Minderheiten: Gleiche Herausforderungen, andere Ansätze
Vier Wochen lang war die Wanderausstellung "Was heißt hier Minderheit?" im schleswig-holsteinischen Landtag in Kiel zu sehen. Bei der Finissage am Donnerstag stand der Austausch zwischen den Minderheiten und Volksgruppen im Fokus.
Millionen Menschen im Land gehören einer der autochthonen - also einheimischen - Minderheiten und Volksgruppen an. Sie haben alle eine eigene Kultur, eigene Bräuche, Sitten und Traditionen. Sie sprechen eine eigene Sprache, haben oft ihre Schulen und Kindergärten, eigene Musik und Tänze. Vier davon sind staatlich anerkannt, werden geschützt und gefördert: die Friesen, die Dänen, die Sorben und die deutschen Sinti und Roma. Dazu kommen die Plattschnacker, deren Sprache als Regionalsprache anerkannt ist und Menschen in ganz Deutschland verbindet.
Wie die Gegenwart und Lebensrealität dieser Minderheiten und Gruppen aussieht, losgelöst von gängigen Klischees, zeigt die Wanderausstellung "Was heißt hier Minderheit?" mit interaktiven Stationen. "Een Element, dat uns all verbinnen deit, is, dat wi uns wünscht, dat wi sehen un wohrnahmen warrt", sagt Christiane Ehlers vom Niederdeutschsekretariat. Sie ist eine der Initiatorinnen. Damit die Finissage für alle einen Mehrwert bietet, hat Ehlers das "Speed-Debating" organisiert: 15 Minuten in Kleingruppen zu jeweils einem Thema, das in den jeweiligen Gruppen gerade einen hohen Stellenwert hat.
Die Dänen: Bildung an den Dänischen Schulen in Deutschland
Mehr als 40 Dänische Schulen gibt es in Schleswig-Holstein. Von der ersten Klasse bis zur gymnasialen Oberstufe werden die Kinder hier in jedem Fach auf Dänisch unterrichtet, der Abschluss wird sowohl in Dänemark als auch in Deutschland anerkannt. "Bildung ist unsere Zukunft und deshalb ist es uns wichtig, dass die Kinder mit der dänischen Pädagogik aufwachsen", erklärt Gitte Hougaard-Werner. Sie leitet die Dänische Schule in Elsdorf-Westermühlen (Kreis Rendsburg-Eckernförde) und weiß, dass sie im Vergleich mit anderen Minderheiten sehr gut dastehe: Lehrkräfte, die Muttersprachler sind - ein Curriculum vom Ministerium.
Das große Thema sei eher der Umgang mit Schülerinnen und Schülern, die keine dänischen Wurzeln haben. Denn an den Schulen werde nun mal auch vermittelt, was es heißt, Dänisch zu sein. "Wir versuchen da, eine Identität aufzubauen", sagt die Schulleiterin. Wenn die Eltern da selbst nicht richtig hinter stehen würden, gebe es Probleme. "So Dänisch wie möglich, so Deutsch wie nötig", sei das Motto.
Die (Nord-)Friesen: Unschärfe als Prinzip

"Ich weiß, da kann sich erst mal keiner was drunter vorstellen", sagt Ellin Nickelsen lachend zum Thema ihrer Debattenrunde. Die Vorsitzende des Vereins Nordfriesisches Institut hat dafür eine sehr bildliche Vorstellung, was gemeint sein könnte: Wie bei einem Gemälde, das aus unzähligen einzelnen Punkten bestehe und sich erst von weit weg betrachtet zu einem Bild füge, so seien auch die Nordfriesen organisiert: "Es gibt so viele unterschiedliche Vereine, so viele Institutionen, so viele Menschen, die sich mit dem Friesischen befassen", meint sie.
Dazu kämen dann die unterschiedlichen Ausprägungen, die vielen Dialekte. "Es ist durchaus eine Herausforderung da miteinander in Kontakt zu bleiben und die sprachlichen und regionalen Hürden zu überwinden", so Ellin Nickelsen. Und mal ganz abgesehen davon: Viele Friesinnen und Friesen würden sich gar nicht als Minderheit sehen - ein Selbstverständnis, aus dem heraus es schwierig sei, Forderungen zu entwickeln.
Sinti und Roma: Umgang mit Stimatisierung und Antiziganismus

Alleine hier heute mit so vielen anderen Menschen ins Gespräch zu kommen, ihre Kultur zeigen zu können, sei ein Erfolg - da sind sich Matthäus Weiß und Rolf Schlotter vom Verband Deutscher Sinti und Roma einig. "Denn viele reden nur über uns, nicht mit uns", meint Schlotter. Der stellvertretende Vorsitzende des Landesverbands sorgt sich im Moment vor allem wegen der Stimmung im Land: "Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus nehmen überhand." Das mache vielen Sinti und Roma große Angst. "Wir müssen uns da wirklich nochmal neu aufstellen, um dieses Problem standfest zu überstehen", sagt er.
Die Sinti und Roma seien die größte Minderheit in Europa, mit weit mehr als zwölf Millionen Menschen. "Und wir verstehen uns als Europäer, verstehen uns als Stoßkeil in Richtung gemeinsames Europa", stellt Schlotter klar. Deswegen sei auch die Stigmatisierung der Sinti und Roma als Fremde in keiner Weise angebracht, merkt ein Besucher bei der Debatte an.
Die Sorben: Zwischen Tradition und Moderne

Auf ihre Tracht habe sie heute verzichtet, sagt Madlena di Sarno vom Bund Lausitzer Sorben und zeigt auf eine Art spitzenverziertes Kopftuch in der Ausstellung. Aber am Wochenende beim sorbischen Chorfest, da werde sie die auf jeden Fall tragen - auch wenn's keine Pflicht mehr sei. Zwar leben in Schleswig-Holstein nur vereinzelt Menschen, die den Sorben angehören. Aber in Sachen Minderheitenpolitik und Anerkennung können sich die anderen Volksgruppen einiges abschauen. So sei Obersorbisch jetzt als erste Minderheitensprache Deutschlands von Microsoft im Online-Übersetzer integriert worden. "Das ist natürlich eine richtig große Errungenschaft!", freut sich die Sorbin.
Einer Stiftung sei es zu verdanken, dass viel Geld für die eigenen Institutionen wie Schulen und Kultureinrichtungen zur Verfügung stehe. "Und für die Digitalisierung bekommen wir jetzt zusätzliche Gelder, um die sorbische Sprache auch in den neuen Medien zu verbreiten", erklärt di Sarno. So erreiche man dann auch die Familien, die zu Hause nicht mehr Sorbisch sprechen.
Die Plattsprechenden: Medien zur Sprachförderung
Eines muss Jan Graf, Plattdeutsch-Referent beim Schleswig-Holsteinischen Heimatbund, direkt mal klarstellen: "Wir klagen überhaupt nicht darüber, dass wir nicht vorkommen in den Medien. Im Gegenteil, wir kommen auch in Massenmedien vor, richtig fett!" Aber: In Hinblick auf andere kleine Sprachen in Europa gebe es in Sachen Sprachpolitik noch viel zu tun. Oft seien da Pläne entwickelt worden mit klaren Zielen. Und viele haben eigene Radio- und Rundfunksender, die rund um die Uhr in ihrer Sprache senden.
"Unsere Sprache wird dünner, weil Grammatik und einzelne Worte verloren gehen. Und die Sprecher werden weniger. Da können eigene Medien ein Ansatz sein", meint Jan Graf. Vor allem sei eine dauerhafte professionelle Arbeit für die Sprache wichtig: "Dann können wir vielleicht sogar zu einer Umkehr der aktuellen Entwicklung kommen."
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