NDR Forschungstaucher suchen nach Invasoren in der Ostsee

Stand: 02.09.2022 19:50 Uhr

Wie viele der Tierarten in der Ostsee sind eigentlich heimisch? Die Antwort überrascht. Forschungstaucher Philipp Jeß und Jonas Drescher nehmen die Wissenschaft in dieser Folge von "Salty FiSH" selbst in die Hand.

von Jonas Drescher

Chinesische Wollhandkrabbe, Zebramuschel oder die Meerwalnuss - all das sind invasive Arten, zu finden bei uns in der Ostsee. Wer ist schuld? Kolumbus. In der Wissenschaft unterscheidet man in Archaeobiota, Arten, die vor 1492, und Neobiota, Arten, die nach 1492 eingewandert sind. Das hat mit der Entdeckung von Amerika durch Christoph Kolumbus zu tun. Er brachte nämlich nicht nur Gold und unentdeckte Landstriche mit zurück.

Die Archaeobiota sind eingewandert, als die letzte Eiszeit aufhörte und die Gletscher Platz für neue, an das neue Klima angepasste Arten machten. Invasion ist also ein Prozess, der auch durch den menschengemachten Klimawandel beschleunigt wird.

Suche nach Invasoren am Klärrohr

Wir gehen auf die Suche nach den invasiven Arten. Wie viele gibt es - und wie weit haben sie sich tatsächlich schon in der Ostsee verbreitet? Verdrängen sie andere Arten? Wir bekommen den Tipp, dass es besonders viele davon an einem zugewachsenen Klärrohr zu finden sein sollen. Beim ersten Tauchgang stelle ich mir weitere Fragen: Erstens, wo sind die ganzen Tiere? Zweitens, wieviel von dem Wasser, in dem ich schwimme, hat sich eigentlich schon in Kieler Toiletten befunden? Um das Rohr wuchert es nur so von Algen. Philipp und ich buddeln im Sand wie zwei Kinder auf dem Spielplatz, um wenigstens amerikanische Schwertmuscheln, Ensis directus, zu finden. Diese haben sich nämlich, wie viele andere Arten mittlerweile vor deutschen Küsten breitgemacht. Die einheimischen Schwertmuscheln, welche normalerweise in tieferem Sediment leben, haben das bisher nicht gestört. Für viele tauchende Meeresvögel sind sie eine neue Nahrungsquelle. Von den hohen Stückzahlen ist hier vor Bülk bei Kiel aber nichts zu sehen. Außer viel Sand haben wir kein Tier an die Oberfläche befördert.

Kollege hat Tipp für die Forschungstaucher

Wir tauchen zu dritt auf. Keine Invasion? Es ist nicht das erste Mal, dass wir in der Ostsee tauchen. Wir haben auch schon einige Neobiota, wie invasive Arten auch genannt werden, dabei beobachten können. Liegt es an der Jahreszeit, dass wir diesmal keine finden? Wir sind im Mai unterwegs. Aber wir geben nicht auf und rufen die Kavallerie: Uli Baron vom NDR Taucherteam kommt mit dem Schlauchboot angefahren und holt uns raus. Er hat einen Tipp, vor Möltenort bei Kiel seien einige zu finden. Also raus aus dem Wasser, rein ins Schlauchboot und in spritzender Gischt die Förde runter. Wir machen am leicht in die Jahre gekommenen Steg fest. Das Wasser ist nicht tief, aber es sieht schon anders aus: Seegras und Miesmuschelbänke. Sogar ein paar Fische sehen wir. Der dritte Tauchgang, wir müssen doch etwas finden.

Ostsee-Safari mit Algenteppich und Tieren

Tatsächlich, Philipp taucht mit einer Schwertmuschel auf. Naja, fast. Es ist nur eine Schale. Wir sind also wieder mehr oder weniger erfolglos gewesen. Wir wurden aber mit schönster Aussicht belohnt. Rote, grüne und gelbe Algen, die sich im Wasser wiegen. Feuerquallen, die wie ein Schnappschuss in der Wassersäule feststehen. Glasgrundeln und Seegras, zottige Meersaiten. Wenn man einfach nur zuschaut, was es alles so zu entdecken gibt, kommt man nicht umhin, sich über die vielen verschiedenen Arten zu freuen. Für uns eine kleine Ostsee-Safari. Aber wir geben nicht auf, deswegen telefonieren wir mit Markus Zimmerer, dem Leiter des Ausbildungszentrums der Kieler Forschungstaucher.

Suche mit Kieler Forschungstauchern

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Anderer Tag: Bei einem Trainingstauchgang im Hafen kriegen wir Unterstützung. Acht ausgebildete Forschungstaucher helfen uns im Hafenbecken bei der Suche. Das ist nämlich eine Art Bahnhof für invasive Arten, die häufig im Ballastwasser von Schiffen oder an deren Rümpfen als blinde Passagiere mitreisen. Und diesmal haben wir Glück: Eine asiatische Strandkrabbe, Hemigrapsus takanoi, eine pazifische Auster und sogar eine japanische Anemone, Haliplanella lineata, finde ich unter Wasser. Die Strandkrabben werden uns von den Wissenschaftlerinnen vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, die schon am Steg warten, entgegengenommen. Sie wollen vor allem die Weibchen untersuchen.

Keine Austern für den Austernfischer

Später besuchen wir das Ostseezentrum in Eckernförde, um uns nochmal ein bisschen weiterzubilden. Wir erfahren, dass nicht nur wir Probleme mit invasiven Arten haben. Wir exportieren selbst: In der Sargassosee hat sich unsere heimische Strandkrabbe niedergelassen. Die Meerwalnuss, welche aus dem Atlantik kommt, hat im schwarzen Meer zu einer Sardellenkrise geführt, vermutet man. Da sie dasselbe Futterspektrum wie die Larven der Fische haben, gab es für diese nicht mehr genügend Nahrung. Die pazifische Auster hingegen hat sich mittlerweile in der Nordsee ganz gut eingelebt: Sie siedelt zusammen mit Miesmuscheln und einigen heimische Vogelarten, wie der Austernfischer beginnen sie zu lernen, wie man zwischen die Miesmuscheln kommt. Austern stehen beim Austernfischer nämlich trotz des Namens nicht auf dem Speiseplan. Auch die Meerwalnuss kommt seit ihrer Entdeckung in der Ostsee 2006 nicht mehr ganz so zahlreich vor. Die Vorkommen haben sich eingependelt.

"Learning by doing" in der Ostsee

Eigentlich wollten wir ja nur mal gucken, Philipp und ich. Dabei haben wir dann doch ziemlich viel gelernt. Einfach mal machen - "Learning by doing". Natürlich ist zwei Tage tauchen nicht gleichzusetzen mit einer wissenschaftlichen Studie. Aber, um mal einen Eindruck davon zu bekommen, ob wir von invasiven Arten überfallen werden, war es ganz gut. Werden wir nämlich nicht. Ob eine Art "gut" oder "schlecht" ist, beurteilt letztlich der Mensch. Das hängt meistens mit wirtschaftlichen Folgen zusammen. Die Natur schafft es ganz gut sich selbst zu regeln. Nämlich dann, wenn die Invasoren heimisch werden. 

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 05.09.2022 | 19:30 Uhr

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