe in Deutschland keinen Rechtsakt, bei dem Schweigen implizit als Zustimmung gewertet werde.

Montgomery hält Zustimmungslösung für denkbar

In diesem Punkt stimmt er überein mit dem Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock. Der hatte auf NDR Info von einem tiefen Eingriff in die Rechtskultur durch die sogenannte Widerspruchslösung von Minister Spahn gesprochen. Das könne nicht richtig sein, so der evangelische Theologe.

Montgomery hält deshalb einen Vorschlag der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock für gangbar: Die sogenannte Zustimmungslösung sieht vor, dass die Zustimmung oder Ablehnung zur Organspende zum Beispiel bei Ausstellung des Personalausweises oder Führerscheins abgefragt wird. So habe jeder die Möglichkeit zu widersprechen, sagte der Radiologe.

9.400 Patienten stehen auf Warteliste für Organtransplantation

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Für Montgomery steht fest: "Jeder sollte sich mindestens einmal oder mehrfach im Leben dazu bekennen, ob er für Organspende oder dagegen ist." Denn von einer reifen Gesellschaft könne man reife Entscheidungen verlangen. Noch immer sei es für die meisten Menschen unangenehm, sich mit dem Tod und den Folgen auseinanderzusetzen, so der Mediziner auf NDR Info. Und auch die aktuellen Debatten über die Organspende hinterließen den Eindruck in der Bevölkerung, dass auch die Spezialisten keine Ahnung hätten.

In Deutschland standen laut Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation zuletzt 9.400 Patienten auf den Wartelisten. Erstmals seit 2010 war die Zahl der Organspender im vergangenen Jahr wieder gestiegen. 955 Menschen spendeten nach ihrem Tod ihre Organe für schwerkranke Patienten. Im Vergleich zu 2017 ist dies eine Steigerung von knapp 20 Prozent.

Montgomery plädiert für Impfpflicht bei Masern

Ein anderes Thema ist für Montgomery unstrittig: Für ihn als Arzt sei es unerklärlich und entsetzlich, dass heute noch Menschen an einer besiegten Krankheit wie Masern sterben müssen, sagte er auf NDR Info. Der Ärztekammer-Präsident plädierte deshalb für eine Impfpflicht: "Die Argumente der Impfgegner sind Humbug, sie sind wissenschaftlich und medizinisch widerlegt."

Aber: Es sei ausgesprochen schwierig Menschen in einer freien Gesellschaft zu zwingen, ihre Kinder impfen zu lassen, so Montgomery. Bei der Durchsetzung müssten deshalb intelligente Instrumente gewählt werden. Dazu zählt für den 66-Jährigen zum Beispiel ein Kita-Verbot für nicht geimpfte Kinder.

Impfpass-Kontrollen an zwei Schulen in Bad Segeberg

Ähnlich gehen mittlerweile Schulen in Norddeutschland vor: An der Dahlmannschule in Bad Segeberg in Schleswig-Holstein dürfen seit Montag nur die Kinder zum Unterricht erscheinen, die vorweisen können, dass sie gegen Masern geimpft sind. Dort kontrollieren Mitarbeiter des Landesgesundheitsamtes entsprechende Nachweise.

Gleiches gilt für die Bad Segeberger Theodor-Storm-Grundschule, um eine weitere Ausbreitung der hoch ansteckenden Krankheit zu verhindern. In Niedersachsen hatte das Landesgesundheitsamt unter anderem in Hildesheim 80 Schüler und fünf Mitarbeiter der Oskar-Schindler-Gesamtschule zeitweise vom Unterricht ausgeschlossen.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Infoprogramm | 01.04.2019 | 07:20 Uhr

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