Kernkraftwerk Brunsbuettel mit Umspannwerk und Industrie an der Elbe. © IMAGO / blickwinkel

AKW Brunsbüttel: So läuft der Rückbau

Stand: 14.07.2022 15:31 Uhr

Von außen sieht das Kernkraftwerk in Brunsbüttel aus wie vor zehn Jahren. Optisch hat sich so gut wie nichts verändert. Doch im Inneren des AKW ist der Rückbau deutlich zu sehen.

von Laura Albus

Es ist eine Großbaustelle der besonderen Art: Hinter den Mauern des Kernkraftwerks Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen) läuft der Rückbau. Im Jahr 2011 sollte das Kraftwerk laut Betreiber Vattenfall wieder ans Netz gehen, doch dann kam der Vorfall in Fukushima - und die damalige Bundesregierung beschloss den Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022. Die ältesten acht Meiler sollten direkt außer Betrieb genommen werden. Vor zehn Jahren reichte das Kernkraftwerk Brunsbüttel den Antrag zur Stilllegung bei der Atomaufsichtsbehörde ein. Sechs Jahre später dann die Genehmigung. Seit 2019 ist das Werk im Rückbau.

Markus Willicks ist Werksleiter und dafür zuständig, dass der Rückbau nach Plan läuft. Seit fünf Jahren ist er in Brunsbüttel und kümmert sich darum, dass die 300.000 Tonnen Material, die inklusive Gemäuer im Kraftwerk sind, sicher rauskommen. Das geht natürlich nicht einfach so. Er und sein Team müssen eine Vielzahl behördlicher Vorgaben erfüllen. Der Dokumentationsaufwand beispielsweise ist enorm. Alles, was das Werk verlassen soll, muss durch die Atomaufsichtsbehörde in Kiel freigegeben werden. Dafür gibt es drei Stationen, die jede Schraube und jedes Rohrleitungsteil durchlaufen muss: Erstmessung, Orientierungsmessung, Freimessung.

Jedes Gramm wird dokumentiert

Matthias Arndt beispielsweise ist für die Dokumentation der Orientierungsmessung zuständig. Ein Kollege vom Strahlenschutz fährt mit einem Dosimeter eine sogenannte Mulde, eine Kiste mit Teilen aus dem Rückbau, ab. Jedes einzelne Teil wird gemessen. Auch die Mulde selbst. Die Ergebnisse notiert Matthias Arndt. "Damit auch lückenlos nachgewiesen werden kann, aus welchem Raum der Reststoff stammt, wo ist er angefallen", erzählt er und ergänzt: "Dass man letztendlich weiß, wo kommt jedes Gramm, jedes Kilo im Gebäude herkommt."

Kontrollbereich immer noch ein Stück Heimat für Mitarbeitende

Hunderte Gewerke arbeiten für den Rückbau zusammen. Viele kennen das Werk noch aus dem Leistungsbetrieb. Markus Willicks geht durch die Gänge im Kraftwerk. Hunderte Kilometer Rohrleitungen, zahllose Gänge und Treppen - für Außenstehende ist der Kontrollbereich des Kraftwerks ein Labyrinth. Für den Werksleiter aber ist es auch ein Stück Heimat. Er bleibt vor einem großen Loch in der Wand stehen. Was nun innerhalb des Kontrollbereichs frei zugänglich ist, war vorher ein zentimeterdicker Deckel drauf mit handtellergroßen Schrauben und Muttern. Hier, am Reaktor, hätten sie 2019 mit dem eigentlichen Rückbau begonnen. Er zeigt auf einen Rohrleitungsflansch. Eine von insgesamt vier Frischdampfleitungen, die in den Reaktor geführt hat. Die hätten sie abgetrennt und abgeschlossen: "Das war so ein Punkt, wo wir wussten, jetzt ist es soweit: Es gibt kein Zurück mehr."

Das war so ein Punkt, wo wir wussten, jetzt ist es soweit: Es gibt kein zurück mehr. Kraftwerksleiter Markus Willicks

Plötzlich wertlos: Erst pflegen, jetzt zurückbauen

Für ihn sei der Ausstieg aus der Kernenergie sehr plötzlich gekommen und politisch aufgeladen gewesen. Mit der Folge für ihn und sein Team, dass alles, was sie zuvor gehegt und gepflegt hätten, nun zurückgebaut wird. Es sei plötzlich wertlos, sagt Markus Willicks. Er erzählt, dass das bei ihm auch einige Jahre gedauert hatte, "bis ich für mich klar hatte - okay, ich entscheide mich jetzt bewusst dafür, die neue Aufgabe Rückbau als meine Aufgabe zu betrachten." So sei er emotional auch freier und könne den Rückbau als Herausforderung sehen.

Kosten von einer Milliarden Euro

Planzeichnung des Reaktorgebäudes AKW Brunsbüttel © Vattenfall Europe Nuclear Energy
Ein Blick in den inneren Bereich des AKW Brunsbüttel.

In etwa 15 Jahren soll in der Kraftwerkstraße in Brunsbüttel wieder eine grüne Wiese zu sehen sein. Viele Gewerke arbeiten parallel am Rückbau. Trotzdem geht es nur langsam voran. Das liegt auch daran, dass bei jeder noch so kleinen Schraube geschaut werden muss, ob sie radioaktiv kontaminiert ist. Aktuell sind Mitarbeiter damit beschäftigt, den Kernmantel zu zersägen. Unter Wasser, denn das Wasser schützt vor der Strahlung. Dazu musste extra eine mehrere Dutzend Meter lange Brücke nachträglich über das Reaktorbecken gebaut werden. "Wie so vieles", sagt Werksleiter Markus Willicks. Denn beim Bau vor über 50 Jahren wurde nicht an den Rückbau gedacht - und so müssen sie viele Geräte, Aufzüge, Maschinen erst in den Kontrollbereich reinholen, bevor sie später wieder ausgebaut werden.

Der Reaktor war das Herz des Kraftwerks. Die Brennelemente sind längst draußen. 9.000 Tonnen radioaktiver Abfall werden es voraussichtlich sein. Sie sollen ins Endlager kommen, in den Schacht Konrad. Alles andere wird gereinigt, gemessen und dann durch die Behörde freigegeben. Etwa eine Milliarde Euro wird es kosten, bis hier in 15 Jahren das Kernkraftwerk Brunsbüttel Geschichte sein wird.

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Schleswig-Holstein Magazin | 14.07.2022 | 19:30 Uhr

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