Landschlachtereien: Kontrollsystem mit Lücken
Amtlich bestellte Tierärzte sollen im Auftrag vieler Kreise in Schleswig-Holstein Schlachttiere kontrollieren. Die mutmaßliche Tierquälerei in Flintbek zeigt die Schwachstellen im System.
Mit "Leckerem vom Landschlachter - eine Fleischerei mit Herz" - so warb der mittlerweile geschlossene Betrieb in Flintbek (Kreis Rendsburg-Eckernförde) auf seiner Homepage um die Kunden. Tierschützer hatten brutale Schlachtprozesse mit versteckten Kameras dokumentiert, die der Kreis Rendsburg-Eckernförde als Verstoß gegen den Tierschutz wertet. Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt ermitteln.
Rinder, die dort geschlachtet wurden, sollten generell von einer amtlich bestellten Tierärztin des Kreises kontrolliert werden. So ist es auch in den meisten anderen Kreisen üblich und vorgeschrieben. Diese Tierärzte arbeiten zum Beispiel auch in Tierarztpraxen und machen die sogenannte "Schlachttier- und Fleischuntersuchung" als amtlich bestellter Behördenmitarbeiter im Nebenjob. Oder aber sie sind in Rente und helfen bei den Kreisen immer mal wieder aus.
Schlachten auf Vertrauensbasis
Bei der "Schlachttier- und Fleischuntersuchung" geht es ausschließlich darum, ob zum Beispiel das zu schlachtende Rind gesund ist und das Fleisch nach der Schlachtung weiterverarbeitet werden kann - im Sinne des Verbraucherschutzes. Dafür werden die Tiere, bevor sie getötet werden, von den Tierärzten begutachtet. Danach wird das Fleisch untersucht. Das bedeutet, dass der amtlich bestellte Veterinär während der Schlachtung in der Regel in den kleineren Betrieben nicht dabei ist.
Dieser Umstand hat die aufgezeichneten Schlachtszenen in Flintbek ganz offensichtlich erst möglich gemacht. Eine lückenlose Kontrolle bei der Schlachtung ist nur in Großbetrieben vorgeschrieben. Davon gibt es nach Angaben der Kreise 13, von den Landschlachtereien gibt es knapp 80 in Schleswig-Holstein.
System kann ausgenutzt werden
Ehemalige Mitarbeiter aus einer Landschlachterei schildern NDR Schleswig-Holstein, dass die Schlachttier- und Fleischuntersuchung umgangen werden kann, wenn es die Betriebe darauf anlegen und die Tierärzte nicht "genau" hinsehen. So sind den Schlachtbetrieben zum Beispiel die Sprechstundenzeiten der amtlich bestellten Veterinäre in ihren Praxen bekannt.
"Man hat dann die Tiere zur Sprechstundenzeit auf den Hof der Praxis gebracht mit dem Viehanhänger, wo man weiß, dass die Veterinärin unter Zeitdruck steht. Und wenn sie da eine Operation hat, dann kann sie da auch schlecht rausgehen. Dann kann sie vielleicht durchs Fenster gucken oder jemanden rausschicken, der aber nicht die Qualifikation hat, die sie besitzt. Und dann kriegt man da schon mal Kühe durch, die man eigentlich nicht hätte schlachten dürfen." Offenbar kein Einzelfall: "Aus vier oder fünf Kreisen weiß ich das." So konkret sagt es einer der ehemaligen Mitarbeiter NDR Schleswig-Holstein, der nicht erkannt werden will.
Kritik am Kontrollsystem
Die Kreise Rendsburg-Eckernförde und Pinneberg werden auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein deutlich: Das System der "Schlachttier- und Fleischuntersuchung" durch amtlich bestellte Tierärzte sei historisch gewachsen und in vielerlei Hinsicht überarbeitungsbedürftig, schreibt etwa der Kreis Pinneberg.
Auch Manuela Freitag, Chefin des Veterinäramtes des Kreises Rendsburg-Eckernförde hält das System für völlig überholt. Die gesetzlichen Anforderungen an die Überwachung seien in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Die EU habe einen Rechtsrahmen vorgegeben, der im Grunde auf Großbetriebe zugeschnitten sei. Die niedergelassenen oder angestellten Tierärzte hätten in ihren Praxen mehr als genug zu tun.
Unterstützung von der Bundestierärztekammer
Tierärzte, die nebenher auch Schlachttier und Fleisch untersuchen, müssten enger an die Veterinärämter angebunden werden. Dieser Meinung ist Ruth Schünemann von der Bundestierärztekammer. Sie sollten in den Ämtern fest angestellt werden. Dann könnten die Tierärzte verstärkt für die Kontrollen in den Schlachtbetrieben zur Verfügung stehen und dort auch andere amtliche Tätigkeiten übernehmen.
Aus dem Vorschlag der Bundestierärztekammer könnte deshalb eine Win-win-Situation für Kreise und Tierärzte werden, findet Schünemann. Ansonsten lasse die personelle Ausstattung der Veterinärämter es in der Regel nicht zu, dass die Betriebe in der Häufigkeit überwacht werden, wie das tatsächlich in einigen Betrieben erforderlich wäre.
Kontrolle durch die Veterinärämter alle paar Monate
Neben der "Schlachttier- und Fleischuntersuchung" durch die amtlich bestellten Veterinäre werden die Landschlachtereien auch durch die Kreise kontrolliert. Eine Abfrage von NDR Schleswig-Holstein zeigt: Die meisten Kreise kontrollieren die kleinen Schlachtbetriebe alle paar Monate. In Zahlen: Das Veterinäramt in Lübeck überprüft die beiden Betriebe in der Hansestadt vier Mal im Jahr. Im Kreis Plön wurden die zehn Betriebe in den vergangenen beiden Jahren insgesamt 103 mal kontrolliert.
Der Kreis Steinburg meldet in seinen vier Landschlachtereien zehn Kontrollen im vergangenen Jahr, 18 waren es im Jahr davor. Der Kreis Stormarn kann dagegen auch auf Nachfrage keine Zahlen nennen und räumt ein, "aufgrund der Corona-Einschränkungen waren nur vereinzelt Plankontrollen in den Schlachtbetrieben möglich. Der Schwerpunkt lag hier auf Anlasskontrollen. Leider liegen für die beiden vergangenen Jahre keine Statistiken vor."
Was macht die Fachaufsicht?
Die oberste Landesveterinärbehörde in Schleswig-Holstein ist das Landwirtschaftsministerium von Werner Schwarz (CDU). Dort arbeitet die Fachaufsicht, die die Kreisveterinärämter kontrollieren und beraten soll. Dort gibt es zum Beispiel Ansprechpartner für das Veterinärwesen und den Tierschutz.
Nach dem die schweren Vorwürfe in Flintbek bekannt geworden waren, sagte Minister Schwarz NDR Schleswig-Holstein, die Kontrolle der Schlachtbetriebe liege bei den Kreisen. Die Protokolle würden im Bedarfsfall von der Landesfachaufsicht angefordert und dann konkret geprüft.
Kreisveterinärin wünscht sich politischen Willen für Reformen
In den vergangenen 20 Jahren habe das Ministerium die Arbeit der Kreise und kreisfreien Städte so gut wie nie geprüft, schreibt Manuela Freitag vom Kreisveterinäramt Rendsburg-Eckernförde auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein. Lediglich vor 13 Monaten habe es eine Abfrage zur Wirksamkeit amtlicher Kontrollen in Schlachtbetrieben gegeben. Ein Austausch über die Ergebnisse solle noch erfolgen.
Die Kreise hätten dem Ministerium bereits mehrfach gesagt, dass sie aufgrund von Personalmangel nicht in der Lage seien, die Schlachtbetriebe so zu überprüfen, wie es wünschenswert wäre. Freitag hofft, dass die aktuellen Geschehnisse dazu beitragen, das völlig überholte System grundsätzlich zu verändern und an die heutige Zeit anzupassen. Das wäre eine Herausforderung, so Freitag, der sich alle, insbesondere die Fachaufsicht, stellen müssten, anstatt nur häufigere Kontrollen einzufordern.
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