Flucht: Jugendliche helfen Jugendlichen in ein neues Leben
In Henstedt-Ulzburg im Kreis Segeberg ist ein Pilotprojekt für Integration gestartet. Jugendliche helfen hier neu angekommenen Kindern und Jugendlichen bei ihrem Neustart.
Rosen Shabi ist zehn Jahre alt, als sie mit ihrer Familie 2015 aus dem Irak vor den Anschlägen des IS fliehen muss. Ihr neues Leben in Deutschland, in Henstedt-Ulzburg (Kreis Segeberg), ist einsam. Vormittags geht sie in die Schule, danach ist sie zu Hause. Alles für sie ist neu. In der Schule wird sie gemobbt, weil sie die Sprache nicht versteht. Es ist schwer für sie, Anschluss zu finden - bis ihre Mutter damals das Jugendzentrum "Tonne" ausfindig macht. "Ich war sofort willkommen hier, ich war nicht anders. Ich war nicht etwas Neues", erinnert sich Rosen Shabi. "Ich war einfach nur ein normaler Mensch, der hierher kommt und spielen möchte, wie andere Kinder."
Eine Win-Win-Situation

Heute ist die 17-jährige Hoodläuferin - eine Wortneuschöpfung von englisch "Hood", also Kiez oder Viertel. Für das gleichnamige Integrationsprojekt - "Hoodläufer*innen" vom IN VIA Hamburg e.V. - hat sie eine Ausbildung als Jugendgruppenleiterin gemacht. Die ausgebildeten "Hoodies" zeigen jungen Geflüchteten ihre Nachbarschaft. Sie gehen zu den Orten, an denen sie sich gerne aufhalten. So sollen die neu angekommenen Jugendlichen hier schnell Freunde finden, die Sprache lernen und einen Überblick über spannende Orte und Anlaufstellen kriegen. Es sei für alle eine Win-Win-Situation, sagt Projektleiterin Milena Aleksieva aus dem Jugendzentrum "Tonne". Die Jugendlichen erhalten kostenlose Ausbildungen und Workshops, eine Aufwandsentschädigung von 60 Euro und können eigene Projektideen einbringen. Im Gegenzug wird erwartet, dass sie Interesse an anderen Kulturen haben und junge Geflüchtete in ihre Lebenswelten integrieren.
Integrationsprojekt und soziale Bildung
Teil der Ausbildung ist es, sich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen, zu lernen Konflikte zu lösen. Es gehe aber auch um rechtliche Fragen, wie zum Beispiel die Aufsichtspflicht, erklärt Projektleiterin Milena Aleksieva. Sie hat in den vergangenen Monaten fünf Hoodläuferinnen und Hoodläufer mit ausgebildet und betreut sie auf ihrem Weg. Ein Jahr lang bekommen die Jugendlichen alle acht Wochen neue junge Geflüchtete an die Seite, die sie mit in ihr Leben nehmen. Das Pilotprojekt ist finanziert vom Bundesinnenministerium und dem Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge und ist zunächst auf drei Jahre angelegt. Mitmachen können alle zwischen 16 und 27 Jahren - mit und ohne Migrationshintergrund. So wird versucht, möglichst gleichaltrige Konstellationen zu finden. Denn diese Form von Integration könnten nur die Jugendlichen selbst leisten, sagt Milena Aleksieva. Sie als Erwachsene würde in Jugendgruppen nicht wirklich akzeptiert, Erwachsene könnten ihnen nicht helfen, Teil der Gruppe zu werden - das schaffen sie nur unter sich, sagt Aleksieva.
Die eigene Fluchtgeschichte verbindet
Heute spielt Rosen Shabi Schlagzeug im Jugendzentrum, hat einen festen Freundeskreis, bezeichnet Henstedt-Ulzburg als ihr zu Hause. Das will die 17-Jährige weitergeben, es anderen leichter machen. Ihr erster "Mentee", also die Person, die sie für zwei Monate begleitet, ist Lisa Yanzhula. Die Ukrainerin ist aus Charkiw geflohen. Mehr als zwei Wochen war die 16-Jährige, allein, nur mit einem Rucksack auf der Flucht. Ihr Vater darf nicht ausreisen, ihre Mutter hilft anderen Menschen weiter vor Ort, ihre Schwester wollte nicht weg, weil ihr Freund nicht ausreisen darf. So machte sie sich allein über Lwiw, Berlin, Hamburg bis nach Henstedt-Ulzburg auf den Weg. Hier wohnt sie jetzt bei einer Freundin aus der Ukraine, mit der sie früher in Charkiw Basketball spielte.
Beim ersten Aufeinandertreffen im Jugendzentrum kommen die beiden schnell ins Gespräch, es wird bald laut zusammen gelacht. Eine Sprachbarriere scheint nicht existent. Sie verständigen sich auf Englisch, mischen deutsche Wörter dazu, manchmal reicht Mimik und Gestik. Auch die eigene Fluchtgeschichte verbindet die beiden sofort, schafft Nähe. Vorsichtig und mit viel Respekt fragt Rosen Shabi bei Lisa Yanzhula nach, wo ihre Eltern sind, was sie auf der Flucht erlebt hat. Statt zu urteilen, findet hier Austausch statt.
Der erste Ausflug in den "Hood"
Rosen Shabi darf selbst entscheiden, was sie Lisa Yanzhula zeigen möchte. Nach der Bibliothek, einer Eisdiele und Parks in Henstedt-Ulzburg steht in den nächsten Tagen Norderstedt und Hamburg an, sagt sie. "Ich treffe mich sehr gerne mit Menschen, die in meinem Alter sind und ich möchte denen zeigen, dass es hier sehr cool ist und dass es hier auch Spaß machen kann", sagt die Hoodläuferin. Ein bis zwei Treffen die Woche sind Pflicht, alles darüber hinaus ist privat. Im besten Fall entstehen langfristige Freundschaften. Lisa Yanzhula fühle sich gut aufgehoben, sagt sie. Sie möchte jetzt schnell die Sprache lernen, studieren und später in einem Hotel arbeiten. Außerdem kann sie sich gut vorstellen, später auch als Hoodläuferin zu arbeiten, um anderen zu helfen, so wie Rosen Shabi es jetzt tut. In acht Wochen betreut Rosen Shabi dann schon die nächsten jungen geflüchteten Menschen, um auch ihnen einen guten Start in ein neues Leben zu ermöglichen.
