Eine ältere Dame hält ein Telefon in der Hand. © picture alliance / Eibner-Pressefoto | Fleig Foto: picture alliance / Eibner-Pressefoto | Fleig

Enkeltrick: Fast wären 20.000 Euro weg gewesen

Stand: 23.04.2022 06:00 Uhr

Wie schnell es gehen kann, auf Trickbetrüger am Telefon hereinzufallen, hat Nadina von Studnitz, Leiterin des NDR Studios in Flensburg, selbst erlebt. Ihre Mutter hätte beinahe viel Geld verloren - und bis fast zum Schluss erschien die Geschichte der Trickbetrüger auch der Tochter glaubhaft.

von Nadina von Studnitz

An einem Montag um 12.45 Uhr klingelt mein Handy. "Nadina, hier ist die Mami. Deine Schwester hatte einen Verkehrsunfall und hat eine Fahrradfahrerin tot gefahren. Kommst du bitte ganz schnell zu mir?" Ich bin wie vom Blitz getroffen, gucke auf mein Handy, versuche zu verstehen, was meine Mutter mir gerade mit ganz dünner Stimme erzählt. Meine Schwester, Autounfall, tote Fahrradfahrerin. Hilfe!

Es ergibt alles Sinn

Ich frage nach: "Mami, stimmt das? Wo ist Martina [Anm. d. Red: Name geändert]?" Ganz konzentriert berichtet meine Mutter. In jeder Einzelheit. Und es ergibt alles Sinn. Die Fahrradfahrerin ist gestorben, nachdem meine Schwester sie angefahren hat. Sie hatte ein kleines Kind auf dem Rad mit dabei, es ist schwer verletzt. Nun ist meine Schwester bei der Polizei. Ich reiße mich zusammen: "Hast Du mit Martina gesprochen?" Nein, das hat meine Mutter nicht. Meine Schwester habe einen Nervenzusammenbruch und werde nun psychologisch betreut. Klar, das kann ich mir vorstellen. Die Staatsanwaltschaft habe dann bei meiner Mutter angerufen. "Bitte komm schnell, Nadina", nuschelt meine Mutter noch, dann legt sie auf. Ich versuche, einen klaren Gedanken zu fassen. Meine Mutter ist 96 Jahre alt und lebt allein. In Berlin. Ich lebe in Flensburg. Es ist mitten am Tag, ich bin bei der Arbeit. Verdammt. Ich schwitze vor Angst.

Ab auf die A7

Um 12.55 Uhr schicke ich meiner Schwester eine WhatsApp-Nachricht: "Sag Bescheid, wenn ich was tun kann, ich fahre jetzt los." Dann versuche ich, noch mal meine Mutter anzurufen. Ich erreiche sie nicht - weder auf dem Festnetz noch auf ihrem Handy. Das Telefon klingelt ins Leere. Ich springe in Flensburg ins Auto und ab auf die A7. Ich werde gegen 19 Uhr in Berlin sein.

Warum geht meine Mutter nicht ans Telefon?

Um 13.20 Uhr ruft meine Schwester ruft an: "Was soll die Aufregung?", fragt sie leicht genervt. "Bei mir ist alles okay." Was? Ich kapiere gar nichts mehr. Was ist da los? Vielleicht hat meine Mutter etwas durcheinandergebracht? Oder meine Tante, auch schon 86, hatte den Unfall mit Todesfolge? Warum geht meine Mutter nicht ans Telefon? Hat sie einen Herzinfarkt? Liegt sie hilflos am Boden? Ruhig bleiben, nicht durchdrehen, denke ich, und habe Herzklopfen. Meine Schwester in Berlin fährt rüber zu meiner Mutter. Berlin am Mittag. Sie ist mindestens eine Stunde unterwegs. Und ich hocke zittrig auf der Autobahn Höhe Bordesholmer Dreieck.

Schnell 20.000 Euro Kaution abheben

Um 14.30 Uhr klingelt wieder das Handy. Es ist wieder meine Schwester. Sie ist gerade bei meiner Mutter angekommen. Und sie erzählt: Die alte Dame sitzt in ihrem Rollstuhl, direkt an der Tür, fertig im Mantel, Perlenkette in der Hand. Fassungslos sieht sie meine Schwester an. Denn meine Mutter wartet doch auf das Taxi, das sie zur Bank bringen soll. Sie will doch die Kaution in Höhe von 20.000 Euro für meine Schwester von der Bank abheben. Und dann begreift meine Mutter es. Sie ist auf Telefonbetrüger hereingefallen. Hat alles geglaubt. Ist fast gestorben vor Sorge um meine Schwester.

Telefonverbot für die Mutter

Sie haben meiner Mutter verboten zu telefonieren. Man müsse sie jederzeit ansprechen können, die Leitung musste freigehalten werden. Die Anweisungen waren klar, angemessene Wortwahl, zugewandt, aber auch autoritär. Und meine Mutter hat ihnen alles erzählt. Nein, sie hat nur wenig Bargeld zu Hause. Nein, der Schmuck ist bei der Bank im Schließfach. Ja, auf dem Konto ist Geld. Natürlich hebt sie es ab und stellt die Kaution. Sie will ihrem Kind helfen.

Eine kluge, starke Frau weint

Meine Mutter ist Jahrgang 1925. Sie hat den Krieg in Berlin erlebt, hat immer als Übersetzerin gearbeitet, hat unsere Familie zusammengehalten, sie beherrscht Facetime und liest die Zeitung online. Sie kann nicht laufen, aber sie ist immer noch eine kluge und starke Frau. Nun weint sie. Ist ganz klein, fassungslos und gedemütigt. Hat für einen Moment die Orientierung verloren. Ich heule am Telefon vor Angst und Wut. Wie mies muss man drauf sein, um alte Menschen so fertigzumachen? Nein, die Betrüger haben kein Geld erbeutet. Aber uns wird klar, wie verletzlich wir alle sind, wie schnell unsere kleine Familien-Welt aus den Fugen geraten kann. Die Anzeige bei der Polizei geben wir übrigens online auf, wir sollen nicht aufs Revier kommen, es gebe einfach zu viele Fälle.

Versuch, über unsere Gutgläubigkeit zu lachen

Eine Woche lang bleibe ich in Berlin bei meiner Mutter, bevor ich zurück nach Flensburg fahre. Jede Nacht schläft sie etwas besser. Wir reden viel, kochen gemeinsam, schimpfen auf die üblen Typen und ihre schlimme Masche. Irgendwann versuchen wir, über unsere Gutgläubigkeit zu lachen. Zuerst fällt es schwer, dann funktioniert es zum Glück. Meine Mutter überwindet den Schock, verdrängt die schlimmen Stunden und kommt langsam wieder zu sich. Sie ist stärker als ich.

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NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 22.04.2022 | 15:00 Uhr

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