AKW Brokdorf: Streit um Abwasser-Entsorgung
In einem offenen Brief an Umweltminister Jan Philipp Albrecht äußert ein Aktionsbündnis Bedenken über das Einleiten von borhaltigem Abwasser in die Elbe. Der AKW-Betreiber und das Ministerium sehen darin kein Problem für die Natur.
Seit dem 1. Januar 2022 ist das Kernkraftwerk in Brokdorf (Kreis Steinburg) abgeschaltet. Der Rückbau wird noch mindestens bis Mitte der 2030er-Jahre dauern. Erst wenn in einigen Jahren die letzten Brennelemente aus dem Kernkraftwerk entnommen worden sind, kann auch das letzte borhaltige Abwasser in die Elbe eingeleitet werden. Das Halbmetall Bor sorgt nämlich im Primärkreislauf des Atomkraftwerks dafür, dass im Reaktorkern keine zu große Hitze durch nukleare Kettenreaktionen entsteht. Das Einleiten des borhaltigen Abwassers in die Elbe erfolgt also nicht in einem Schwung, sondern über einen längeren Zeitraum hinweg. Der Kreis Steinburg hat dem Betreiber des AKW, PreussenElektra, das Einleiten des Abwassers in die Elbe im vergangenen Dezember genehmigt.
Bor ist ein natürlicher Stoff
Im Meerwasser kommt Bor nach Angaben des Umweltministeriums und PreussenElektra in einer Konzentration von vier bis fünf Milligramm pro Liter vor. Es ist ein natürlicher Bestandteil von Salzwasser. PreussenElektra ist laut Ministerium dazu berechtigt, Abwasser mit einer Bor-Konzentration von 0,5 Milligramm pro Liter in die Elbe einzuleiten. Außerdem darf die Einleitung nicht erfolgen, wenn die natürliche Bor-Konzentration der Elbe am Höchsten ist. Sie schwankt immer wegen der Ebbe und Flut. Am Punkt, an dem der sogenannte Flutstrom eintritt, ist die Bor-Konzentration im Elbwasser am Höchsten. Erst eine Stunde nach Eintritt des Flutstroms darf borhaltiges Abwasser in die Elbe eingeleitet werden. So soll verhindert werden, dass die natürliche Bor-Konzentration durch das Einleiten des Abwassers nicht überschritten wird.
Umweltschützer fordern Anwendung von Filtertechnik
Das Aktionsbündnis für einen "verantwortungsvollen AKW-Rückbau" aus Cuxhaven und die Initiative "Brokdorf-akut" haben in eigener Recherche ein Patent für eine Filtertechnik entdeckt. Demnach könnten die radioaktiven Stoffe und das Bor aus dem Abwasser herausgefiltert und anschließend in kristallisierter Form deponiert werden. So wäre es ihrer Ansicht nach möglich, gar kein borhaltiges Abwasser in die Elbe einleiten zu müssen. Das sei weniger umweltschädlich, heißt es im Widerspruchsschreiben von "Brokdorf-akut" an den Landrat des Kreises Steinburg.
Pro und Contra kristalline Lagerung

Wegen der geringen Menge an Bor hat das Umweltministerium zusammen mit der Wasserbehörde des Kreises Steinburg entschieden, dass eine Einleitung in die Elbe nachhaltiger und umweltschonender als eine kristalline Lagerung sei. "Die Frage der kristallinen Lagerung ist eine, wo man dann fragen muss, wo dann hin mit den kristallinen Abfällen?", sagt Tobias Goldschmidt (Grüne), Staatssekretär des Umweltministeriums in Schleswig-Holstein. Unverständnis äußert Karsten Hinrichsen von der Initiative "Brokdorf-akut": "Also das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. So ein Gewässer wie die Elbe ist geschützt durch die Wasserrahmenrichtlinie. Da muss der biologische Zustand nicht nur erhalten werden, sondern verbessert werden. Auf keinen Fall verschlechtert werden." Die beiden Aktionsbündnisse warnen davor, dass eine zu hohe Borkonzentration im Wasser schädlich für Fische, Pflanzen und die weitere Umwelt sei.
Studienergebnis: Einleitung von Bor nicht schädlich
Der Betreiber PreussenElektra hat auf Nachfrage von NDR Schleswig-Holstein folgendes geantwortet: "Mögliche Auswirkungen der Borabgabe auf tierische und pflanzliche Organismen wurden in einem Gewässerökologischen Gutachten zur Wasserrahmenrichtlinie ausführlich bewertet. Es kommt zu dem Ergebnis, dass die Einleitung für die Lebewesen im Einwirkungsbereich der Ableitung unschädlich ist."
Auch Tobias Goldschmidt hat Argumente gegen den Vorwurf der Aktionsbündnisse, die Einleitung sei schädlich für Fische und weitere Lebewesen. Der Staatssekretär des Umweltministeriums sagt: "Es geht hier um sehr geringe Mengen. Der Borgehalt der Elbe an sich wird durch diese geringen Mengen, die da eingeleitet werden, nicht erhöht. Insofern ist diese Gefahr nicht zu befürchten."
Beschluss über Einleitung radioaktiver Stoffe steht noch aus
Bei dem Bor, das nun aus dem Kernkraftwerk Brokdorf in die Elbe eingeleitet wird, handelt es sich um keinen radioaktiven Stoff. Die mögliche Einleitung radioaktiver Stoffe steht nach Angaben des Umweltministeriums erst später im Zuge des Rückbaus bevor. Der Betreiber des stillgelegten Atomkraftwerks in Brunsbüttel hatte damals selbst vorgeschlagen, die Einleitung radioaktiver Stoffe auf ein Minimum zu reduzieren. Das Genehmigungsverfahren zur Einleitung radioaktiver Stoffe für das AKW in Brokdorf läuft nach Angaben des Umweltministeriums zurzeit.
Ob sich auch PreussenElektra dazu bereit erklärt, die Einleitung auf ein Minimum zu reduzieren, wird sich noch zeigen. Das Umweltministerium habe daran ein großes Interesse, betont Tobias Goldschmidt. Deswegen werde man PreussenElektra darauf noch explizit ansprechen. Aber auch wenn sich der Betreiber aus Brokdorf nicht darauf einlässt, ist das Gewässer durch die gesetzliche Obergrenze zur Einleitung radioaktiver Stoffe nach Angaben des Umweltministeriums geschützt.
Das sehen die beiden Umwelt-Aktionsbündnisse anders, erklärt Professor Frank Eulenstein aus Cuxhaven: "Das ist nicht zu verstehen, dass in diesem Bereich 40 Jahre alte Grenzwerte und Richtwerte verwendet werden, wo doch technisch gesehen modernere Verfahren der Elimination von Schadstoffen zur Verfügung stehen." Im Moment gelten seinen Angaben nach noch die Richtlinien aus dem Jahr 1983.
