Die Kommunikationswissenschaftlerinnen Prof. Dr. Cornelia Betsch und Dr. Mirjam Jenny von der Universität Erfurt.  Foto: Marco Borggreve

Corona-Podcast: Was bei der Kommunikation schiefgelaufen ist

Stand: 26.04.2022 18:46 Uhr

Verkorkste Impfkampagne, Regel-Wirrwarr, "Killervarianten" - beim Reden über die Pandemie gab es einige Pannen. Was man daraus lernen kann, erklären die Kommunikationswissenschaftlerinnen Cornelia Betsch und Mirjam Jenny im NDR Info Podcast Coronavirus-Update.

von Ines Bellinger

Betsch und Jenny forschen an der Universität Erfurt über Gesundheitskommunikation. Dort wird auch die COSMO-Studie (Covid-19 Snapshot Monitoring) durchgeführt, die regelmäßig Menschen dazu befragt, was sie über das Virus wissen, wie stark ihr Vertrauen in Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 ist und wie sie ihr eigenes Risiko in Bezug auf die Erkrankung wahrnehmen. Letzteres hat sich verändert, seit die Omikron-Variante in Deutschland vorherrschend ist, mit zwar hohen Fallzahlen, aber zumeist milderen Verläufen. "Das wahrgenommene Risiko sich anzustecken ist ziemlich hoch", sagt Betsch in der neuen Podcast-Sonderfolge. "Aber die Leute denken: Wenn ich es bekomme, wird es vermutlich nicht so schlimm sein."

Das Coronavirus © CDC on Unsplash Foto: CDC on Unsplash
AUDIO: Sonderfolge: Die Pandemie vom Menschen her denken (75 Min)

Corona-Regeln: Was bedeutet Eigenverantwortung?

Eine Folge dieser Wahrnehmung ist, dass das freiwillige Schutzverhalten zurückgeht: Abstand, Maske, Testen - mehr und mehr werden diese Gebote in der Corona-Bekämpfung zur persönlichen Entscheidung. Das Schlagwort Eigenverantwortung wabert aktuell häufig durch die Debatten. Aber was heißt das eigentlich? "Jeder denkt, dass Eigenverantwortung bedeutet, dass man gar nichts mehr machen muss ", sagt Betsch. Dabei würde vergessen, dass es nach wie vor auch um den Schutz vulnerabler Gruppen geht. "Vielleicht ist das inzwischen ein bisschen ein ausgelutschter Begriff, bei dem jeder erst einmal an Alten- und Pflegeheime denkt. Aber es geht auch um Leute mit chronischen Erkrankungen zum Beispiel, denen man das vielleicht gar nicht ansieht. Und von denen gibt es relativ viele."

Jenny vermisst Kommunikation "auf Augenhöhe"

Betsch und Jenny haben auch darüber geforscht, warum grundlegende Informationen viele nicht erreicht haben - Fehlinformationen hingegen schon. Und weshalb die Impfkampagnen in anderen Ländern viel besser funktioniert haben als in Deutschland. Mirjam Jenny, die für das Robert Koch-Institut (RKI) die Arbeitsgruppe Wissenschaftskommunikation geleitet hat, vermisst häufig die "einfache Information" und Kommunikation "auf Augenhöhe". Eine Website wie "Zusammen gegen Corona" habe zwar alle fachlichen Informationen akribisch gebündelt. "Aber der Klick-Weg oder Lese-Weg, um zu den wirklich wichtigen Informationen zu kommen, ist ein wirklich sehr langer Komplex", kritisiert sie.

Gesundheitsthemen sind ein sensibles Feld. Um die gut zu vermitteln, brauche es Spots in Supermärkten, gut aufbereitete Informationen in verschiedenen Sprachen, Grafiken, Animationen, Icons, Kommunikation über Vertrauenspersonen bis in die kleinste Community. "Das, inklusive guter Werbespots, habe ich eigentlich die ganze Zeit vermisst."

Gute Beispiele: Dänemark, Australien, Neuseeland

Dänemark zum Beispiel habe das mit direkter Terminvergabe viel besser gelöst, in Australien wurden "Impf-Champions" ausgebildet und als Multiplikatoren eingesetzt, in Neuseeland fand Premierministerin Jacinda Ardern eine sehr persönliche Form der Ansprache, mit der sie ihre Landsleute motiviert hat. In Deutschland hingegen habe man sich bei der Konzeption der Informations- und Impfkampagne zu wenig in die Perspektive des Nutzers begeben. "Es ist ein bisschen wie in dem Film 'Good Bye, Lenin!'", sagt Betsch. "Da wacht jemand aus dem Koma auf und es gibt die DDR nicht mehr. So muss man sich im Prinzip den idealen Endnutzer vorstellen: Jemand wacht auf, denkt: Hm, es ist Pandemie. Schlecht! Dann informiere ich mich doch mal übers Impfen."

Betsch kritisiert Plakataktion zum Impfen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) präsentiert ein Plakat für eine neue Impfkampagne während einer Pressekonferenz nach einem Treffen im Kanzleramt (24.01.2022). © dpa-Bildfunk Foto: Hannibal Hanschke/POOL AP/dpa
Teuer und wenig effektiv: Bundeskanzler Olaf Scholz mit einem Impfplakat.

Deutliche Kritik üben Betsch und Jenny an der aktuellen "Impfen hilft"-Plakataktion der Bundesregierung. "Anfangs waren da Plakate im Umlauf, auf denen stand: 'Impfen hilft und macht nicht unfruchtbar'. Und das wurde an Litfaßsäulen und an Bushaltestellen breit geklebt", sagt Betsch. "Aber man kann auf großer Fläche keine Falschinformation korrigieren. Die Alternative wäre vielleicht gewesen: 'Impfen schützt dich und dein Kind' - das ist doch die eigentliche Botschaft." Dass nach wie vor Unsicherheit zum Thema Impfung und Fruchtbarkeit besteht, wissen Forscher auch aus dem COVIMO-Impfmonitoring des RKI. Das hat auch kognitive Gründe. "Das ist wie ein Puzzle in unserem Gehirn. Wenn da ein Teil fehlt, das mögen wir nicht. Wir füllen Leerstellen zur Not mit Falschinformationen", sagt Betsch.

Fakten-Sandwiches gegen Falschinformationen

Gegen Falsch- und Desinformation, die häufig auf Social Media verbreitet werden, gibt es Argumente. Betsch und Jenny empfehlen das "Debunking Handbook" ("Widerlegen, aber richtig"), das Impf-Handbuch und sogenannte Fakten-Sandwiches: "Erst kommt der Fakt, dann der Irrglaube, zum Schluss wird der richtige Fakt noch mal wiederholt", erklärt Jenny das Prinzip. Zum Thema Impfen und Fruchtbarkeit könnte neben den Fakten zur Sicherheit beispielsweise erwähnt werden, dass auch bei anderen Impfungen häufig die Falschinformation gestreut wurde, dass Impfen die Fruchtbarkeit beeinträchtige.

"Das ist wie ein Puzzle in unserem Gehirn. Wenn da ein Teil fehlt, das mögen wir nicht. Wir füllen Leerstellen zur Not mit Falschinformationen." Cornelia Betsch

Betsch möchte die Neigung, auf Falschinformationen und Gerüchte hereinzufallen, aber nicht verurteilen. "Es ist vollkommen klar, dass Leute in einer Situation von anfangs maximaler wissenschaftlicher Unsicherheit sehr viele Fragen haben, die sie beantwortet haben möchten", stellt sie fest. Oft helfe es bereits zu sagen: Über diese Frage wissen wir noch nichts, wir tun aber dieses oder jenes, um diese Frage zu beantworten.

Wenn man Antworten bekomme, könnten sich Falsch- und Desinformation nicht so leicht festsetzen. "Es wird ja immer gesagt, soundso viele Leute haben das Video von Bhakdi (Corona-Leugner Sucharit Bhakdi/d. Red.) angeklickt, also glauben soundso viele Leute diesen Stuss", nennt Betsch ein Beispiel. "Ich würde ja immer sagen: Soundso viele Leute haben diese Frage und suchen auf diese Frage eine Antwort."

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Vertrauen in RKI und Stiko ist hoch

Aus der COSMO-Befragung wissen die Forscherinnen ziemlich gut, was die Menschen wollen und brauchen. Immerhin werden die Daten aus Erfurt inzwischen besser genutzt, bei der Überarbeitung von "Zusammen gegen Corona" sind einige Erkenntnisse umgesetzt worden. Und die Basis für eine gute Gesundheitskommunikation ist in Deutschland vorhanden. Das Vertrauen in die Wissenschaft und in Institutionen wie das RKI oder die Ständige Impfkommission ist hoch, auch das zeigt die Erfurter Studie.

Den Föderalismus sieht Betsch bei der Pandemie-Bekämpfung indes als zweischneidiges Schwert. Jedes Bundesland druckt seine eigenen Flyer, programmiert sein eigenes Impfportal, macht seine eigenen Regeln. Muss das sein? "Vielleicht findet der Bayer ja nicht so gut, was in Thüringen entwickelt wurde und umgekehrt. Aber man könnte viele Ressourcen sparen, wenn man eine zentrale Stelle hätte, die sehr gute Informationen entwickelt, die adaptierbar sind", sagt Betsch.

Hoffnung auf neues Public Health Institut

Ebenso wie ihre Kollegin Jenny setzt sie große Hoffnungen in das im Koalitionsvertrag vereinbarte neue Institut für die Förderung der öffentlichen Gesundheit. "Wir haben bei den COSMO-Daten gesehen, dass über die Zeit das Vertrauen in die Regierung gesunken ist. Deshalb ist es wichtig, einen anderen Absender zu haben, der nicht die Regierung ist, sondern ein Public Health Institut, wo die Wissenschaft wohnt und wo aus den Daten heraus gut kommuniziert wird", sagt Betsch. Zur Pandemie eben nicht nur medizinisch-virologisch, sondern auch aus der Psychologie und Kommunikationswissenschaft heraus.

Frühjahr 2021: Vertrauensverlust in Regierung

Interessant an den COSMO-Daten ist, dass sich der Zeitpunkt des Vertrauensverlustes in die Regierung festmachen lässt: im Frühjahr 2021, zwischen zweiter und dritter Welle, und vor allem bei Menschen, die eigentlich bis dahin die Maßnahmen befürwortet haben. Es war die Zeit, als nach langem Lockdown wieder geöffnet wurde. "Im Narrativ der Politik wurde das häufig begründet mit: Die Leute sind pandemiemüde, aber die Daten wurden nicht im Gesamtkontext interpretiert", sagt Betsch. "Die Leute haben trotzdem noch ein hohes Risiko wahrgenommen. Das war noch in der Delta-Zeit, da sind immer noch viele Leute gestorben, wenn wir viele Fälle hatten. Da fühlten sich die Menschen nicht richtig geschützt." Zudem seien Maßnahmen zunehmend politisiert worden. "Man sprach nicht mehr mit einer Stimme."

Jenny: Leute können Angstbotschaften nicht mehr hören

Zunehmend kritisch gesehen werden auch Angst und Unsicherheit schürende Aussagen wie zuletzt die Warnung des Bundesgesundheitsministers vor möglichen "Killervarianten" im Herbst. "Angst kann initiativ eine große Wirkung haben", sagt Jenny und nennt als Beispiel die Bilder nächtlicher Leichentransporte in Bergamo zu Beginn der Pandemie. "Aber ich glaube, mittlerweile geht es vielen Leuten so, dass sie diese Angstbotschaften nicht mehr hören mögen. Es ist auch ohne Killervariante so, dass wir bei aktueller Impfquote im Herbst noch mal damit rechnen müssen, dass viele ins Krankenhaus kommen werden. Es sind ja auch viele über 60 Jahre nicht geimpft."

Angst könne auch lähmen und Menschen in ihrer Selbstwirksamkeit schwächen. So hat eine dänische Studie herausgefunden, dass Menschen eher bereit sind, sich an Regeln zu halten, wenn man ihnen in der Pandemie den gesamten Verlauf einer Kurve zeigt - also nicht nur den Anstieg, sondern auch das Abfallen ab einem Punkt x, wenn die Maßnahmen wirken. Das gibt Hoffnung auf bessere Zeiten und motiviert zum Durchhalten. COSMO-Daten stützten diese These.

Lehren auch für die Klimakrise

Betsch fordert nicht nur deshalb zum Umdenken auf: "Man hat sich hauptsächlich auf das Virus fokussiert. In den Maßnahmen und in der Kommunikation ist aber auch der Wirt des Virus extrem wichtig. Ich würde mir wünschen, dass wir stärker den Menschen in den Mittelpunkt nehmen." Das gelte für die Pandemie, aber auch für die Klimakrise. "Letztendlich treiben wir das Problem mit unserem Verhalten. Der Mensch muss verstanden werden, sonst kann man Verhalten nicht verändern."

Appell an Wissenschaft: Papers schreiben und twittern reicht nicht

Übersetzt in eine Handlungsempfehlung heißt das: In Krisenstäbe gehören dringend Experten, die sich mit Kommunikation und menschlichem Verhalten auskennen. "Das muss von Anfang an mitgedacht werden." Dafür brauche es die Bereitschaft, sich einzubringen, nicht nur auf Seiten der Politik.

"Letztendlich treiben wir das Problem mit unserem Verhalten. Der Mensch muss verstanden werden, sonst kann man Verhalten nicht verändern." Cornelia Betsch

Betsch, die als eine von zwei Psychologen zum Expertenrat der Bundesregierung gehört, will das auch als Appell an Kolleginnen und Kollegen verstanden wissen: "Nur Papers schreiben und twittern, das reicht einfach nicht", sagt sie. Forschende müssten sich auch in den Dialog werfen. "Wir Wissenschaftler arbeiten den ganzen Tag auf der Basis von Steuergeldern, um Wissen zu schaffen. Es wäre doch schön, wenn dieses Wissen auch mehr genutzt würde."

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 26.04.2022 | 17:00 Uhr

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