Verhindert Corona-Impfung für Kinder Folgeerkrankung PIMS?
Kinder haben selten einen schweren Verlauf bei einer Corona-Infektion, doch in einigen Fällen kommt es zu der Folgeerkrankung PIM-Syndrom. Die Impfung könnte Kinder davor schützen.
Diese Woche beginnen im Norden die Kinder-Impfungen gegen das Coronavirus. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt Kindern im Alter von fünf bis elf Jahren die Impfung, die wegen einer Vorerkrankung ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben - oder aber Angehörige mit einem hohen Risiko schützen wollen. Doch Eltern können auch ihre gesunden Kinder nach einem Arztgespräch impfen lassen. Auch wenn allgemein eine hohe Impfbereitschaft erwartet wird, könnten sich trotzdem einige Eltern fragen, ob eine Impfung wirklich nötig ist, denn Kinder haben sehr selten einen schweren Verlauf. Darauf deuten auch Studien der Berliner Charité hin. Der Kinder-Notarzt Dr. Friedrich Reichert warnt aber vor der möglichen Folgeerkrankung PIMS.
PIMS befällt Organe - Kinder müssen ins Krankenhaus
Die Abkürzung PIMS steht für "Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome". Es ist ein Entzündungssyndrom, das Wochen nach einer Corona-Infektion bei Kindern auftreten kann. Das kann auch der Fall sein, wenn die Infektion unbemerkt oder mit nur sehr schwachen Symptomen verlaufen ist. PIMS befällt mehrere Organe, die Kinder müssen damit ins Krankenhaus.
NDR Info hat mit Dr. Friedrich Reichert, dem Leiter der Pädiatrischen Notaufnahme am Klinikum Stuttgart, über das PIM-Syndrom gesprochen.
NDR Info: Wie häufig tritt das PIM-Syndrom auf?
Friedrich Reichert: Schätzungen zufolge betrifft es eines von 3.000 Kindern, die eine Corona-Infektion hatten. In Deutschland gibt es ein freiwilliges Melderegister. Da sind bis jetzt knapp 500 Fälle gemeldet. Wahrscheinlich sind es eher 800 oder 900, weil nicht jede Klinik ihre Fälle meldet.
Auf welche Symptome sollten Eltern achten?
Reichert: Zum einen recht hohes Fieber über mehrere Tage, das sich nicht gut senken lässt. Dazu haben die Kinder meistens Kopfschmerzen oder Magen-Darm-Symptome, wie Bauchschmerzen, Erbrechen oder Durchfall. Dann kommt im Laufe der Erkrankungen Ausschlag am ganzen Körper dazu, der kann auch die Handflächen oder Fußsohlen betreffen. Und ganz typisch ist auch noch, wenn die Kinder eine ausgeprägte Bindehautentzündung bekommen. Also ganz rote Augen. Das sind die typischen Symptome, wenn die Kinder zu uns in die Notaufnahme kommen.
Wie läuft dann eine typische Therapie ab?
Reichert: Wir schauen erst mal, ob wir die Diagnose stellen können. Das heißt, wir nehmen erstmal Blut ab und kontrollieren, ob es andere mögliche Ursachen geben könnte. Im Blut sehen wir dann auch meist, dass sehr viele Antikörper gegen Sars-CoV-2 vorhanden sind, was auf eine kürzliche Infektion hinweist. Dadurch dass die Kinder eine sehr starke Entzündungsreaktion haben, orientiert sich daran auch die Therapie. Da gibt es zwei Bausteine: Einmal ist das Medikament Cortison stark entzündungshemmend. Das andere sind intravenöse Immunglobuline. Die kennt man aus der Behandlung von anderen Erkrankungen, die mit starker Entzündung einhergehen. Zum Beispiel dem Kawasaki-Syndrom und so kamen die Kollegen, die das PIMS zum ersten Mal gesehen haben, auch auf die Idee, diese Therapie zu benutzen. Das funktioniert sehr gut.
Wie geht man da genau vor?
Reichert: Man stellt die Diagnose, meist mit einem multidisziplinär aufgestellten Team. Denn es sind meist sehr viele verschiedene Organsysteme betroffen: Leber, Niere und insbesondere das Herz. Das ist das Hauptproblem. Sobald die Diagnose feststeht, fängt man möglichst früh an, Immunglobuline zu infundieren. Das ist eine Infusion, die geht über zwölf Stunden. Und parallel dazu gibt man drei Dosen Cortison am Tag. Dann muss man schauen, wie das Kind darauf anspricht.
Haben Ärztinnen und Ärzte denn überall die Möglichkeit, mit solchen Immunglobulinen zu behandeln?
Reichert: In den Kinderkliniken eigentlich schon - das ist ein Medikament, das auch in vielen anderen Bereichen genutzt wird, zum Beispiel in der Intensiv-Medizin. Es gibt aber durchaus Länder und Regionen in der Welt, wo es das weniger gibt und wo es durchaus Lieferschwierigkeiten gibt. In Großbritannien war das ein Problem in der ausgeprägten zweiten Welle. Da hatten die keine Immunglobuline mehr und auch in Deutschland kann es aktuell passieren, dass die Immunglobuline ausgehen. Das Medikament wird aus menschlichen Blut- und Plasmaspenden hergestellt und dadurch dass es in der Pandemie deutlich weniger Spenden gab, haben die Hersteller ein Problem, die Medikamente nachzuproduzieren.
Nun ist ja gerade unter Kindern die aktuelle Corona-Inzidenz besonders hoch, gehen Sie davon aus, dass die PIMS-Fälle zunehmen werden?
Reichert: Ja, auf jeden Fall! Vier bis acht Wochen nach Beginn der zweiten und dritten Welle haben wir einen Anstieg der PIMS-Zahlen gesehen und das beobachten wir jetzt auch bei der vierten Welle.
Können die Kinder nach der Behandlung wieder ganz gesund werden?
Reichert: Für gewöhnlich schon. Ein kleiner Teil kann anhaltende Symptome oder auch Beeinträchtigung am Herzen zurückbehalten, die sich aber für gewöhnlich im Laufe eines Jahres zurückbilden.
Nun laufen gerade die Kinderimpfungen an, raten Sie im Zusammenhang mit PIMS zu einer Impfung? Hängt das zusammen?
Reichert: Es ist noch nicht hundertprozentig sicher, ob die Impfung PIMS verhindert. Es gilt allerdings als sehr wahrscheinlich. Insofern bin ich schon der Meinung, dass besonders viele Kinder gegen Sars-CoV-2 geimpft werden sollten. Besonders natürlich diejenigen mit einer Vorerkrankung, so wie es auch die Stiko empfiehlt. Aber auch all jene, wo die Familien und die Kinder sich eine Impfung wünschen.
