Eine längere Warteschlange steht vor dem Kieler Rathaus. © NDR

Das Digitale Amt: Bürger müssen weiter Schlange stehen

Sendedatum: 10.05.2022 19:30 Uhr

Personalausweis oder Reisepass beantragen - in Kiel kann das lange dauern. Wer nicht auf einen Termin warten will, muss früh aufstehen. Das hat mehrere Gründe.

von Lennert Richter

Vier Uhr morgens in Kiel. Noch ist es dunkel, in der Innenstadt ist es ruhig. Nur vor dem Rathaus versammeln sich bereits die ersten Bürgerinnen und Bürger. 15 sind es zunächst, schnell jedoch doppelt so viele. Es wird langsam hell, da zieht sich schon eine Warteschlange über den Rathausplatz. Sie wollen alle einen Personalausweis oder einen Reisepass beantragen. Freie Online-Termine dafür gebe es aber erst frühestens in über zwei Monaten, erklärt eine junge Mutter. Deshalb probieren sie einfach ihr Glück in den frühen Morgenstunden. Viele von ihnen nicht zum ersten Mal. Manche haben sich Campingstühle und Kaffee mitgebracht. An die Rathauswand angelehnt schläft ein Mann.

"Früh da zu sein, ist absolut notwendig"

Um fünf Uhr morgens hat sich die Studentin Kim Kirchner in die Warteschlange eingereiht. Auch sie will heute einen neuen Personalausweis beantragen und sagt: "Früh da zu sein, ist absolut notwendig." Vergangene Woche hatte sie es schon einmal probiert. Sie kam um sechs - viel zu spät, wie sich schnell herausstellte. Unverrichteter Dinge wurde die Studentin wieder nach Hause geschickt. Ob es heute gelingt? Das ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher. "Wir waren ein wenig panisch in der Schlange, als wir gesehen haben, wie viele dann doch vor uns waren", beschreibt die Studentin mit Blick auf die vielen Menschen ihre Gefühle.

Grund für Wartezeiten - die schleppende Digitalisierung

Um kurz vor 6 Uhr ist die Sonne aufgegangen, die Wartenden werden ins Rathaus gelassen. Vielmehr ändert sich für sie drinnen aber nicht. Binnen weniger Minuten bildet sich auch hier eine Schlange. Schnell führt sie durch die gesamte Eingangshalle, die Stufen zum ersten Stockwerk hinauf. 90 weitere Minuten müssen sich die Menschen hier noch gedulden. Um halb acht öffnen die Schalter. Doch das Bangen geht weiter. Wie viele Anträge am Tag bearbeiten werden können, kann den Bürgern niemand sagen. Das hänge vom jeweiligen Personalstand ab - und der sei momentan eh schon angegriffen, erklärt Stadtrat Christian Zierau: "Und gerade auch jetzt im März und April hat die Pandemie nochmal in unserer Belegschaft voll zugeschlagen."

Die langen Wartezeiten bei der Ausweis-Beantragung fallen auch in sein Ressort. Als Grund dafür gibt er die momentan unzureichende Digitalisierung im Amt an. "Bund und Länder haben sich ja vorgenommen, bis Ende 2022 das digitale Amt anzubieten. Da arbeiten wir mit Hochdruck dran", erklärt der Stadtrat. Und doch verläuft die Durchführung eher schleppend. Christian Zierau spricht von "Gesetzen, die Dinge komplizierter machen" - und auch sonst sei es gerade eine schwere Zeit. "Die Mengen werden mehr und die Fälle werden auch komplizierter. Auch beim Thema Kommunikation können wir vieles besser machen", kritisiert er die Situation.

Lange Bürgerbüro-Wartezeiten in ganz SH

Neu ist das Problem allerdings nicht. Seit mehreren Jahren bereits kommt das Rathaus nicht mehr mit den Terminen hinterher - und das nicht nur in Kiel. Auch in anderen Orten in Schleswig-Holstein wie in Neumünster, Malente oder in Heide zum Beispiel klagen die Menschen über zu lange Wartezeiten. Darauf waren zuvor auch die Lokalmedien aufmerksam geworden. "Bürgerfrust im Bürgerbüro" titelte die Schleswig-Holsteinische Landeszeitung über die Zustände in Rendsburg. Das Hamburger Abendblatt berichtete über einen Fall aus Bargteheide. Dort hatte ein Mann aus Frust vor dem Bürgerbüro protestiert.

Zusätzlich Druck durch ukrainische Geflüchtete

In Kiel ist Christian Zierau über die lange Warteschlange frühmorgens vor dem Rathaus informiert. Trotzdem gibt er zu Bedenken, das Problem könne man nicht von heute auf morgen lösen: "Es gibt hier nicht diesen Knopfdruck. Sonst hätten wir ihn schon lange getätigt, dass das besser wird. Es ist ein Prozess." Nicht nur die schleppende Digitalisierung und die Corona-Ausfälle schaffen "zusätzlichen Druck", sondern auch die Geflüchteten aus der Ukraine.

Bislang gibt es keine schnelle Lösung, wie man die Wartezeiten bei der Beantragung von Ausweisdokumenten kurzfristig reduzieren kann. Um 11.30 Uhr kann Kim Kirchner ihren "Perso" endlich beantragen. Mehr als sechs Stunden hat sie da schon gewartet. Heute hatte sie Glück. "Yes", ruft sie, als ihre Nummer auf dem Display über der Tür des Bürgerbüros erscheint. Von denen, die frühmorgens in der Schlange standen, ist sie die letzte, die an diesem Tag einen Termin erhalten hat. Wer später aufgestanden ist, muss wiederkommen - oder darauf hoffen, dass Ende des Jahres alles schneller und besser funktioniert.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 10.05.2022 | 19:30 Uhr

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