Der Angeklagte und sein Anwalt Michael Gubitz unterhalten sich vor dem Beginn des Prozesstages in einer Außenstelle des Lübecker Landgerichts. © dpa Foto: Christian Charisius

Geheimnisverrat per WhatsApp? Urteil im Nommensen-Prozess erwartet

Stand: 19.10.2022 00:01 Uhr

Vor dem Lübecker Landgericht endet heute der Prozess gegen den ehemaligen Polizeigewerkschafter Thomas Nommensen. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten - damit droht ihm der Verlust seines Beamtenstatus und der Pensionsansprüche. Die Verteidigung fordert eine Geldstrafe.

von Constantin Gill

In einem sind sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung einig: Es ist ein besonderer Prozess. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist er "in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert" - etwa wegen der Anzahl und Schwere der dem Angeklagten vorgeworfenen Taten. Es geht um 16 Fälle, in denen Nommensen Dienstgeheimnisse an einen Polizeireporter verraten haben soll.

Die Verteidigung moniert Vorverurteilungen und sieht Rechtsverstöße bei den Ermittlungen - etwa das Nutzen von "Zufallsfunden" auf dem Handy des Ex-Polizeigewerkschafters - gemeint sind die Chats zwischen Nommensen und dem Reporter der "Kieler Nachrichten". Bemerkenswert nannte Verteidiger Michael Gubitz am Freitag auch das dreieinhalbstündige Plädoyer der Staatsanwaltschaft, in dem noch einmal ausführlich aus den Chats zwischen Nommensen und dem Polizeireporter zitiert wurde.

Whistleblower oder Sicherheitsrisiko?

Im August 2019 hatten Ermittler das Handy des Gewerkschafters sichergestellt. In den Monaten davor waren immer wieder interne Polizeinformationen in der Zeitung gelandet. So etwa Einzelheiten über einen Messerangreifer in einem Lübecker Linienbus, über einen Polizeischüler, der mit Hitlergruß posierte, bis hin zu Teilen des als Verschlusssache eingestuften Buß-Berichts - dem brisanten Papier, in dem ein Sonderermittler die Vorwürfe von Aktenmanipulation und Mobbing in der Landespolizei untersuchte.

Thomas Nommensen selbst hatte die Taten gestanden. Er nannte Missstände in der Landespolizei als Antrieb für seine Indeskretionen. In seinem Schlusswort vor Gericht sprach er von einer mangelnden Fehlerkultur. Noch immer negiere die Polizeiführung Missstände. Die Staatsanwaltschaft dagegen meint, es sei Nommensen um ein persönliches Geltungsbedürfnis gegangen. Mit Blick auf die damals im Landtag bereits laufende Aufklärung der Vorgänge in der Landespolizei sagte einer der Staatsanwälte in seinem Plädoyer: Es habe keines Whistleblowings bedurft.

Nommensen selbst sieht sich als "fehlgeleiteter Whistleblower." Er habe eine rote Linie überschritten und bereue das zutiefst: "Ich habe meine Lektion gelernt."

Wer ist Schuld am "Zerrbild" der Landespolizei?

Die Staatsanwaltschaft hatte im Prozess immer wieder argumentiert, die Taten seien dazu geeignet, das Vertrauen in die "Redlichkeit" der Strafverfolgungsbehörden zu untergraben. Etwa wenn Opfer von Straftaten befürchten müssten, dass ihre persönlichen Daten bei Journalisten landen. Der Angeklagte sei für ein "Zerrbild der Polizei" verantwortlich. Verteidiger Gubitz dagegen meint: Die Führungsspitze der Polizei selbst habe dafür gesorgt.

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, der bis Anfang dieses Jahres die Vorgänge in der Landespolizei zur Zeit der Rocker-Ermittlungen untersucht hatte, sah zwar keine konspirativen Netzwerke innerhalb der Landespolizei, benannte aber Fehler im Umgang mit Informationen von V-Leuten und Mängel in der Führungskultur. Nommensen hatte die Aufarbeitung als stellvertretender Landesvorsitzender der Deutsche Polizeigewerkschaft kritisch begleitet und die Ermittler unterstützt, die die Vorwürfe damals erstmals benannten. Einer von ihnen verfolgte die Plädoyers am vergangenen Freitag.

Die Staatsanwaltschaft hatte Kritik an den Ermittlungen ausdrücklich zurückgewiesen und eine "Politisierung des Verfahrens durch den Angeklagten" moniert. Es gehe um "objektive Beweismittel", so einer der Staatsanwälte. Das Urteil am Landgericht Lübeck soll heute um 13 Uhr fallen.

Weitere Informationen
Der Angeklagte Thomas Nommensen (r) und sein Anwalt Michael Gubitz unterhalten sich vor dem Beginn des Prozesstages in einer Außenstelle des Lübecker Landgerichts. © dpa-Bildfunk Foto: Christian Charisius

Prozess gegen Ex-Polizeigewerkschafter: Bewährungsstrafe gefordert

Im Prozess gegen Thomas Nommensen fordert die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung. mehr

Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) blickt in die Kamera. © picture alliance/dpa Foto: Frank Molter

Grote-Rücktritt: Stegner zweifelt an Günthers Gründen

Warum musste Innenminister Grote (CDU) zurücktreten? Nach Akteneinsicht glaubt SPD-Fraktionschef Stegner nicht der Erklärung des Ministerpräsidenten zu den Gründen des Grote-Rückzugs. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 19.10.2022 | 06:00 Uhr

Nachrichten aus Schleswig-Holstein

Einsatzfahrzeuge des Rettungsdienstes stehen vor der Seniorenresdenz in der Bockborner Landstraße in Bark im Kreis Segeberg © Wesküstennews Foto: Florian Sprenger

Pfleger fällt aus: Rettungsdienst springt in Barker Pflegeheim ein

Eine Pflegekraft hatte in der Nachtschicht einen medizinischen Notfall - eine Notbetreuung für die Heimbewohner im Kreis Segeberg musste eingerichtet werden. mehr

Videos