Kommentar: Aus für die Musiktage ist eine Hiobsbotschaft
Unter den Akteuren - seien es Künstler oder Kulturmanagerinnen - in der deutschen Kultur hat sich schon lange ein Unwohlsein breit gemacht. Wie wichtig ist ihr Tun wirklich in der "Kulturnation"? Wie hoch wird es geachtet, über die großen Bekenntnisse bei offiziellen Anlässen hinaus?

Die Pandemie hat gezeigt, wie plötzlich die Bedeutung von Musik, Theater und öffentlichen Veranstaltungen an sich atomisiert wurde. Hier hat man zuerst geschlossen und zuletzt geöffnet - die Kultur hatte sich hinten anzustellen, hinter Industrie, Transport, Einzelhandel, Gastronomie.
Und auch was die Verteilung der Mittel angeht, blicken viele in der Szene nicht hoffnungsfroh in die Zukunft - wann wird sie kommen, die Rechnung für die vielen Milliardenhilfspakete, für Niedrigstzins und Inflation? Wer wird sie bezahlen müssen? Das Beispiel der Niedersächsischen Musiktage und des Literaturfests Niedersachsen scheint den pessimistischen Stimmen Recht zu geben.
Zwei große Stiftungen ziehen sich aus der Finanzierung zurück - plötzlich ist es für beide Festivals mit unzähligen Veranstaltungen in der Region vorbei. Die derzeitigen Wirtschafts- und Finanzsituationen zwingt viele Kulturförderer, ihr Engagement zu überdenken. Aber auch der Blick auf Kunst, Kultur und ihre Traditionen verändert sich in unserer Gesellschaft rasant.
In den Stiftungsräten, den Ministerien und Kulturämtern sitzen immer mehr Menschen, die in der Förderung der Exzellenzkultur nicht mehr das wichtigste Ziel ihres Engagements sehen. Jahrelang war diese maßgeblich für das bürgerliche Leben. So wie die Popkultur immer selbstverständlicher in unseren kulturellen Kanon einzieht, so werden Fragen, die an den sogenannten gesellschaftlichen Mehrwert von Kultur gestellt werden, immer schärfer. Was bringt den Menschen in unserem Land ein Kammerkonzert oder eine Lesung? Erreichen wir wirklich ein diverses, vielfältiges Publikum?
Diese Fragen zu stellen ist nicht verwegen. In England, den USA oder Australien wird der Wert einer Förderung schon seit Jahrzehnten auch an die Breitenwirkung der Projekte geknüpft. "Education", "Vermittlung" stehen hier inzwischen vor dem reinen künstlerischen Wert. Dennoch hinterlässt die heutige Hiobsbotschaft einen bitteren Nachgeschmack. Beide Festivals, die nun verschwinden sollen, haben Kultur gerade auch an Orte gebracht, die damit nicht reich gesegnet sind. Jedem Kind ein Instrument zu geben, genügt nicht, wenn es keine breite und vielfältige Musiklandschaft gibt. Wenn es zum nächsten Konzert zweihundert Kilometer weit ist, oder acht Monate dauert.
Das neue Denken vieler Förderer und Finanzierer ist eine Herausforderung, der sich alle Akteure stellen müssen. Gleichzeitig gilt: Es kann keine Breite ohne Spitze geben. Kultur kann nur dann fest in einer Gesellschaft verankert bleiben, wenn beides - das soziokulturelle Musikprojekt in der Vorstadt und das Kammerkonzert in der Scheune auf dem Land - stattfindet. Die beiden Stiftungen, die sich nun aus der Förderung der zwei Festivals zurückziehen, geben vor, ihre Mittel nur umzuschichten. Sie wollen es künftig "zielgerichteter" einsetzen, heißt es. Völlig offen ist, wie ernst es den Entscheidern mit diesem Versprechen ist, und wie genau das Geld künftig verteilt werden soll, in welcher Höhe. Mehr Details wären nach der Hiobsbotschaft hilfreich gewesen.
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