Wie Käfergelenke Menschen helfen könnten
Gelenkverschleiß ist ein bekanntes Problem des Menschen. Allerdings teilen nicht alle Lebewesen dieses Problem. Die Gelenke von Käfern bieten nach ersten Erkenntnissen von Kieler Forschern große Chancen.
Mit der Pinzette hockt Dr. Konstantin Nadein an einem Mikroskop. Sein Untersuchungsobjekt: ein winzig kleines Käferbein, mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen. Seine Brille liegt neben einer Schale, in der ein toter Käfer liegt. Dem Käfer fehlt ein Bein, das der Doktor mit einer Rasierklinge herausgetrennt hat. Das Bein birgt einen wahren Schatz. Deshalb haben der ukrainische Doktor und ein Forschungsteam aus dem Zoologischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) sich genauer damit beschäftigt.
Kapselgelenk vs. offenliegendes Gelenk
Die Gelenke von Wirbeltieren und damit auch von uns Menschen sind von einer schützenden Kapsel umgeben. Diese enthält eine Flüssigkeit, die die Reibung im Gelenk minimiert. Ganz anders sind die Gelenke von Insekten aufgebaut: Ihre Gelenke liegen unverkapselt offen und sind damit der Umwelt direkt ausgesetzt. Im Gegensatz zu Wirbeltieren ist über die Gelenkstruktur bei Käfern sonst nur sehr wenig bekannt und das obwohl etwa jedes vierte Tier auf der Erde ein Käfer ist und es weltweit über 300.000 verschiedene Arten gibt. Ein Grund mehr für Nadein sich die Kniegelenke des Großen Schwarzkäfers (Zophobas morio) und des Kongo-Rosenkäfers (Pachnoda marginata) genauer anzuschauen. Er entdeckt dabei eine wachsartige Flüssigkeit, die für die Medizin und Mikrosystem-Technik in der Zukunft sehr interessant werden könnte.
Gleitmittel, Polster und Reinigung
Was Nadein bei seinen Forschungen findet, ist bemerkenswert: nach ersten Untersuchungen vermutet er, dass es sich um eine Art Schmiermittel für die Gelenke handelt. "Dieser wachsartige Stoff im Käferbeingelenk, den wir gefunden haben, hat mindestens zwei verschiedene Aufgaben. Zuerst einmal Reibungsminimierung, aber zwischen den Oberflächen kann er auch polstern", erklärt der ukrainische Wissenschaftler. Entsteht also Druck auf dem Käferbein, wird die Flüssigkeit zäher und wirkt so wie ein Polster, das das Aufeinanderreiben der Gelenke verhindert und so die gesamte Oberfläche schützt.
Professor Dr. Stanislav Gorb, der Direktor des Lehrstuhles für Funktionelle Morphologie und Biomechanik der CAU, hat noch eine weitere Hypothese zu der Funktion des neu entdeckten Stoffes. Seine Vermutung: Durch die Flüssigkeit kommt beim Käfer kein "Sand ins Getriebe, obwohl die Gelenke offen liegen". Die Wissenschaftler vermuten, dass das Schmiermittel auch eine reinigende Wirkung im Gelenk haben könnte.
Genaue Untersuchungen in Dänemark
Grundsätzlich ähneln die Gelenke der Insekten mechanischen oder künstlichen Mikrogelenken. Ein Schmierstoff, der bei Gliederfüßern funktioniert, könnte vielleicht also auch in der Mikrorobotik oder in winzigen Prothesen zum Einsatz kommen. Bevor es so weit ist, muss die Flüssigkeit aber erst noch genauer untersucht werden. Dafür ziehen die Kieler Zoologen die Kollegen des Fachbereichs Chemie der Universität Aarhus hinzu. Diese nehmen die physikalischen und chemischen Eigenschaften der mutmaßlichen Gelenkschmiere unter die Lupe.
Gleitet besser als Teflon und ist hitzeresistent

Dabei finden sie mithilfe der Infrarot-Spektroskopie heraus, dass diese Substanz hauptsächlich aus Proteinen besteht. Die Flüssigkeit besitzt eine Schmelztemperatur von mehr als 100 Grad Celsius, zeigt bei Raumtemperatur nach mehreren Tagen keinerlei Anzeichen von Verdunstung oder Zersetzung und auch eine hohe Luftfeuchtigkeit scheint ihr keine Probleme zu machen. Außerdem bemerkenswert: die Gleitwirkung der Käfersubstanz ähnelt der von Teflon. Sie ist vielleicht sogar noch effektiver, vermutet Dr. Nadein: "Die Flüssigkeit wirkt in Bezug auf Reibung mindestens so gut wie Teflon, wahrscheinlich sogar besser." Teflon, das beispielsweise in Bratpfannen Anwendung findet, besitzt die beste Antireibungswirkung, die sich zurzeit künstlich herstellen lässt.
Zukunftsträume auf Käferbeinen
Aktuell kann der ukrainische Wissenschaftler die Substanz nur händisch und zeitaufwendig aus Käferbeinen extrahieren. Das dauert lange und ist teuer. Eine synthetische Herstellung in größeren Mengen ist noch nicht möglich. Die wäre aber nötig, damit das potenzielle Schmiermittel der Zukunft auch in der Wirtschaft eingesetzt werden könnte. Egal ob Mikrorobotik, Prothesen oder bei anderen technischen Anwendungen – Verwendungsgebiete für das Schmiermittel der Zukunft gibt es reichlich. Denn Kugelgelenke, wie Insekten sie haben, werden auch bei Autos, großen Maschinen oder in der Bautechnik eingesetzt. Sollte der ukrainische Biologe weiter in Kiel an den Käferbeinen forschen können, würden also in Zukunft vielleicht nicht nur Roboter und Prothesenträger vollkommen reibungsfrei laufen können.
