Zeitreise: Das Dorf, das sich selbst ein Gymnasium schenkt
1947 ist das Leben auf dem Land einerseits leichter als in den Städten. Es ist wenig bis gar nichts durch den Zweiten Weltkrieg zerstört. Und es gibt kaum einen Mangel an Lebensmitteln. Aber eines fehlt dann doch: der Zugang zu Bildung über die Hauptschule hinaus.
In Satrup im Kreis Schleswig-Flensburg ist die Busverbindung in den Nachkriegsjahren bis in die 1960er-Jahre mehr als mäßig. Nach Schleswig oder Flensburg zu reisen, ist kaum möglich - zumindest nicht ohne viele Mühen. Wer aber ein Gymnasium besuchen möchte, müsste in die Städte. "Für viele hieß das damals, der Besuch einer höheren Schule ist ausgeschlossen", so Walter Clausen. Auch für den heute 74-Jährigen wäre seine Lehrerkarriere vermutlich niemals wahr geworden. Wenn nicht, ja wenn nicht die Satruper das Ganze selbst in die Hand genommen hätten.
Pastorat und Dorfschenke
1947 gründeten Eltern in Satrup einen Schulverein und planten ein Gymnasium. Die Anfänge waren vor allem eines: improvisiert. Zwei Klassen wurden eingerichtet - eine fünfte und eine sechste Klasse. Weil ein Schulgebäude fehlte, wurde die Dorfinfrastruktur genutzt. Der Unterricht fand in der Dorfschenke und im Pastorat statt. Das bedeutete für die Lehrer allerdings, jeweils zwei Kilometer zwischen beiden Klassen hin- und herzufahren. Einige Monate später fand sich eine bessere Lösung.
Die Baracke, die Mäuse und der etwas andere Kunstunterricht
Auf der Insel Sylt wurde eine ehemalige Fliegerbaracke gefunden, gekauft und nach Satrup transportiert. Die Holzbaracke war zugig, wurde anfangs mit kleinen Bolleröfen beheizt und "ab und zu liefen Mäuse durchs Lehrerzimmer", erinnert sich Christine Kroeske. Sie kam 1961 als Kunstlehrerin an die Schule. Und lernte gleich, was es heißt, Lehrerin an einer Dorfschule zu sein. Blätterte die Farbe an der Holzbaracke, strich sie mit ihren Schülern die Schule - in Himmelblau. "Alle haben gern mitgemacht, keiner hat gemurrt. Das war schon toll."
Der erste Abiturjahrgang
Das Gymnasium in Satrup hatte bis 1961 keine Abschlussklasse, galt als Progymnasium, durfte keine Abiturprüfungen machen. Auch hier waren die Satruper mutig und machten einfach. Ohne Genehmigung des Kultusministeriums richtete die damalige Schulleitung eine Abschlussklasse ein und führte Abiturprüfungen durch - mit Erfolg. 18 Schüler machten 1962 Abitur, der anwesende Schulrat war voll des Lobes und plötzlich war die Holzbaracke auf dem Dorf ein vollwertiges Gymnasium. Walter Clausen machte 1968 hier sein Abitur. Und wurde später selbst Lehrer in seiner ehemaligen Schule.
Immer noch Dorfgymnasium
"Wir sind nach wie vor das Dorfgymnasium", so der heutige Schulleiter Jürgen Cordes, "wir haben 4.000 EinwohnerInnen in Satrup und rund 800 SchülerInnen. Da ist mindestens jeder Fünfte irgendwie mit der Schule verbunden. Jeder kennt jeden, Entscheidungen können schnell umgesetzt werden." Die Holzbaracke ist allerdings lange Vergangenheit. 1966 zog die Schule vom alten Standort einen Kilometer weiter in ein neues Gebäude. Heute heißt die Schule Bernstorff-Gymnasium und ist Europaschule.