Chaos am Hamburger Flughafen: Was tun, wenn der Koffer weg ist?
Stand: 29.06.2022 05:57 Uhr
Am Hamburger Flughafen stapeln sich aufgrund des Personalmangels Koffer und Taschen. Reisende, die auf der Suche nach ihrem Gepäck sind, haben teils große Probleme, es zurückzubekommen. Was tun, wenn der Koffer bei einer Reise abhanden kommt?
von Anina Pommerenke
Eigentlich wollte Marcus Lycke seine Mutter besuchen. Nun ist er hauptsächlich mit der Koffer-Suche beschäftigt.
Zwei Stunden lang sucht Marcus Lycke am Hamburger Flughafen nach seinem Koffer - vergeblich. Erst habe er eine Stunde lang rund 1.000 Koffer inspiziert, dann noch einmal lange an einem Gepäckermittlungsschalter gewartet, berichtet er. Ohne Ergebnis. Seit knapp zwei Wochen ist er auf der Suche nach seinem Koffer. Jeden Vormittag habe er seither telefoniert: "In dem Koffer befindet sich ein Viertel meines Hausstandes - keine Badehosen oder etwas, was sich mal eben ersetzen lässt."
"Keiner weiß wirklich etwas"
Was ihn besonders nervt, ist, dass er kaum an Informationen komme. Es sei schwer, überhaupt jemanden ans Telefon zu bekommen und niemand habe eine Information: "Im System ist der Koffer nicht", bekomme er immer wieder zu hören. Daraufhin habe er sich dazu entschlossen, aus Ostrohe in Schleswig-Holstein selbst zum Flughafen zu fahren und nach dem Koffer zu suchen. Und er ist bei Weitem nicht der Einzige. Immerhin sei das Personal bei der Gepäckermittlung sehr freundlich gewesen, sagt Lycke: "Aber keiner weiß wirklich was - das ist ärgerlich."
Schwierige Zustände vor Ort
Auch Vanessa Hehnel aus Hamburg-Winterhude ist bereits zum vierten Mal zum Flughafen gekommen, um nach ihrem Koffer zu schauen. In der Aufbewahrungshalle sei es nicht nur sehr voll, es rieche auch streng, berichtet sie: "Man merkt, dass da Sachen vergammeln, weil da einige Koffer nicht abgeholt werden", so ihr Eindruck.
Hehnel ist sich sicher, dass bei der puren Anzahl der Koffer das Personal gar nicht hinterherkomme, alle abzuarbeiten und zu registrieren. Erschreckend: Sie habe auch schon erlebt, dass Personen aus Versehen einen falschen Koffer mitgenommen haben.
Was sollte man also tun, wenn ein Gepäckstück abhandenkommt? Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengefasst.
Die Lufthansa als größte deutsche Fluggesellschaft verweist auf Nachfrage von NDR Info auf den weltweiten Personalmangel, der dazu führe, dass Gepäck nicht wie vorgesehen gemeinsam mit den Gästen befördert werde. Normalerweise werde das Gepäck in solchen Fällen entweder an den Urlaubsort oder nach Hause geschickt - weil aber auch die Gepäckermittlung in Hamburg personell unterbesetzt sei, empfehle die Fluggesellschaft betroffenen Gästen die Abholung am Flughafen. Dort werde das Gepäck von einem Sicherheitsdienstleister bewacht und nur gegen Vorlage des Gepäckabschnitts gezeigt.
Reisende sollten sich sofort an den Gepäckermittlungsschalter wenden und ein entsprechendes Formular (Property Irregularity Report) ausfüllen. Sollte der Schalter geschlossen sein, könne man auch am Folgetag wiederkommen, so Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale Hamburg. Wer zu weit vom Flughafen weg wohnt, könne online ein entsprechendes Formular bei der Fluggesellschaft ausfüllen. Außerdem muss die Verspätung zusätzlich schriftlich bei der Fluggesellschaft angezeigt werden: "Ich würde immer empfehlen, das so schnell wie möglich zu machen", so Rehberg. Wenn man mit mehreren Fluggesellschaften geflogen ist, sollte man sicherheitshalber jede Airline anschreiben.
Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale Hamburg weist auch daraufhin, dass die Verspätung schriftlich angezeigt werden muss: "Ob eine Mail ausreicht, ist strittig, daher sollte die Anzeige auch noch schriftlich, also per Einschreiben oder Fax, erfolgen."
Laut Verbraucherzentrale müssen bei der Anzeige von verspätetem Gepäck bestimmte Fristen eingehalten werden: Innerhalb von sieben Tage nach Erhalt des Koffers sind Beschädigungen anzuzeigen, 21 Tage habe man für die Verspätung. Das sei nötig, damit später auch im Falle des Verlusts des Koffers eine Entschädigung geltend gemacht werden könne.
Der Flughafen Hamburg weist darauf hin, dass er selbst keinen Zugriff auf die Daten von Reisenden und Gepäckstücken habe und daher nicht zuständig für das Koffer-Chaos sei. Den Beförderungsvertrag schließen Passagiere mit der jeweiligen Fluggesellschaft, die sei entsprechend auch der Ansprechpartner für die Reisenden, teilt Flughafen-Sprecherin Katja Bromm mit. In der Praxis ist das manchmal schwierig, weil die Verantwortung hin und her geschoben wird. Das hat Passagier Jeff Helm aus Buxtehude gerade erlebt. Er ist bereits seit einem Monat auf der Suche nach seinem Koffer, der auf seinem Flug nach Florenz abhandenkam. Da er zunächst mit Lufthansa und dann mit Air Dolomiti geflogen sei, fühle sich keine der beiden Fluggesellschaften zuständig und verweise jeweils auf die andere.
Zunächst müssen Reisende schauen, wo genau sie am Flughafen hin müssen und welcher Ansprechpartner für sie zuständig ist. Das können sie auf der Internetseite des Flughafen Hamburgs nachvollziehen oder eine E-Mail an den Flughafen schreiben. Je nach Fluggesellschaft gibt es zwei Zugänge in unterschiedlichen Terminals, die von 8 bis 20 Uhr besetzt sein sollen. Dort sollen Reisende klingeln, damit ihnen ein Mitarbeiter die dicke Stahltür öffnet. In der Praxis sollten Reisende sich darauf einstellen, dass sie bereits vor der Tür zum Bereich "Baggage Tracing/Lost and Found" länger warten müssen, bis sie in den Sicherheitsbereich eingelassen werden. Außerdem müssen sie einen Ausweis und den Gepäckabschnitt vorzeigen.
Taucht der Koffer wieder auf, bringt die Fluggesellschaft ihn in der Regel an den Reiseort oder nach Hause. Wenn die Airline diesen Service nicht anbietet, so könne die Erstattung der Fahrtkosten verlangt werden, erklärt Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale, dazu gehören dann gegebenenfalls auch notwendige Parkkosten. Bei Telefonkosten sei dies nicht so einfach, da müsse man schon genau belegen, dass die Telefonate zur Recherche notwendig waren: "Verbraucher:innen sollten möglichst die Rufnummern der Airline nutzen, die zum nationalen Festnetzpreis angeboten werden oder wenn möglich kostenfreie Kommunikationsmöglichkeiten."
Wenn das Gepäck am Ankunftsort nicht ankommt, müssen Reisende sich mit Kleidung und Hygieneartikeln eindecken. Rechtsanwalt Alexander Skribe erklärt, dass Reisende zuerst den Verlust anzeigen müssen - im Optimalfall am Schalter zur Gepäckermittlung - und sich, bevor sie Einkäufe tätigen, unbedingt noch einmal an die zuständige Fluggesellschaft wenden müssen. Zum Beispiel per E-Mail, WhatsApp oder telefonisch - wann das Telefonat stattgefunden hat, müsse dokumentiert werden. "Reisende können dem Zweck des Urlaubs entsprechend einkaufen", erklärt Skribe. Bei einem Badeurlaub seien dies also eher die Badehose, Handtuch, Hygieneartikel und Badelatschen. Wer beruflich unterwegs sei oder auf eine Hochzeit eingeladen, könne sich aber auch dem Anlass entsprechend eindecken, zum Beispiel mit einem Anzug: "Die Leute sollten vernünftig sein und das einkaufen, was wirklich notwendig ist. Es müssen nicht unbedingt die teuersten Schuhe sein." Passagiere sollten sich darauf einstellen, dass unter Umständen nur die Hälfte oder drei Viertel des Einkaufs übernommen werden.
Das ist laut Rechtsanwalt Alexander Skribe möglich, wenn man nachweisen kann, dass die Airline die Lieferung nach Hause nicht angeboten hat und dazu aufgefordert hat, den Koffer am Flughafen abzuholen: "Wenn die Lufthansa beispielsweise schreibt, dass sie Personalmangel habe und eine Abholung am Flughafen empfehle, muss man ja einen Aufwand tätigen, der eigentlich bei der Fluggsellschaft läge." Wichtig sei, dass man einen Nachweis habe. Die Fluggesellschaft Lufthansa bestätigte, dass Kosten, die im Zusammenhang mit dem Gepäckverlust und/oder der Abholung des Gepäcks am Flughafen entstanden sind, z.B. Telefonkosten, auf Basis von Nachweisen bzw. Quittungen ersetzt werden. Dafür sollen Reisende mit Lufthansa Customer Relations über das Kontaktformular auf der Website in Kontakt treten.
Taucht ein Koffer gar nicht mehr auf, dann haben Reisende Anspruch auf Entschädigung: Die kann im Maximalfall zwischen 1.400 und 1.600 Euro liegen. Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale empfiehlt, Kaufbelege von neuen Gegenständen aufzubewahren und sich bereits vor Reiseantritt darauf vorzubereiten, dass ein Koffer abhanden kommen könnte und zum Beispiel wichtige Gegenstände (Schmuck, Wertgegenstände) oder eine Basis-Ausstattung mit ins Handgepäck zu nehmen.
Verbraucher können ihre Zahlungsansprüche über die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr geltend machen.
Wer sich nicht selbst um die Auseinandersetzung mit den Fluggesellschaften kümmern möchte, kann auf Unternehmen zurückgreifen, die sich genau darauf spezialisiert haben. Dazu gehören beispielsweise Flightright und FairPlane. Für den Service behalten die Unternehmen einen Teil des erstrittenen Geldes ein.
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29.06.2022 | 06:35 Uhr
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