Ein Mädchen schaut traurig aus dem Fenster eines Wohnkomplexes © photocase.de Foto: davidpereiras

Immer mehr Familien in Schleswig-Holstein droht die Armut

Stand: 30.04.2022 06:00 Uhr

In Schleswig-Holstein lebt jedes fünfte Kind laut Sozialbericht in Armut. Der Kinderschutzbund rechnet mit steigenden Zahlen. Und auch die Schuldnerberatungen berichten von mehr Ratsuchenden.

von Jonas Salto

Wenn die Kleinen in den Kindergarten oder die Schule gehen, ist das auch immer mit hohen Kosten verbunden. Sei es für einen Schulranzen, Malstifte, Lehrbücher oder Ausflüge. Eltern müssen laut einer repräsentativen Umfrage von 2018 pro Kind 300 Euro pro Schuljahr ausgeben. Rechnet man Klassenfahrten und Ausflüge dazu, kommt man sogar auf 1.000 Euro pro Kind pro Schuljahr. Im Moment gucken viele Familien am Ende des Monats aber ins Portemonnaie und stellen fest: Es ist so gut wie nichts mehr übrig.

Inflation und Krieg lassen Preise steigen

Eine so hohe Inflation wie im Moment gab es zuletzt im Herbst 1981. Der Wert für den April liegt laut statistischem Bundesamt bei 7,4 Prozent. Die Preise für Gemüse sind im Vergleich zum vergangenen April sogar um 14 Prozent gestiegen.

"Wenn man sich jetzt zum Beispiel die steigende Inflation anschaut, dann kann man nur sagen, dann verschärft sich die Situation und wir werden vermehrt angefragt", erzählt die Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes in Schleswig-Holstein, Susanne Günther. Der Kinderschutzbund hat 28 Kreis- und Ortsverbände im Land. Hier können sich Familien beraten lassen, wenn bei ihnen das Geld knapp wird. Laut Günther melden sich nicht nur Familien, die Sozialhilfe empfangen und ohnehin nur über ein geringes Einkommen verfügen, sondern auch Familien, die ihr Leben eigentlich ohne Hilfe des Staates finanzieren können.

Geld reicht kaum für Einkauf

In vielen Fällen sei das Geld schon ab der zweiten Monatshälfte so knapp, dass die Betroffenen beim Lebensmittelkauf nur noch Nudel mit Ketchup und Toast in den Einkaufswagen legen, berichtet der Kinderschutzbund. Das ist aber nicht das einzige Problem.

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Bei vielen Familien steige die Sorge, die Stromrechnung nicht zahlen zu können. Einige Stromanbieter haben schon ihre monatlichen Abschläge erhöht. Aber wenn am Ende des Jahres die Gesamtrechnung kommt und noch eine Nachzahlung fällig sein sollte, dann sehe es ganz schlecht aus. Denn im Moment könnten die betroffenen Familien überhaupt kein Geld monatlich sparen. Das war vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine noch anders, so der Kinderschutzbund weiter.

Schuldenfalle Energiekosten

Bereits im vergangenen Jahr wandten sich laut einer Umfrage der Schuldnerberatung in Schleswig-Holstein mehr Menschen als üblich an die insgesamt 36 Beratungsstellen im Land. Vor allem Soloselbstständige und Menschen in Kurzarbeit seien durch die Corona-Pandemie in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten gekommen und letztendlich zur Schuldnerberatung gegangen. Durch die jetzt steigenden Energiepreise rechnet die Koordinierungsstelle mit einem weiteren Zuwachs.

"Die Ratsuchenden der Schuldnerberatungsstellen in Schleswig-Holstein wandten 2020 bereits im Schnitt 46 Prozent ihres monatlichen Nettoeinkommens für Wohnkosten einschließlich Energie- und Nebenkosten auf. Allgemein gelten 30 Prozent als zumutbar", erklärt Sibylle Schwenk, die die Schuldnerberatung in Schleswig-Holstein koordiniert. Das Problem bei den hohen Energiepreisen ist laut Schwenk, dass man hier kaum Einsparungen machen könne.

Entlastungspaket der Bundesregierung reicht nicht

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Im September zahlt die Regierung für alle, die Steuern zahlen, einmalig 300 Euro aus. Diese müssen allerdings versteuert werden. Dazu kommt eine einmalige Zahlung in Höhe von 100 Euro pro Kind. Das Energie-Entlastungspaket der Bundesregierung helfe nur punktuell, kritisieren der Kinderschutzbund in Schleswig-Holstein und die Schuldnerberatung.

Um dauerhaft Menschen mit niedrigem Einkommen von den hohen Strom- und Gaspreisen zu entlasten, schlägt Sibylle Schwenk vor: "Beispielsweise könnten Sozialleistungsbeziehende mit energieeffizienten Haushaltsgeräten ausgestattet und Vermieter zur effizienten Dämmung von Gebäuden verpflichtet werden."

Ganztagsbetreuung für benachteiligte Kinder

Im Punkt Anpassung des bedarfsgerechten Hartz-IV-Regelsatzes sind sich die Schuldnerberatung und der Kinderschutzbund einig. Sie fordern beide, dass der Regelsatz für Familien grundsätzlich erhöht werden muss. Darüber hinaus müsse aber auch die Landesregierung nach Auffassung des Kinderschutzbundes etwas tun. Dabei geht es etwa um den Ausbau kostenloser Ganztagsbetreuungsangebote für benachteiligte Kinder.

Mit kostenlosem, gesunden Mittagessen, Sportangeboten und kostenlosen Ausflügen könnten betroffene Familien finanziell entlastet werden. Für Familien, die keine Sozialhilfe beziehen, aber über ein geringes Einkommen verfügen, sind zum Beispiel die Mittagessen und Ausflüge in der Ganztagesbetreuung noch kostenpflichtig. Sie holen zum Teil ihre Kinder mittlerweile lieber am Nachmittag nach Hause, um sich das Geld zu sparen. Den Kindern fehle es dann an sozialen Kontakten und beispielsweise auch an Sport, beklagt der Kinderschutzbund.

Landesregierung muss handeln

Finanziell aushelfen, können weder Kinderschutzbund noch Schuldnerberatung. Sie sind vor allem für die Beratung in Krisensituationen und seelischen Beistand zuständig. Und gerade letzteres sei wichtig, betont Sibylle Schwenk. Denn oft entstehen durch starke, finanzielle Probleme Stress, Versagensängste, Depressionen bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Lage in vielen Familien sei ernst. Klar ist für Kinderschutzbund und Schuldnerberatung: Die kommende Landesregierung müsse handeln.

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Schleswig-Holstein Magazin | 27.04.2022 | 19:30 Uhr

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