Eine Ärztin führt eine Anamnese bei einem Kind durch (gestellte Szene). © picture alliance / Zoonar Foto: Lev Dolgachov

Kinderschutz-Kongress: Kinder vor sich selbst und anderen schützen

Stand: 20.05.2022 19:04 Uhr

Das Westküstenklinikum in Heide richtet erstmals den Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin aus. Themen sind unter anderem kindgerechte Versorgung, Missbrauch, aber auch selbstgefährdendes Verhalten.

von Oliver Kring

Kindesmisshandlungen, Übergriffe gegen Kinder und Jugendliche, aber auch fehlende Achtsamkeit: Am Westküstenklinikum (WKK) Heide hat am Freitag die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin (DGKiM) begonnen. Für die Mediziner ist es auch ein Thema, wenn ein Kind sich selbst gefährdet. Und das muss noch nicht mal aus bösem Willen geschehen.

Junge erkrankt im Alter von neun Jahren an Diabetes

Ein Fallbeispiel ist der heute 15-jährige Fiete aus Friedrichstadt (Kreis Nordfriesland). Er ist neun Jahre alt, als er an Diabetes erkrankt. Vor allem zu Beginn der Pubertät habe er versucht, seine chronische Erkrankung zu ignorieren. "Am Anfang habe ich mich unfair behandelt gefühlt. Weil ich nicht verstanden habe, wieso ich das machen muss," sagt Fiete. "Da habe ich alles gegessen, was ich gefunden habe. Ich habe mich nicht drum gekümmert. Es war mir schlichtweg egal." Er erzählt, wie dann die Werte schlechter wurden und ihm bewusst wurde, "dass das irgendwann nicht gut endet."

Westküstenklinikum Heide: Chefarzt warnt vor Nachlässigkeit

Fiete ist Patient bei Dr. Thorsten Wygold im Westküstenklinikum. Der Chefarzt versucht während der Behandlung, einen vertrauensvollen Zugang zu den Jugendlichen zu finden und sie behutsam zu beraten. Der Arzt warnt vor einer akuten Gefahr, "wenn jemand, der Diabetes hat und nachlässig damit ist, auch noch anfängt Alkohol zu trinken." Damit könnten sich die Jugendlichen sogar ungewollt umbringen. "Das ist jetzt nicht so, dass ich dramatisiere. Diese Fälle kommen leider hin und wieder auch vor," erklärt Wygold. Fiete hingegen hat sich und seine Zuckerkrankheit inzwischen gut im Griff. Sein Wunsch: Dass die Technik irgendwann so gut ist, dass er sich gar nicht mehr um seine Erkrankung kümmern muss.

Nicht jeder Arzt erkennt Missbrauch

Auf dem Kongress geht es aber auch um Übergriffe. Bei weitem nicht jeder Arzt sei in der Lage, eine Kindesmisshandlung oder einen Übergriff festzustellen, sagt Dr. Bernd Herrmann, Vorsitzender der DGKiM. "Das ist kein zufrieden stellender Zustand." Die Fachleute beraten auf dem Kongress, wie Strukturen geschaffen werden können, die Kinderschutz in der Fläche verbessern. Die Vorträge sollen helfen, die Ärzteschaft zu sensibilisieren: Während des Kongresses gibt es 26 verschiedene Vorträge, Impulse, Diskussionen rund um Veränderungen und notwendige Neuerungen einer möglichst kindgerechten, schützenden medizinischen Versorgung. Und da gebe es ein Gefälle zwischen Stadt und Land, unter anderem, weil die Fallzahlen im ländlichen Raum und dadurch die praktische Erfahrung der Mediziner deutlich geringer seien, meint Dr. Thorsten Wygold

Schutzkonzept: Schleswig-Holsteins Kliniken gerüstet

Schleswig-Holstein, so WKK-Geschäftsführer, Dr. Martin Blümke, sei an der Stelle bereits beispielhaft für Deutschland. Sein Kollege Dr. Wygold ergänzt: "Vor 20 Jahren war es noch schwierig, einen richtigen Ansprechpartner zu finden, wenn Kinder mit spezifischen Verletzungen in die Notaufnahme kamen." Heute gibt es nach seinen Worten ein einheitliches Schutzkonzept der Kliniken und Jugendpsychiatrien im Land.

Denn auch in Schleswig-Holstein steigen laut Statistikamt Nord die Zahlen bei Fällen von sexueller Gewalt und von gewaltsamen Übergriffe auf Kinder deutlich an. Als Beispiel für eine Verbesserungen nennt Wygold die Möglichkeit, einen Rechtsmediziner digital zuschalten zu können, ohne dass die Familie nach Kiel oder Hamburg fahren muss.

Recht auf sexuelle Selbstbestimmung

Neben diesen Themen geht es auf dem Kongress außerdem um das Recht der sexuellen Selbstbestimmung sowie der körperlichen Unversehrtheit junger Patienten. "Das reicht von einfachen Untersuchungen und Blutabnahmen bis hin zu komplexen Behandlungen bei hormonellen Erkrankungen," sagt Wygold. Auch hier hätten die schleswig-holsteinischen Kliniken gute Konzepte erarbeitet, die zu mehr Achtsamkeit und Rücksicht bei Kindern und Jugendlichen führen sollen.

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 20.05.2022 | 19:30 Uhr

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