Homeoffice: Corona hat die Arbeitswelt in SH umgekrempelt
Auch nach dem Ende der Homeoffice-Pflicht zeigt eine Abfrage von NDR Schleswig-Holstein: Viele Unternehmen setzen weiter auf mobiles Arbeiten und Coworking-Arbeitsplätze. Gewerkschaften pochen auf Betriebsvereinbarungen.
Bei Björn Schuster hat sich im Familienalltag seit Beginn der Corona-Pandemie einiges geändert: Der IT-Mitarbeiter bei der Provinzial in Kiel nutzt immer wieder Homeoffice, um bei Fragen der Kinder zu Hausarbeiten helfen zu können. "Meine Frau fragt mich mittlerweile immer, wann ich wieder ins Büro gehe. Früher war das umgekehrt."
Eine Rückkehr zum normalen Arbeitsalltag ohne Homeoffice ist für viele nicht mehr vorstellbar. Diese Äußerung kommt von Arbeitnehmern wie Björn Schuster, aber auch von zahlreichen Verwaltungen und Betrieben aus Schleswig-Holstein. Aber sind auch alle zufrieden mit der neuen Arbeitswelt? Klar ist, die Mischung macht es. Einige Unternehmen berichten von Mitarbeitenden, die sich freuen, wieder ins Büro kommen zu können. Trotzdem setzen viele zusätzlich - zumindest teilweise - auf Homeoffice, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können - so wie Björn Schuster.
Corona hat mobiles Arbeiten beschleunigt
Aus Sicht der Vereinigung der Unternehmensverbände Schleswig-Holstein und Hamburg (UV Nord) haben die meisten Unternehmen im Land gute Erfahrungen mit Homeoffice gemacht - und tun das immer noch. Laut Geschäftsführer Sebastian Schulze mussten zwar zahlreiche Prozesse angepasst werden, technisch hätte das meiste aber überraschend gut funktioniert. Auch bei der Förde Sparkasse musste erst mal alles auf die Schnelle für mobiles Arbeiten eingerichtet werden. Corona habe da als eine Art Beschleuniger funktioniert, findet Sprecher Stefan Grothe. Jetzt sei Homeoffice fest im Arbeitsalltag integriert: "Es stand nie zur Debatte, wieder zum normalen Arbeitsalltag zurückzukehren."
Ähnliches berichten die Stadtverwaltungen aus Itzehoe, Flensburg, Lübeck, Kiel und Husum. Dort kann jeder Mitarbeitende - natürlich mit einigen Ausnahme wie Kita-Beschäftigte, Empfangsmitarbeitern oder Reinigungskräften - auch im Homeoffice arbeiten. Das müsse immer in Absprache passieren, erklärt die Sprecherin der Stadt Husum, Ira Rössel. 90 Mitarbeitende würden zurzeit die Möglichkeit nutzen, auch mobil zu arbeiten. Aber: Nur Homeoffice - das gibt es eher selten. Bei der Stadt Itzehoe gibt es laut Sprecher Björn Dethlefs nicht einen Fall "einer ständigen Homeoffice-Tätigkeit".
Homeoffice kann Fachkräfte überzeugen
Aus Sicht der Industrie-und Handelskammer (IHK) Schleswig-Holstein gibt es zwei große Vorteile der teilweisen Umstellung auf Homeoffice. Zum einen könnten Fachkräfte besser angeworben werden, wenn sie auch die Möglichkeit haben, mobil arbeiten zu können, erklärt Julia Körner und fügt an: "Man kann den Fachkräften entgegenkommen - solange zum Beispiel die Familie noch nicht nachgezogen ist, kann ein gewisser Teil der Arbeit auch mobil erfolgen." Zum anderen sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein großer Pluspunkt.
Problematisch ist aus Sicht von Julia Körner häufig die digitale Infrastruktur. Nicht nur auf dem Land, auch in der Stadt seien die Internetleitungen teilweise nicht leistungsfähig genug. Nicht nur, aber auch deswegen wollen nicht alle Beschäftigten dauerhaft mobil arbeiten, so Körner. "Wir hören von unseren Mitgliedsunternehmen, dass viele Kolleginnen und Kollegen gerne wieder ins Büro kommen. Weil sie auch wieder Spaß an dem Austausch haben und sich den auch wünschen."
Viele haben Gespräche im Büro vermisst
Ähnliches berichtet der Lebensmittelhändler Bartels-Langness aus Kiel. Zu Corona-Hochzeiten war nahezu jeder Mitarbeitende - der konnte - zu Hause. Bei Bedarf sei es auch jetzt noch möglich, erklärt Unternehmenssprecherin Solveig Hannemann - allerdings schätzen es viele der Arbeitnehmer auch, wieder vor Ort zu sein. Die Kommunikation sei leichter, die Abläufe würden besser funktionieren. Daher würde ein Großteil wieder in Präsenz arbeiten, so Hannemann. Auch bei den Itzehoer Versicherungen fehle den Mitarbeitenden der persönliche Austausch und die "offene Gesprächskultur in der Büroarbeit", teilt Sprecher Thiess Johannssen mit. Deswegen würden viele mehr als zwei Tage pro Woche ins Büro kommen.
Nach der Pflicht kommen die Vereinbarungen
Gewerkschaften im Land wie die Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und die IG Metall fordern, dass vertraglich festgelegt werden muss, wie oft und in welchen Bereichen Mitarbeitende mobiles Arbeiten nutzen können. Größere Unternehmen hätten häufig Betriebsvereinbarungen - zum Teil auch schon vor Corona - geschlossen, damit es einen geregelten Rahmen für alle Beteiligten gibt, so Julia Körner von der IHK Schleswig-Holstein. Das bestätigten zum Beispiel der Kältetechnik-Hersteller Secop in Flensburg, der Hersteller für maritime Navigationstechnik Raytheon Anschütz in Kiel und die Förde Sparkasse. Andere erarbeiten zurzeit entsprechenden Vereinbarungen - wie der Medizintechnik-Hersteller Dräger in Lübeck und das Recyclingunternehmen Remondis. Dort würde man sich im Moment flexibel abstimmen, erklärt Sprecher Michael Schneider.
Großes Thema: Flächenmanagement
Bei Remondis zeigt sich aber noch eine andere Auswirkungen des verstärkten mobilen Arbeitens. Weil weniger Menschen täglich in der Verwaltung vor Ort arbeiten, habe das Unternehmen Pläne für einen größeren Neubau in der Hauptniederlassung in Melsdorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) erstmal beerdigt, erklärt Schneider. Die Nutzung und die Nachnutzung von Flächen werde uns noch Jahrzehnte beschäftigen, glaubt Julia Körner von der IHK. Da gehe es nicht nur um Verkleinerung von Büroflächen: "Wir brauchen mehr Gemeinschaftsflächen, wo sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch bewusst treffen, um einen Informationsaustausch zu unterstützen."
BWL-Professorin: "Es gibt kaum schwarz und weiß"
Nicht nur die Eindrücke aus den Unternehmen oder von Betriebsräten zeigen, dass sich die Arbeitswelt durch die Corona-Pandemie gedreht hat. Auch die Forschung stellt das fest. Claudia Buengeler, Professorin für Personal und Organisation am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Kieler Christian-Albrechts-Universität, macht klar: "Es gibt kaum schwarz und weiß." Es sei erkennbar, dass viele Unternehmen mittlerweile versuchen, einen Mittelweg zu gehen, so Buengeler. "Also eine Homeoffice-Möglichkeit einzuräumen, aber dennoch natürlich auch das Büro weiterhin als wichtigen Ort der Begegnung und der Arbeit zu begreifen."
Das sieht auch Provinzial-Mitarbeiter Björn Schuster so: "Ich würde mich freuen, wenn weiterhin beides geht. Also vielleicht mal eine Phase, wo ich vielleicht länger im Homeoffice bleibe, weil Handwerker da sind oder ein Kind krank ist. Aber auf der anderen Seite auch immer mal wieder in die Firma gehe - weil Zusammenarbeit kommt ja von zusammen sein."
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