Krankenhäuser schlagen Alarm: Aktion am UKSH Kiel

Stand: 27.09.2022 17:08 Uhr

Finanzielle Probleme und Personalmangel machen den Krankenhäusern zu schaffen. Mit der Aktion "Alarmstufe Rot - Krankenhäuser in Gefahr" wollen sie darauf aufmerksam machen.

Bereits seit Anfang September reist die Deutsche Krankenhausgesellschaft mit ihrem Infomobil durch die Bundesländer, um gemeinsam mit den Akteuren vor Ort auf die Probleme aufmerksam zu machen. Station am Dienstag war das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel.

Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein © NDR Foto: Lisa Kaltenbach
AUDIO: Personalmangel und hohe Kosten: Krankenhäuser in Not (1 Min)

100 Millionen Euro Minus im Jahr

Der Vorsitzende der schleswig-holsteinischen Krankenhausgesellschaft, Landespastor Heiko Naß, appellierte: "Wir sind darauf angewiesen, dass die Politik hier unmittelbar und sofort nachsteuert. Wir müssen einfach gut durch den Winter kommen."

In Schleswig-Holstein leiden die Kliniken nach Angaben der Krankenhausgesellschaft unter extremen Preissteigerungen. Die könnten die Kliniken im bestehenden Finanzierungssystem jedoch nicht an die Krankenkassen weitergeben, weil über Fallpauschalen abgerechnet wird. Auch die steigenden Energiekosten bedeuten eine enorme Zusatzbelastung. So fürchtet die Krankenhausgesellschaft für das gesamte Jahr ein Minus von 100 Millionen Euro bei den Kliniken in Schleswig-Holstein - vorsichtig geschätzt. Allein im Friedrich-Ebert-Krankenhaus (FEK) Neumünster steigen die Energiekosten nach Angaben der Klinik von zwei auf sechs Millionen Euro.

Pflegepersonal fehlt - Belastung macht Mitarbeitende krank

Doch das ist nicht das einzige Problem. Auch der Personalmangel macht den Kliniken weiter zu schaffen. Durch die Mehrbelastung würden immer mehr Mitarbeitende krank, sagte der Pflegedirektor des FEK, Christian de la Chaux: "Vor der Pandemie 2019 lagen wir bei neun Prozent Krankheitsquote und jetzt bei 14 Prozent, das sind fünf Prozent mehr. Hört sich nicht viel an, das sind aber zwischen 40 und 50 Mitarbeiter, die jeden Tag nicht am Haus sind und nicht am Patienten arbeiten."

Wegen der hohen Belastung arbeiten außerdem immer weniger Pflegekräfte in Vollzeit. Das bestätigte auch Monja Schultz, die in der Notaufnahme des FEK arbeitet. 140 Patientenkontakte hat sie am Tag. Als sie vor sieben Jahren hier anfing, sei es noch nicht so stressig gewesen, sagte sie. "Ich bin jetzt 28 Jahre alt und habe meine Stunden schon reduziert, weil das einfach nicht mehr zu schaffen ist, man steht permanent unter Strom und ich kann das einfach nicht mehr kompensieren." Auch neu gelernte Kolleginnen und Kollegen würden nicht mehr Vollzeit einsteigen. Sie selbst habe schon einige Male überlegt hinzuschmeißen. Sie habe sich bewusst für den Beruf entschieden, aber die Umstände machten ihn zunehmend unattraktiv. "Ich würde Patienten gerne so versorgen, wie ich es gelernt habe, aber das ist nicht mehr möglich", sagte Schultz.

Forderungen: Strukturänderung, Inflationsausgleich, Personal

Weil es zu wenig Personal gibt, stehen auf einer Station des FEK momentan Betten leer. Einen finanziellen Ausgleich dafür gibt es nicht. Laut Klinik-Geschäftsführerin Kerstin Ganskopf können insgesamt zehn Prozent weniger Patientinnen und Patienten versorgt werden als vor Corona. Lukrative Operationen wie eine Gallen-OP müssten durch Personalmangel mehrfach verschoben werden.

Es brauche eine strukturelle Änderung des Finanzierungssystems, so Ganskopf. Um ihre Mitarbeitenden zu entlasten, fordert sie weniger Bürokratie und mehr Zeit für Patienten. Auch UKSH-Chef Jens Scholz sagte am Dienstag: "Wir sind der Meinung, dass man neben der Regelung der Preissteigerungen auch eine Strukturreform einleiten muss im Gesundheitswesen." Die Krankenhausgesellschaft fordert von der Politik einen sofortigen Inflationsausgleich. Sonst drohten Insolvenzen oder Personalabbau. Das hätte schwerwiegende Folgen für die Versorgung der Patientinnen und Patienten. Pflegefachkraft Monja Schultz wünscht sich vor allem mehr Personal. Die Krankenhausgesellschaft will deshalb grundlegende Reformen am Finanzierungssystem.

Von der Decken: Bundesgesetzgeber muss Finanzierung sichern

Die müsse der Bund jetzt einleiten, fordert Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU). "Die Gesundheitsversorgung gehört zu einer essentiellen Daseinsvorsorge unseres Staates. Daher muss der Bundesgesetzgeber rasch dafür sorgen, dass dies auch so bleibt und die Finanzierung gesichert ist", sagte sie. Ihr sei klar, dass das Steuermittel kosten werde. "Aber wo, wenn nicht in dem Bereich, sind diese richtig und sinnvoll genutzt."

Auch der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Heiner Garg, forderte einen Rettungsschirm für Kliniken. "Denn oberste Priorität der Politik muss sein, die Gesundheitsversorgung funktionsfähig zu halten. Es wäre fatal, sie sehenden Auges in die Insolvenz laufen zu lassen."  

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Schleswig-Holstein Magazin | 27.09.2022 | 19:30 Uhr

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