Lübecks Politiker streiten über Atomschutt
Das Umweltministerium hat entschieden, dass der Bauschutt aus dem AKW Brunsbüttel nach Lübeck-Niemark kommen soll. Die Bürgerschaft hat nun eine Umfrage unter den Lübeckern beschlossen.
Von Philip Schroeder
Die Beschlusslage der Lübecker Bürgerschaft ist seit mehr als einem Jahr klar: Kein Krümel des Atomschutts soll in die Hansestadt. Aktuell brüten von der Stadtverwaltung beauftragte Juristen darüber, ob und wie sie die am 13. Januar vom Umweltministerium und seinem Chef Jan Phillipp Albrecht (Grüne) verkündete Zwangszuweisung des Schutts doch noch verhindern können. Gegen die Zwangszuweisung des Atom-Schutts vor Gericht ziehen?
Bis zu 12.500 Tonnen AKW-Bauschutt
Ausgerechnet hinter der Tür mit der gelben Sonnenblume, in den Räumen der Bürgerschaftsfraktion der Grünen, hält man das für hoffnungslos und nicht sinnvoll: "Der Umweltminister handelt bei der Zuweisung nach Recht und Gesetz", sagt Bruno Hönel. Außerdem handele es sich bei den 12.500 Tonnen Schutt aus dem Abbruch des Atomkraftwerkes um "freigemessenes" Material mit minimaler Rest-Strahlung, die im Bereich der normalen Umwelt-Strahlung liege. Und nach breitem wissenschaftlichen Konsens unbedenklich sei. "Ich kann die Ängste der Leute verstehen, aber da ist es dann unsere Pflicht als Lübecker Bürgerschaft, die Bürger und Bürgerinnen ausreichend zu informieren", betont Hönel. Und das tue die bündnisgrüne Fraktion immer wieder, auch mit Unterstützung des Umweltministers.
Vorwurf von SPD und CDU: Grüne gehen über Bürgerwillen hinweg
Einige Flure weiter im uralten Lübecker Rathaus sehen sie das anders: CDU und SPD, die in Lübecks Bürgerschaft zusammenarbeiten, werfen den bündnisgrünen Kollegen vor, mit der Unterstützung für die Deponie-Zuweisung über den Willen der Bürger hinwegzugehen. "Wir sind hier Ehrenamtler und wir haben erst mal den Lübeckerinnen und Lübeckern Rede und Antwort zu stehen", sagt CDU-Fraktionschef Oliver Prieur. Für ihn sei klar, dass die Lübecker den Atom-Schutt nicht wollten, deshalb müsse die Stadt notfalls gegen die Zuweisung klagen. Da seien ihm auch als Christdemokrat die Interessen Lübecks näher als die von der eigenen Partei geführte schwarz-grün-gelbe Landesregierung.
"Wenn das Zeug so ungefährlich wäre, dann könnten sie das ja schreddern und im Straßenbau verwenden", sagt SPD-Fraktionschef Peter Petereit. Polemik ja, aber für ihn sei nicht abschließend geklärt, ob der Grenzwert von zehn Mikrosievert wirklich jede Gefährdung durch den Schutt ausschließe. Deshalb sei es wichtig, jetzt noch einmal per Umfrage die Meinung der Lübeckerinnen und Lübecker zu hören, betont Petereit: "Wie die Grünen, auch die Lübecker Grünen, jetzt über diese Bedenken der Bürger hinweggehen - das irritiert mich schon, wie staatstragend die auf einmal werden."
Von der Protest- zur Staatspartei
Die Grünen früher - das war der Kampf gegen die Atomkraft-Nutzung, das Aufnehmen der Ängste der Bürger, das Verweisen auch auf kleinste Risiken. Jetzt für die Deponierung von Bauschutt aus den Atomkraftwerken in der eigenen Stadt zu sein, trotz der Ängste vor Ort - das ist für Bruno Hönel kein Widerspruch: "Wir müssen die gesamtgesellschaftliche Verantwortung tragen, müssen dazu beitragen, dass wir die Atomkraftwerke rückbauen können. Deshalb ist unsere Position zur Deponierung des Bauschutts absolut in einer Linie mit unseren Positionen vor vielen Jahren."
Grüne: Widerstand ist zwecklos
Auch die jetzt von den Atommüll-Bauschutt-Gegnern angesteuerte Umfrage sieht Hönel kritisch: "Das Ergebnis einer Einwohnerbefragung oder einer Umfrage kann an der Zuweisung nichts ändern. Ich halte das für ein falsches Signal, den Bürgerinnen und Bürgern von Lübeck da Hoffnungen zu machen, sie könnten da noch etwas ändern."
Nun ist die rund 90.000 Euro teure Umfrage aber beschlossen. 5.000 Lübeckerinnen und Lübecker sollen ihre Meinung sagen. Ob die Stadtverwaltung dann gegen die Deponie-Zuweisung auch bis vor Gericht geht, ist noch unklar. Klar ist: In wenigen Monaten beginnt der Wahlkampf. Da haben die Bündnisgrünen viel vor. Auch Bruno Hönel - der 24-Jährige kandidiert für den Bundestag.
