Untersuchungsausschuss zur Rockeraffäre im Landeshaus in Kiel © dpa-Bildfunk/Carsten Rehder Foto: Carsten Rehder

Polizei-Ausschuss: Weder Freispruch noch Verurteilung

Stand: 24.03.2022 05:00 Uhr

Der Untersuchungsausschuss zur sogenannten Rocker-Affäre hat in seinem Abschlussbericht Mängel benannt, aber kein konspiratives Netzwerk in der Polizei nachgewiesen.

von Constantin Gill

Ganz am Ende des insgesamt 1.000 Seiten starken Untersuchungsberichts kommt noch einmal der Ermittler zu Wort, mit dem die Zeugenvernehmungen im Landtag vor gut drei Jahren begonnen hatten. Axel R. schreibt in seiner Stellungnahme zum Abschlussbericht: "Zumindest einige Missstände in Polizei und Justiz werden vom Parlament wohl erstmalig öffentlich benannt, ohne dabei die Institutionen vorzuführen." Doch insgesamt zieht R. das Fazit: "Es bleiben viele Fragen und Enttäuschungen."

Axel R. war einer der beiden Polizisten, die im Zuge der Rocker-Ermittlungen 2010 die Information einer vertraulichen Quelle aus dem Rocker-Milieu in die Ermittlungsakte schreiben wollten. Daran entzündete sich ein Konflikt, der die Abgeordneten im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) bis zum Donnerstag beschäftigt hat.

Wirbel um einen Vermerk

Polizei vor Subway © NDR Fernsehen
Neumünster im Januar 2010: In einem Schnellrestaurant werden Anhänger des Motorradclubs "Red Devils" angegriffen. Einer wird in der Messerstecherei lebensgefährlich verletzt.

Immer wieder haben Zeugen im Untersuchungsausschuss die Abläufe geschildert, den blutigen Rocker-Überfall im Schnellrestaurant "Subway" in Neumünster im Januar 2010. Und die Abläufe danach.

Axel R. und sein Kollege Martin H. waren in der Soko Rocker mit den Ermittlungen betraut. Als es zwischen ihnen und ihren Vorgesetzten unterschiedliche Auffassungen darüber gab, wie mit der vertraulichen Info umgegangen werden sollte, die möglicherweise einen Verdächtigen entlastet hätte, eskalierte der Konflikt.

Am Ende wurden die beiden Ermittler versetzt. Als die Vorgänge im Jahr 2017 an die Öffentlichkeit kamen, gab es Vorwürfe der Aktenmanipulation, der Unterdrückung von Beweismitteln und des Mobbings. Die Spitze der Landespolizei geriet unter Druck.

Autoritäres Netzwerk oder schwierige Mitarbeiter?

Während die einen ein Netzwerk in der Polizei sahen, das missliebige Beamte absägte und Günstlinge bevorzugte, sahen andere eine Kampagne gegen die Landespolizei, angestachelt von zwei renitenten Ermittlern. Am Ende scheint beides nicht zuzutreffen: "Im Ergebnis stelle ich für mich fest, dass Vorwürfe in der Vergangenheit, dass Grenzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens bewusst und strukturell überschritten worden seien, sich als haltlos erwiesen haben", sagt der Ausschussvorsitzende Tim Brockmann von der CDU.

Und der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, Kai Dolgner, sagt: "Es gibt keine Hinweise für illegale Überwachungsmaßnahmen, konspirative Netzwerke von Polizeiführern oder der Vernichtung von Beweismitteln." Jedoch sieht er "gravierende Mängel in Fehler- und Führungskultur in Teilen des LKA, Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze wie Aktenwahrheit und -klarheit und beim Umgang mit Vertraulichkeitszusagen, überzogene Personalmaßnahmen, fehlende Kontrolle und mangelndes gegenseitiges Vertrauen." Dolgner führt weiter aus: "Ebenso steht nach unserer Auffassung aber auch fest, dass keinem der Beteiligten vorzuwerfen ist, dass sie kriminellen Rockern irgendeinen Gefallen tun wollten."

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Unklare Regeln Ursache für Konflikt?

Vor allem beim Umgang mit V-Leuten und deren Informationen ist aus Sicht der Ausschussmitglieder vieles falsch gelaufen. Grünen-Obmann Burkhard Peters sagt: "Der Umgang mit verdeckten Quellen durch das LKA, die Staatsanwaltschaft Kiel und die Polizeiabteilung im Innenministerium hat sich in der Vergangenheit als höchst problematisch dargestellt."

Wer wie viel an Verantwortung daran trägt, dazu gibt es unterschiedliche juristische Bewertungen. Sie werden im Abschlussbericht "gleichgewichtig nebeneinandergestellt, ohne zwischen Mehrheits- und Minderheitsmeinung unterscheiden zu müssen", wie es darin heißt.

Konkret haben sich CDU, SPD, Grüne und SSW auf eine gemeinsame Darstellung verständigt. Sie betonen darin, dass beim schwierigen Umgang mit V-Leuten und deren Informationen klare rechtliche Grundlagen wichtig sind, sowie eine hohe fachliche Qualifikation der handelnden Personen.

Beides war, heißt es im Bericht, "im vorliegenden Fall nicht durchgängig gewährleistet." Und: "Dieser Mangel an Qualifikation von Führungskräften mag im Zusammenwirken mit weiteren ungünstigen Faktoren auch die Ursache für die hier zu untersuchenden Vorgänge sein."

Unterschiedliche Bewertungen des PUA

Bei der Frage, ob die vertrauliche Information in die Ermittlungsakte gehörte, ist das Fazit von CDU, SPD, Grünen und SSW eindeutig: Der Hinweis der V-Person musste verschriftlicht werden. Und: Eine Weisung des Vorgesetzten, genau das nicht zu tun, hätte es nicht geben dürfen.

Das heißt auch: Die Mehrheit der Abgeordneten im Untersuchungsausschuss gibt den beiden Ermittlern Recht, die auf eine Verschriftlichung der vertraulichen Information bestanden hatten.

"Der Ausschuss teilt die Rechtsauffassung der Ermittler A.R. und M.H., nach der die Information der Quelle [...] zwingend hätte verschriftlicht und zur Akte gegeben werden müssen. Der Grundsatz der Aktenklarheit und Aktenwahrheit, aber auch der Grundsatz des rechtsstaatlichen Verfahrens ließ hier keine andere Verfahrensweise zu." Auszug aus dem PUA-Abschlussbericht

Der FDP-Abgeordnete Jan Marcus Rossa weicht in seiner Bewertung hier ab: Er sieht beim zuständigen Staatsanwalt eine größere Verantwortung - aber auch die beiden Ermittler hätten aus seiner Sicht nicht das Recht gehabt, die vertrauliche Information des Hinweisgebers zu verschriftlichen.

"Dies ergibt sich nicht nur aus formalen Zuständigkeiten innerhalb der Landespolizei [...], sondern auch aus dem Umstand, dass die beiden Ermittlungsbeamten nicht in der Lage gewesen sind, eine potentielle Gefährdung von Leib und Leben der Quelle zu bewerten. Die eigenmächtige Verschriftlichung vertraulicher Hinweise einer ihnen persönlich nicht bekannten Quelle durch die Ermittler A.R. und M.H. war demnach rechtswidrig." Jan Marcus Rossa, FDP-Abgeordneter im Untersuchungsausschuss

Eine persönliche Schuld will der Ausschuss aber ohnehin niemandem zuweisen. Eindeutig entlastet wird aber auch niemand.

Anwalt: Bericht "tendenziös"

Während die beiden Ermittler sich wohl noch deutlichere Formulierungen im Abschlussbericht erhofft hätten, gilt für die Rechtsbeistände der damaligen Polizeispitze das Gegenteil. So nennt etwa der Vertreter des damaligen Abteilungsleiters und späteren Landespolizeidirektors Ralf Höhs, Josef Konrad Rogosch, den Bericht des PUA "tendenziös."

Er verteidigt den Umgang mit den beiden Ermittlern inmitten des Rocker-Krieges in Schleswig-Holstein: "Bisweilen ist in dieser medial und politisch aufgeheizten Situation notwendigerweise eindeutiges und klares Führungsverhalten gegenüber schwierigen Personen angezeigt, damit die Soko Rocker ihre Arbeit, was auch geschehen ist, erfolgreich beenden konnte."

Auch die Reaktion der Gewerkschaft der Polizei (GdP) fällt vernichtend aus. Der PUA habe "letztendlich nur das bestätigt, was die Landespolizei schon im Mai 2017 öffentlich machte: Es gab defizitäre Abläufe und Kommunikation in Teilen des Landeskriminalamtes." Aus Sicht des SPD-Obmanns Dolgner dagegen ging es nicht nur um Kommunikationsprobleme, sondern auch um "diverse rechtswidrige Verhaltensweisen", etwa die Anweisung, entlastende Hinweise nicht zu verschriftlichen.

Warum musste die Polizeispitze wirklich gehen?

Die führenden Köpfe der Landespolizei wurden ausgetauscht, als die Vorwürfe von Aktenmanipulation und Mobbing 2017 schon eine Weile im Raum standen. Allerdings geschah das ausdrücklich nicht wegen der sogenannten Rocker-Affäre, hieß es damals. Welche Gründe es tatsächlich waren, hat der Ausschuss zu klären versucht.

Nur ließen sich die Zeugenaussagen der Beteiligten nicht in Einklang bringen: Der damalige Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) sah eine mangelnde Kommunikationsbereitschaft und ein "Kräftemessen" bei den Polizeiführern. Der ehemalige Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, Jörg Muhlack, meinte dagegen, dass es bei Grote mit Blick auf die Berichterstattung zur "Rocker-Affäre" schon früh einen Entschluss gegeben habe, personelle Konsequenzen zu ziehen.

Der Ausschuss vermutet in seinem Bericht nun, dass Grote, der anders als seine Vorgänger ohne Regierungs- oder Polizeierfahrung ins Amt kam, mehr Transparenz wollte und ein höheres Informationsbedürfnis hatte - was legitim sei. Dieses Informationsbedürfnis wiederum sei von der damaligen Polizeispitze aber als Misstrauen ausgelegt worden. Damit sei das Vertrauensverhältnis gestört und die Ablösung nur eine Frage der Zeit gewesen, schlussfolgert der PUA.

Was vom PUA bleibt

Während etwa die GdP moniert, die "Ausschusskosten in Millionenhöhe" (allein für die Landtagsverwaltung waren es gut 2,8 Millionen Euro) hätten "weitaus sinnvoller verwendet werden können", verweisen Ausschussmitglieder auf die Bedeutung parlamentarischer Kontrolle der Exekutive. Und auf ihre Empfehlungen und erste gesetzgeberische Konsequenzen.

So empfehlen die Abgeordneten LKA und Staatsanwaltschaften eine "grundsätzliche Nachbetrachtung." Dass der Umgang mit V-Leuten strenger geregelt wird, hat der Landtag bereits beschlossen. Darüber hinaus sollten Kontaktpersonen von V-Leuten aber auch in regelmäßigen Abständen wechseln, heißt es in den Empfehlungen.

Wenn es darum geht, Führungspersonal auszuwählen, fordert der Ausschuss, dass dabei besonders auf "soziale Kompetenz, Kommunikationsfähigkeit und Sensibilität gegenüber Konflikten" geachtet werden sollte. Dass es inzwischen ein Frühwarnsystem für Konflikte bei der Polizei gibt, begrüßt der Ausschuss und empfiehlt der Landesregierung, diese Mechanismen zu evaluieren.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 24.03.2022 | 10:00 Uhr

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