Catcalling: Mit Kreide gegen sexuelle Belästigung
Beim sogenannten Catcalling geht es um unhöfliche, sexuelle Bemerkungen im öffentlichen Raum. Auch Hinterherpfeifen gehört dazu. In Kiel macht eine Gruppe von Frauen mit einer besonderen Aktion darauf aufmerksam.
Laut einer Umfrage der Universität Trier hat eine große Mehrheit der Frauen Catcalling bereits erlebt. Studentin Frieda Müller, 24 Jahre alt, geht mit Kreide seit zwei Jahren dagegen vor. Über den Instagram-Account "catcallsofkielcity" wenden sich Betroffene an sie und ihre Mitstreiterinnen. Diese schildern eine konkrete Erfahrung inklusive des Ortes, an dem es passiert ist. Genau dorthin geht Frieda Müller - und schreibt die Situationen öffentlich sichtbar auf. NDR Schleswig-Holstein hat mit ihr gesprochen.
Frau Müller, können Sie erklären, warum sie mit Straßenmalkreide auf sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum aufmerksam machen?
Frieda Müller: Ich kreide die "Catcalls" an, weil ich dadurch das Gefühl bekomme, dass ich gegen diese Machtlosigkeit, die man immer empfindet, wenn so etwas passiert, etwas tun kann. Und es ist ein sehr einfaches Mittel, mit Kreide auf die Straße zu schreiben.
Was erhoffen Sie sich dadurch?
Eigentlich geht es mir vor allem darum, dass ich den Betroffenen, die mir die Nachrichten zusenden, den Raum an dem ihnen die Tat passiert ist, zurückgebe. Und dafür ein Bewusstsein schaffe - auch den Menschen, die vielleicht nicht betroffenen sind, zu zeigen, dass so etwas eigentlich überall in der Stadt passiert.
Und wie reagieren die Passantinnen und Passanten?
Wir werden relativ häufig angesprochen, wenn wir ankreiden gehen. Und das ist nicht immer positiv. Zum Beispiel sagen vor allem weiblich gelesene Personen: "Ach, mich würde das nicht stören" oder "Ich würde das jetzt nicht so schlimm sehen". Aber da muss ich sagen: es ist nicht dir passiert und es kommt ja auch immer auf die Situation an.
Gibt es auch Zuspruch?
Ja. Oft werden wir auch von älteren Frauen angesprochen, die sich noch sehr gut an ihre Belästigungen erinnern können. Das ist etwas, was ich immer sehr krass finde, weil es teilweise schon 60 Jahre oder so zurückliegt, was ihnen passiert ist und da wird mir auch bewusst, dass es jetzt kein neues Problem ist. Und vor allem eben auch, wie belastend es sein kann. Das man sich ein Leben lang daran erinnern kann.
Und was machen solche Gespräche mit Ihnen?
Es gibt mir total viel, wenn man positive Rückmeldungen bekommt, sei es auf der Straße oder auf Instagram - da bekommen wir sehr viel Unterstützung. Viele schreiben uns dort auch, dass es das erste Mal ist, dass sie überhaupt diese Geschichte erzählen.
Inwiefern hat sich Ihre Haltung zu Catcalls verändert?
Man ist nicht die schuldige Person. Was ich früher immer gedacht habe, weil niemand in der Schule darüber redet. Am Anfang dachte ich: Ach, ich habe einen zu kurzen Rock an. Aber die Schuld liegt nicht bei der Betroffenen, die Schuld liegt immer bei den Täterinnen und Tätern. Wobei es meistens Täter sind, die sich einfach herausnehmen, respektlos fremde Personen anzusprechen.
Wie groß schätzen Sie das Problem insgesamt ein?
Wir bekommen sehr viele Nachrichten, das hätte ich am Anfang nicht gedacht, weil Kiel ja nicht so groß ist. Aber wir bekommen mehrmals die Woche Nachrichten. Es sind so viele, dass wir manchmal echt nicht hinterher kommen, die anzukreiden und zu posten.
Können Sie eine Größenordnung nennen?
Wir haben in den vergangenen zwei Jahren bestimmt schon über 100 Catcalls angekreidet. Und es stehen noch einige aus, wir kommen nicht hinterher, weil es einfach zu viel ist. Und das ist ja auch mit einer großen Dunkelziffer verbunden. Die Person, die uns schreiben will, muss auf Instagram sein, sie muss uns kennen. Es sind also nur wenige von denen, denen das passiert.
Gibt es denn Orte, die euch besonders häufig genannt werden?
Es gibt keinen Stadtteil oder Bereich, der nicht davon betroffen ist. Man muss sagen, Kiellinie oder Bahnhof sind schon Hotspots, weil dort einfach viele Menschen unterwegs sind. Aber wie gesagt, es passiert überall. Und man kann dem ja auch nicht entgehen. Es passiert beim Einkaufen, auf der Straße, beim Joggen. Bei allen ganz normalen Aktivitäten, die man macht.
Wen wollen Sie denn mit den Ankreidungen erreichen?
Das erste Ziel ist es, Bewusstsein zu schaffen. Zu zeigen, wie oft es passiert. Und natürlich ist es auch ein Ziel, dass wir ein paar von den Täterinnen und Tätern erreichen, die vielleicht dadurch reflektieren und merken: Es war nicht okay, dass ich das gesagt habe. Weil, vielleicht ist es manchmal nicht böse gemeint, aber dieses Bewusstsein muss einfach entstehen, dass es nicht in Ordnung ist.
Warum gehen denn die Betroffenen nicht zur Polizei und erstatten Anzeige?
Weil es zwar schön wäre, aber aktuell nicht strafbar ist. Und auch da gibt es viele Schwierigkeiten, weil man es in der Regel nicht nachweisen kann. Oft sind es fremde Personen, die mit dem Auto vorbeifahren oder mit dem Fahrrad. Und da kann man natürlich nicht benennen, wer das gewesen sein könnte. Deswegen geht es vor allem um das Bewusstsein und natürlich auch, um für die Betroffenen da zu sein und ihnen zu zeigen, dass es kein Einzelfall ist, sondern ein gesellschaftliches Problem. Und dass man da auch nur gesellschaftlich etwas dran ändern kann, indem man darüber spricht.
Das Gespräch führte Laura Albus.