Zwischen Brombeerhecken und Gestrüpp: "Lost Places" in Schleswig-Holstein
Der Autor Dietrich von Horn hat in einem Reiseführer 33 "Lost Places", also vergessene Orte, in Schleswig-Holstein zusammengestellt. Darunter sind alte Bunker - aber auch ein Standbild von Kurfürst Friedrich-Wilhelm von Brandenburg.
Er trägt feste Schuhe und eine lange Hose - trotz der Hitze - denn er muss durch fast zwei Meter hohe Brennnesseln durch. Er knickt einen Brombeertrieb ab, der ihm im Weg war, und geht unbeirrt weiter. Dietrich von Horn ist in Bali bei Lilienthal (Kreis Plön) im Wald unterwegs. "Ich muss mich jetzt orientieren. Ich weiß gar nicht mehr, wo das genau war. Hier ist ja jetzt alles zugewachsen." Zuletzt sei er im Winter hier gewesen. Ein Freund hatte ihm erzählt, dass er hier einen sogenannten Lost Place finden würde, einen verlassenen Ort.
Überreste von der Flak-Stellung Lilienthal

Noch ein paar Meter muss er durchs Unterholz. Er läuft den Hügel hoch. Plötzlich sind sie zu sehen: Stahlbetonteile, die aus dem Waldboden heraus ragen. "Das sind die Überreste von der Flak-Stellung Lilienthal!" Flakhelfer haben von hier aus alliierte Flieger abgeschossen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Flakbatterie-Stellung gesprengt und aus Sicherheitsgründen mit Erde aufgefüllt. Noch erhalten ist ein überwucherter Bunker, der einmal als Munitionsdepot diente. Die Tür ist verschlossen. "Heute haben hier nur Fledermäuse Zutritt."
Ein Reiseführer der anderen Art
Der ehemalige Lehrer Dietrich von Horn ist seit seiner Pensionierung Buchautor. Elf Bücher hat er schon geschrieben. Sein Schreibstil ist lustig, seine Themen eigentlich heiter. Jetzt ist er im Auftrag seines Verlages 4.000 Kilometer durch Schleswig-Holstein gereist, um ein Buch über die dunkle Seite Schleswig-Holsteins zu schreiben: 33 Orte sollte er finden. Er beschreibt in seinem Buch die Geschichte missachteter und vergessener Orte und will damit zeigen, dass Schleswig-Holstein mehr ist als nur das Land der Badestrände, Ostfriesennerze und Fischbrötchen. Er sagt: "Wenn man so will, ist es schon eine Art Reiseführer, nur der anderen Art."
Natur holt sich das Gelände zurück
30 Kilometer entfernt Richtung Süd-Ost steht auf einer Anhöhe bei Bad Malente das Berghotel am Krummsee. Von Horn geht einfach aufs Gelände. Der Zutritt zu den Gebäuden allerdings wird durch Bauzäune verwehrt. "Hier ist es eindeutig", sagt der Autor, "wenn ein Zaun da ist, sollte man nicht reingehen." An einem Dachfenster wächst eine Birke, durch die zerborstenen Fenster ist Graffiti an den Zimmerwänden zu sehen - auch von außen kann man bei "Lost Places" einiges entdecken.
Dichter Klaus Groth war hier zu Gast
Von Horn geht den Weg zum Haupthaus hoch. Er ist zum Großteil überwuchert. Die Brombeeren sind langsam reif. Ihnen schenkt er aber keine Beachtung. Er streift um die Häuser. "Für mich hat das Vergängliche eine besondere Ästhetik", sagt er.
Von Horn hat recherchiert, dass in dem leer stehenden und einsturzgefährdeten Hotel mit Blick auf den See im 19. Jahrhundert der niederdeutsche Dichter Klaus Groth oft zu Gast war. Er soll hier auch Gedichte geschrieben haben.
"Wer rein will, betritt hier Privateigentum"

Heute trifft sich von Horn mit Anke Rädel. Sie ist Chefin der Tourismus und Service GmbH von Bad Malente, und hat sich sein Buch bereits gekauft. Allein, weil einige "Lost Places" aus Ostholstein darin zu finden sind. "Ich wollte wissen, was er so schreibt", sagt sie. Sie könne die Faszination für "Lost Places" verstehen und sie freue sich auch über jeden Menschen, der nach Bad Malente kommt, aber sie sieht auch ein Problem: "Wer rein will, betritt hier Privateigentum. Das möchten wir natürlich unseren Gästen nicht raten. Das kann ja auch je nach Lage mal Ärger geben. Und es kann auch gefährlich sein."
Autor von Horn sieht das entspannt: "Ich kläre im Buch natürlich über die Gefahren von 'Lost Places' auf." Und er bittet seine Leserinnen und Leser, die Orte mit Respekt zu behandeln und sie so zu hinterlassen, wie man sie vorgefunden hat. "Man sollte nur die Fußspuren sehen können," sagt er.
Standbild als "Lost Place"
Richtung Norden, gut 70 Kilometer vom Berghotel entfernt steht ein etwas anderer "Lost Place": der große Kurfürst Friedrich-Wilhelm von Brandenburg - direkt an der Uferpromenade von Eckernförde. Bis 1944 stand er allerdings in Pillau in Ostpreußen. Was macht der hier und was macht dieses Standbild zu einen vergessenen Ort? Das fragen sich zwei Urlauber, die gerade stehen geblieben sind. Von Horn klärt sie auf. Man habe in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs das Denkmal vor den anrückenden russischen Soldaten nach Hamburg evakuiert. Elf Jahre später sei die Figur in der Patenstadt Eckernförde aufgestellt worden, "solange, bis sie wieder in die Heimat zurück kann. Damals war man noch davon ausgegangen, dass Deutschland die Ostgebiete irgendwann zurück bekommt. So hat man sich das 1955 noch vorgestellt," erzählt von Horn.
Diese Statue sei natürlich kein "Lost Place" im klassischen Sinne, "aber der zweite Blick zeigt eben: da steckt was dahinter. Da ist eine Historie dahinter, und die aufzudröseln, und das fand ich spannend. Und durch die Geschichte wird dieser Ort dann auch 'dark and lost', also dunkel und vergessen."
Folgt Band Zwei?
Es geht ihm also nicht nur um verlassene Orte, sondern auch um vergessene Geschichten. Eine Reise, die sich für ihn auf jeden Fall gelohnt hat: "Ja, das Thema ist so toll und so vielfältig. Das ist für mich schon ein Ereignis, aber um ehrlich zu sein, es gibt noch viel mehr solcher Orte und Geschichten in Schleswig-Holstein zu entdecken. Vielleicht schreibe ich ja irgendwann einen zweiten Teil."
