Ein Verkehrszeichen für das Ende einer Tempo 30-Zone. © Johannes Tran/NDR Foto: Johannes Tran

Tempo 30 in Gemeinden: Verkehr der Zukunft oder Rückschritt?

Stand: 28.04.2022 10:42 Uhr

Die Frage, wie schnell Autofahrer innerorts unterwegs sein dürfen, ist umstritten. Noch gilt Tempo 50 als Höchstgeschwindigkeit. Aber mehrere Kommunen in SH diskutieren über flächendeckende Tempo-30-Zonen.

von Johannes Tran

Da steht es also. Eines der Schilder, um das sie hier in Moorrege (Kreis Pinneberg) so lange gerungen haben. Abgerundete Ecken, weißer Hintergrund, roter Kreis. Darin: eine schwarze 30. Das Schild, so unscheinbar es auch sein mag, steht für ein Politikum. Es markiert den Beginn einer 30er-Zone. Während ein paar Meter weiter der Verkehr mit 50 Stundenkilometern auf der Durchgangsstraße durch den Ort rauscht, sollen hier - wie auf fast allen anderen Straßen in der 4.500-Einwohner-Gemeinde - künftig nur noch 30 Stundenkilometer erlaubt sein.

Bürgermeister: "Wir mussten sehr hartnäckig sein"

Ein Mann steht vor einer Straße und schaut in die Kamera. © Johannes Tran/NDR Foto: Johannes Tran
Der Moorreger Bürgermeister, Wolfgang Balasus, musste lange beim Kreis für die Umsetzung werben.

Beschlossen hatte der Gemeinderat die flächendeckende Tempo-30-Regelung schon im Jahr 2019. Umgesetzt wird sie aber erst jetzt. So lange habe es gedauert, um die nötigen Genehmigungen vom Kreis Pinneberg zu erhalten, erzählt der Bürgermeister Wolfgang Balasus. "Wir mussten sehr hartnäckig sein, damit es mit der Umsetzung vorangeht."

Tatsächlich ist Moorrege die erste Gemeinde im Kreis, die eine derartige flächendeckende Tempo-Regelung beantragt hat, bestätigt eine Kreissprecherin. Mittlerweile sind weitere Gemeinden gefolgt: Auch Bönningstedt, Tornesch und Borstel-Hohenraden haben entsprechende Beschlüsse gefasst. Und sie sind nicht die einzigen, die für mehr Gemächlichkeit auf der Straße plädieren.

Meldorf und Kiel sind einem Bündnis beigetreten

Die Städte Meldorf (Kreis Dithmarschen) und Kiel haben sich ebenfalls für mehr Tempo-30-Limits ausgesprochen. Sie sind dem bundesweiten Bündnis "Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten" beigetreten. Die Initiative fordert, dass Kommunen einfacher Geschwindigkeitsbegrenzungen anordnen können, wenn sie es für nötig halten.

Wieso also entscheidet sich eine Gemeinde wie Moorrege für Tempo 30? Die Initiative dafür kam unter anderem von den Grünen im Gemeinderat. Thorben Repenning, Gemeindevertreter der Partei, sagt: "Das war extrem kontrovers. Es sind danach Leute zu uns gekommen, die gesagt haben: Ihr seid also die, die uns aufhalten wollen."

Gemeindevertreter: "Wir wollten nicht erst nach einem Unfall handeln"

Dabei sei es bei der Initiative vor allem um mehr Verkehrssicherheit gegangen, sagt Repenning. Er erzählt von einem Spielplatz, der direkt an einer Straße lag, in der Tempo 50 galt. "Da musste man immer aufpassen, dass die Kinder nicht auf die Straße laufen." Durch die generelle Geschwindigkeitsbegrenzung werde der Verkehr deutlich sicherer, es könnten jetzt wieder mehr Kinder auf der Straße spielen. "Wir wollten nicht erst im Nachgang nach einem Unfall handeln, sondern präventiv", erklärt der Gemeindevertreter. Ein angenehmer Nebeneffekt sei außerdem, dass der Verkehr deutlich leiser sei als zuvor.

Tempo 30 bringt drei Dezibel weniger Lärm

Ein Mann steht mit einem Messgerät neben einer Straße. © Johannes Tran/NDR Foto: Johannes Tran
Mit seinem Messgerät analysiert Lärmgutachter Mirco Bachmeier den Straßenlärm.

Wer wissen will, ob es einen hörbaren Unterschied macht, wie viel Stundenkilometer in einer Straße erlaubt sind, der kann bei Mirco Bachmeier nachfragen. Bachmeier ist Geschäftsführer einer Hamburger Firma mit dem Namen "Lärmkontor". Er erstellt Gutachten zu Straßenlärm - etwa damit Kommunen wissen, ob sie Lärmschutzwände an einer Straße installieren sollten. "Tempo 30 ist eine schnelle Maßnahme, um Lärm zu reduzieren", sagt Bachmeier. Berechnungen hätten gezeigt, dass ein solches Tempolimit die Geräuschbelastungen im Vergleich zu Tempo 50 um drei Dezibel verringern könne. "Das ist so viel wie die Halbierung des Verkehrs."

Reifen werden bei höheren Geschwindigkeiten deutlich lauter

Folgt man also Bachmeiers Analysen, bedeutet das: Wenn fünf Autos durch eine 50er-Zone fahren, ist das in etwa so laut, wie wenn zehn Autos durch eine 30er-Zone fahren. Das liege vor allem daran, dass das Geräusch der Reifen bei Geschwindigkeiten von über 30 Stundenkilometern deutlich lauter werde als der Motorenlärm. Der Lärmgutachter plädiert deshalb für ein Umdenken in der Verkehrspolitik. "Man sollte vor Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit weniger Angst haben", sagt Bachmeier.

ADAC befürchtet zähfließenden Verkehr

Dabei stößt die Idee, innerorts flächendeckende Tempo-30-Zonen einzuführen, nicht nur auf Begeisterung. Ein Sprecher des ADAC schreibt, es handle sich um "ideologiegetriebene Maßnahmen, die den Bürger entmündigen und durch erzieherische Maßnahmen zu einem vermeintlich grünen Lebensstil zwingen wollen." Tempo 30 innerorts führe zu Ausweichverkehren durch Wohngebiete und zu schlechterer Luftqualität, weil es verstärkt zu zähfließendem Verkehr komme. Außerdem leide die Attraktivität des öffentlichen Personennahverkehrs, weil Busse ebenfalls langsamer fahren müssten, so der ADAC-Sprecher.

Die Hoffnung: Weniger schwere Unfälle

Der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) spricht sich dagegen für die Tempo-30-Regelung aus. In 30er-Zonen würden sich 40 Prozent weniger Unfälle mit Personenschäden ereignen als in vergleichbaren Abschnitten mit Tempo 50, schreibt Frederik Meißner, Büroleiter des VCD in Schleswig-Holstein. "Insbesondere dort, wo Radfahrende auf der Straße fahren müssen, weil kein Radweg vorhanden ist, sollte in Ortschaften grundsätzlich Tempo 30 angeordnet werden", meint er. Der VCD fordert, dass Kommunen mehr Gestaltungsspielraum erhalten, um Tempo 30 anzuordnen.

Gemeindetag will mehr Mitbestimmung für Kommunen

Diese Forderung stellt auch der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag. Allerdings gibt er keine generelle Empfehlung für oder gegen ein solches Tempolimit ab. "Ob sich Tempo 30 flächendeckend eignet, hängt sicher stark von der Struktur des Gemeindegebiets und den jeweiligen Folgen für den Verkehr ab", schreibt Jörg Bülow, Leiter der Geschäftsstelle in Kiel. "Nicht alle Straßen eignen sich dafür."

Der Bürgermeister der Gemeinde Moorrege, Wolfgang Balasus, ist derweil überzeugt, dass eine große Mehrheit im Ort hinter dem Konzept steht. "Vielleicht werden wir nicht den letzten Bleifußjünger überzeugen können", sagt er. "Aber ich habe schon sehr viel Zuspruch erhalten." Die Gemeinde will bald Piktogramme auf der Fahrbahn anbringen, um auf die neue Regelung aufmerksam zu machen. Der Bürgermeister meint: Es sei auch eine Frage der Zeit, bis sich alle an das neue Fahrgefühl gewöhnt hätten.

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Verkehrsschild in einer Tempo-30-Zone © picture alliance / JOKER Foto: Erich Häfele

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NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 28.04.2022 | 07:00 Uhr

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