Familie Weise aus Reinbek: Einer für alle und alle für einen
Eine vierköpfige Familie aus Reinbek mitten in der Energiekrise. Man fühle sich wie im Hamsterrad, sagt die Mutter. Wenn man nur noch für die Rechnungen arbeite, mache das Angst und das mache krank.
"Du hast bald noch einen Termin beim Kiefernchirurg!" Mutter Sabine Weise blättert in ihrem vollen Terminkalender am Frühstückstisch. Es passiert selten, dass die Familie morgens zusammen isst. Sabine Weise arbeitet als Erzieherin in einem Jugendheim im Schichtdienst. Wenn sie aufsteht, schlafen ihre drei Kinder noch. "Kiefernchirurg?", Frederic lacht. "Mutter! Kiefernchirurg, der operiert Bäume! Es heißt Kieferchirurg!" Recht hat er, lacht dann auch die Mutter. Wer Familie Weise einmal erlebt, der merkt schnell, dass diese vier Reinbeker mit einer unerschöpflichen Portion Humor ausgestattet sind.
Zwölf-Stunden-Tage zum Wohle der Kinder
Sabine Weise zieht die Kinder alleine groß. Großeltern gibt es nicht mehr. Alle Termine ihrer drei Kinder muss sie mit ihrem Dienstplan koordinieren. Es ist auch deswegen besonders kompliziert, weil zwei ihrer Kinder körperlich schwer behindert sind. "Das Leben dreht sich um Medikamente bestellen, Medikamente abholen, zu den Ärzten fahren", erzählt sie beim Aufhängen der Wäsche.
Ihre 19-jährige Tochter Elli hat Epilepsie. Bei ihrem 21-jährigen Sohn Frederic haben die Ärzte Spastik festgestellt. Er kann sich nur schwer bewegen, ist auf den Rollstuhl angewiesen. Beide waren in ihrem Leben hunderte Male im Krankenhaus. Beide hat sie begleitet: dunkle Wartezimmer, das Warten auf Ärzte, das Halten der Hände - prägende Erinnerungen für die Alleinerziehende.
Auch heute hat Sohn Frederic noch einen Termin zur Lymphdrainage. Davor muss Sabine noch fix die Hausarbeit erledigen, denn die bleibt oft liegen: "Ich habe Zwölf-Stunden-Tage. Meine Bedürfnisse finden nicht statt."
Hiobsbotschaft Gasabschlag
Rechnungen von den Ärzten, Rechnungen für das Haus, Rechnungen von Versicherungen: Für alle Kosten muss Sabine Weise allein aufkommen. "Im vergangenen Monat hatte ich gefühlt 1.000 Euro Rechnungen. Es wird ja alles teurer. Die Energiepreise steigen, die Lebensmittel- und Spritpreise, dann kommen da Zahnarztkosten oben drauf. Ich muss gucken, wann zahl' ich was." Eine Nachricht traf sie besonders schwer: Der Gaslieferant hat den Abschlag vervierfacht von 100 Euro auf 426 Euro. Schon mit der alten Abschlagszahlung ging es finanziell nur gerade eben so.
Dennoch ohne Heizung geht es nicht. Ihre Kinder Elli und Frederic konnten aufgrund ihrer Erkrankungen die Schule nicht beenden. Sie wollen das nachholen und bewerben sich auf Angebote vom Arbeitsamt. Doch im Moment haben sie kein Glück. Beide sind rund um die Uhr zu Hause. Familie Weise wohnt in einem behindertengerecht umgebauten Haus auf 129 Quadratmetern - drei kleine Zimmer und zwei halbe. Sabine Weise hat kein eigenes Zimmer, sie schläft im Wohnzimmer auf dem Sofa. "Mir tut es leid", sagt Frederic. "Ich weiß, dass sie viel gestresst ist. Wenn Rechnungen kommen, da ist eine Spannung in der Luft. Wir schlagen uns nicht die Köpfe ein, aber es ist schwierig."
Energiekosten fressen das Geld
Frederic bräuchte auch Krankengymnastik, doch seine Mutter würde es aufgrund ihrer Arbeit nicht schaffen, ihn regelmäßig hinzubringen. Für ein Sportgerät, mit dem er zu Hause Bewegung üben könnte, reicht das Geld jetzt nicht mehr, wo die steigenden Energiekosten jeden freien Euro auffressen. Das Haus muss die Familie behalten - als Altersvorsorge und weil eine vergleichbar große, behindertengerechte Wohnung noch mehr kosten würde als ihr Kredit. Dabei verschlingt das Haus auch eine Menge Geld. Im Garten muss zum Beispiel eine alte Birke gefällt werden. Kostenpunkt: Knapp 900 Euro, und das ohne die Kosten für die Entsorgung.
Schöne Momente trotz Hamsterrad
"Man fühlt sich wie in einem Hamsterrad. Arbeiten, um Rechnungen zu bezahlen. Gefühlt geht es mir immer schlechter", sagt Sabine Weise. Beklagen möchte sie sich dennoch nicht. Sie ist dankbar für ihre Familie, ihren Zusammenhalt und die Liebe. Zugleich würde sie sich wünschen, dass es sich wieder lohnt zu arbeiten und wieder etwas übrig bleibt vom Gehalt für die schönen Dinge des Lebens: "Ich denke mir immer, wenn ich arbeite, muss ich doch etwas davon haben. Essen gehen oder in den Urlaub fahren, muss ja auch nicht teuer sein. Aber einfach etwas Schönes erleben gemeinsam."
Im Moment ist das Schöne für die Familie, wenn sie alle an einem Tisch sitzen. Ein seltener Moment, aber auch eben genau das, was für sie zählt, wofür Sabine Weise arbeitet.
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