Datenschützerin wirft Staatsanwaltschaft Datenschutzverstoß vor

Stand: 23.01.2023 13:00 Uhr

Die Staatsanwaltschaft Kiel gewährt einem ehemaligen Mitarbeiter des Landesdatenschutzzentrums Akteneinsicht - der verbreitet die sensiblen Informationen. Das Kieler Landgericht muss nun klären, ob die Staatsanwaltschaft Teile der Akte zu Unrecht herausgegeben hat. Am Montag tauschten beide Seiten ihre Positionen aus.

von Constantin Gill

Es ist der erste Corona-Sommer, als die ominösen Faxe in den Büros der Landtagsfraktionen ankommen. Sie enthalten eine Bewerbung um den Posten an der Spitze des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz. Angehängt sind aber auch Auszüge aus einer Ermittlungsakte, die den Eindruck erwecken könnten, dass Amtsinhaberin Marit Hansen - die im Juni 2020 gerade kurz vor ihrer Wiederwahl steht - vielleicht doch etwas verbrochen hat.

Marit Hansen bei einer Verhandlung im Landesgericht in Kiel © NDR Foto: Christian Nagel
Datenschützerin wirft Staatsanwaltschaft Datenschutzverstoß in eigener Sache vor - mit diesem Fall beschäftigt sich das Kieler Landgericht seit Montag.

Dass es um alte, inzwischen widerlegte Vorwürfe des Förderbetrugs im Landesdatenschutzzentrum geht, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Erst später stellt sich heraus: Ein ehemaliger Mitarbeiter Hansens hatte die Faxe verschickt. Er hatte die sensiblen Informationen im Zuge der Akteneinsicht von der Staatsanwaltschaft bekommen - die ermittelte inzwischen nämlich wegen falscher Verdächtigung gehen ihn.

Aus Hansens Sicht hätte er die Vermerke nicht bekommen dürfen. Deshalb hat sie vor dem Landgericht geklagt. "Die Staatsanwaltschaft hat Fehler gemacht, davon bin ich überzeugt", sagt Marit Hansen.

Nach Beginn der Verhandlung am Montag hätten beide Seiten ihre Positionen ausgetauscht, sagte ein Gerichtssprecher. Das Kieler Landgericht will am 10. März seine Entscheidung über die Klage von Marit Hansen gegen die Staatsanwaltschaft Kiel verkünden.

Lange Ermittlungen und doch kein Schlussstrich

Die Vorgeschichte beginnt einige Jahr davor: Ende 2015 durchsuchen Polizei und Staatsanwaltschaft die Räumlichkeiten des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz. Anlass sind Vorwürfe des ehemaligen Mitarbeiters, Hansen habe Fördergelder falsch abgerechnet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen mutmaßlichen Abrechnungsbetrugs. Fast vier Jahre lang. Dann werden die Ermittlungen eingestellt. Später wird das Schleswiger Oberlandesgericht feststellen, das Verfahren sei "sowohl zeitlich als auch nach seiner inhaltlichen Ausgestaltung in mehrfacher Hinsicht unangemessen lang"gewesen. Hansen hatte ihrerseits nun geklagt - mit Erfolg. Zwar bekam sie keinen Schadenersatz - aber Recht.

Eigentlich hätte es damit gut sein können. Doch kurz bevor das OLG sein Urteil spricht, tauchen die besagten Faxe auf. Der ehemalige Mitarbeiter, der am Ende seiner Probezeit entlassen worden war, hatte sich wegen falscher Verdächtigung verantworten müssen. Im Zuge dieses Verfahrens beantragt er Akteneinsicht. Und will auch Vermerke der Staatsanwaltschaft aus dem Verfahren gegen Hansen haben. Das lehnt deren Anwalt in einer Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft ab. Und bittet ausdrücklich darum, informiert zu werden, sollten die Vermerke doch rausgehen.

Das sei jedoch nicht passiert, kritisiert Hansen heute: "Wir sind nicht informiert worden, wir sind davon ausgegangen, dass dann die Dokumente auch nicht herausgegeben wurden."

Generalstaatsanwaltschaft: Kieler Staatsanwaltschaft hat richtig abgewogen

Dass der ehemalige Mitarbeiter die Aktenbestandteile bekommen hat, erfährt Hansen erst, als die Faxe die Runde machen. Zu diesem Zeitpunkt stellt sie sich innerlich auf neue Schlagzeilen ein: "Wer das jetzt so aus dem Zusammenhang gerissen betrachtet, der mag vielleicht zu falschen Schlüssen kommen, dass ich mir doch irgendwas habe zu Schulden kommen lassen", sagt sie. Zumal Stellungnahmen ihres Anwalts zu den Vorwürfen in den Vermerken nicht auftauchen. Im September 2021 verklagt sie die Staatsanwaltschaft erneut auf Schadenersatz wegen mutmaßlicher Datenschutzverstöße.

Gegner im Verfahren ist das Land - vertreten durch die Generalstaatsanwaltschaft. Die ist gleichzeitig auch die Aufsichtsbehörde der Staatsanwaltschaften. Und ist der Meinung, dass die Akteneinsicht rechtmäßig war. Denn die Kieler Staatsanwaltschaft habe richtig abgewogen zwischen dem Recht des Beschuldigten auf Akteneinsicht in dem gegen ihn geführten Verfahren wegen falscher Verdächtigung auf der einen Seite und dem Schutz der Integrität der personenbezogenen Daten der Klägerin auf der anderen Seite.

Außerdem hat die Staatsanwaltschaft nach den Worten der leitenden Oberstaatsanwältin Wiebke Hoffelner, Pressesprecherin der Generalstaatsanwaltschaft, "sorgfältig geprüft, welche wenigen Unterlagen zwingend erforderlich waren, für das gegen den ehemaligen Mitarbeiter der Klägerin geführte Ermittlungsverfahren waren. Und nur in diese Unterlagen ist Akteneinsicht gewährt worden."

Rufschädigung durch "mundgerechte" Informationen

Hansen und ihr Anwalt argumentieren aber, dass die Staatsanwaltschaft selbst keine Relevanz der Vermerke für das Verfahren gegen den ehemaligen Mitarbeiter sah. Und berufen sich auf ein entsprechendes Schreiben der Staatsanwaltschaft, in dem sie ihm genau das auch mitteilte. Dennoch gingen die Aktenbestandteile an ihn.

Die mögliche Rufschädigung geht aus Hansens Sicht zwar auf das Konto des ehemaligen Mitarbeiters. Aber die Staatsanwaltschaft habe ihm die Informationen "quasi mundgerecht" übermittelt, so Hansen. Und: Sie hätte den ehemaligen Mitarbeiter aus ihrer Sicht zumindest darauf hinweisen müssen, dass die Vermerke nicht zweckentfremdet werden dürfen. Das sei in der Strafprozessordnung so geregelt. Die Generalstaatsanwaltschaft dagegen meint: Der ehemalige Mitarbeiter sei Volljurist gewesen, Rechtsanwalt, "und muss um die Vertraulichkeit der Daten gewusst haben, und er muss auch gewusst haben, dass er mit diesen nicht in der Form umgehen darf", so die leitende Oberstaatsanwältin Wiebke Hoffelner.

Marit Hansen weiß nicht, wie groß der Empfängerkreis der ominösen Faxe damals wirklich war. Und ob die Informationen nicht an anderer Stelle wieder auftauchen: Etwa in dreieinhalb Jahren, sagt Hansen, könne es "noch einmal interessant werden" - wenn sie nämlich als Landesdatenschutzbeauftragte nicht wiedergewählt werden darf - und auf Jobsuche geht.

Weitere Informationen
Marit Hansen, die neue Datenschutzbeauftragtedes Landes Schleswig-Holstein sitzt in ihrem Büro. © dpa-Bildfunk

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 23.01.2023 | 19:30 Uhr

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