Hamburg: HFBK hält an Gastprofessur für Ruangrupa-Künstler fest

Stand: 11.10.2022 18:44 Uhr

Nach der von Antisemitismusvorwürfen überschatteten documenta treten zwei Mitglieder des Kuratorenkollektivs Ruangrupa eine Gastprofessur an der Hochschule für bildende Künste (HFBK) an. Forderungen die Gastprofessoren auszuladen, will die Hochschule für bildende Künste nicht nachkommen.

Die Hochschule für bildende Künste wird am Mittwoch bei der Semestereröffnung die beiden Ruangrupa-Mitglieder Reza Afisina und Iswanto Hartono als Gastprofessoren des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) vorstellen. Die Jüdische Gemeinde in Hamburg bezeichnet die Gastprofessur in einem Statement als eine "Schande für unsere Heimatstadt Hamburg". Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Michael Fürst, sagte im Interview mit dem Hamburg Journal: "Ich habe dafür absolut kein Verständnis. Wer nach mehrmonatiger Dauer auf der documenta gezeigt hat, dass er von antisemitischen Gedanken überhaupt nicht ablassen will, der hat an einer öffentlichen Hochschule in Deutschland nichts zu suchen."

Weitere Informationen
Reza Afisina und Iswanto Hartono © Screenshot

Ruangrupa-Künstler an der HFBK: Proteste bei Semestereröffnung

Die Gastprofessur der mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontierten Ruangrupa-Mitglieder stößt auf viel Kritik. Die Auftaktveranstaltung wurde abgebrochen. mehr

Hochschule für bildende Künste hält an Gastprofessuren fest

Die Entscheidung über die Gastprofessur für Reza Afisina und Iswanto Hartono sei bereits im Januar - also vor Beginn der documenta - gefallen, erklärt Hochschul-Präsident Martin Köttering. Der Forderung, die Gastprofessoren auszuladen, will die Hochschule für bildende Künste nicht nachkommen. "Wir sehen es als unsere Pflicht an, diese Themen jetzt nicht einfach vorbeiziehen zu lassen und zum Alltagsgeschäft überzugehen: Sondern uns mit Antisemitismus in Deutschland und in allen gesellschaftlichen Schichten zu beschäftigen", sagt Köttering.

Seine Hochschule sei sensibel, wenn es um Rassismus oder Antisemitismus gehe. "Ich glaube, dass die Kunsthochschule ein guter Ort ist, um das mit den Studierenden aufzuarbeiten", sagt der Präsident der Hochschule. In diese Diskussion will er die beiden Gastprofessoren, Reza Afisina und Iswanto Hartono, einbinden. "Es ist besser mit ihnen zu sprechen, als nur über sie zu sprechen", so Köttering.

Unterstützung bekommt er dabei von Meron Mendel, dem Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. "Ich finde die Idee der Gastprofessur eine hervorragende Idee, denn das gibt uns die Möglichkeit, viele von den Debatten, die vergangenes Jahr so schiefgelaufen sind, noch aufzufangen", so Meron Mendel im Gespräch mit NDR Kultur. "Vielleicht ist das die Chance, einen produktiven Dialog zu starten."

Weitere Informationen
Ein Mann mit grauem Haar und Bart schaut nachdenklich in die Ferne. © picture alliance/dpa | Swen Pförtner Foto: Swen Pförtner

Meron Mendel zu Ruangrupa: "Sie zu verbannen, wäre ein großer Fehler"

Der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, hält die Gastprofessur der Künstler an einer Hamburger Hochschule für eine große Chance. mehr

Antisemitismus-Vorwürfe gegen Ruangrupa

Dem Kuratorenkollektiv der diesjährigen documenta, Ruangrupa, wird unter anderem eine Nähe zur BDS-Bewegung, die einen Boykott Israels fordert, vorgeworfen. Kurz nach der Eröffnung der documenta Mitte Juni wurde eine Arbeit mit antisemitischer Bildsprache entdeckt und abgebaut. Auch danach wurden weitere Werke mit antijüdischen Stereotypen auf der documenta festgestellt.

Weitere Informationen
Plakat der documenta fifteen, im Hintergrund die schwarz bemalten Säulen des Fridericianums © picture alliance/dpa | Swen Pförtner

Neue Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Documenta: Worum geht es?

Knapp zwei Wochen vor Ende der Documenta 15 gibt es erneut Diskussionen über antisemitische Darstellungen auf der Schau. mehr

Hamburger Senat und HFBK im Austausch

Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) im Sommerinterview. © Screenshot
"Eine Auseinandersetzung mit offenen Fragen bedarf es nicht nur innerhalb einer künstlerischen Hochschule, sondern auch mit der Öffentlichkeit", sagt Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank.

Die Wissenschaftsbehörde führt, laut Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne), Gespräche mit der HFBK. "Die Hamburger Hochschulen sind autonom in der Berufung ihrer Gastprofessuren, dies ist von der Wissenschaftsfreiheit gedeckt", sagte Fegebank. Hochschulen müssten Orte der kritischen Diskussion sein. "Aber die Wissenschaftsfreiheit kann und darf niemals Freibrief für antisemitisches Gedankengut sein." Es dürften keine offenen Fragen im Raum stehen, wenn Mitglieder von Ruangrupa in Hamburg lehren sollen.

Anke Frieling von der CDU sagt, dass die Hochschule schon im Sommer die Reißleine hätte ziehen und die beiden Ruangrupa-Vertreter ausladen müssen. Die Freiheit der Kunst decke niemals Antisemitismus.

Antisemitismusbeauftragter fordert grundsätzliche Debatte

Der Antisemitismusbeauftragte des Senats, Stefan Hensel, fordert eine Grundsatzdiskussion ein. "Ich denke, es ist an der Zeit, dass eine grundsätzliche Debatte darüber geführt wird, wie der Kulturbetrieb in Hamburg seine Haltung zu Israel-bezogenem Antisemitismus und zur jüdischen Gemeinschaft insgesamt definieren möchte", so Hensel. Das, was sich an der HFBK zutrage, sei schockierend,

Protest von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft

Die Deutsch-Israelische Gesellschaft teilte mit, man habe mit einem Schreiben ihres Präsidenten Volker Beck an die zuständigen Stellen im Auswärtigen Amt gegen die Verleihung der Gastprofessur an Hartono und Afisina protestiert. Beck schrieb darin demnach von einem "fatalen Signal für die deutsche auswärtige Kulturpolitik und das Bekenntnis zu Israels Sicherheit und Existenz im Koalitionsvertrag: 'Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsräson.'" Außerdem widerspreche die Entscheidung dem Beschluss des Deutschen Bundestages zur anti-israelischen Boykottbewegung BDS. Der Bundestag verurteilt darin Boykottaufrufe gegen Israel.

Afisina und Hartono haben weitere Gastprofessur in Kassel

Afisina und Hartono teilen sich auch eine Gastprofessur an der Kunsthochschule Kassel, wie ein Sprecher bestätigte. Dort waren sie demnach bereits im Sommersemester 2022 tätig und setzen ihr Engagement im kommenden Wintersemester fort. Von Seiten der Hochschule hieß es, Kuratoren der documenta übernähmen traditionell Veranstaltungen.

Mit Informationen von Daniel Kaiser (NDR 90,3), Peter Helling (NDR Kultur), Friederike Trumpa (Hamburg Journal) und der Deutschen Presseagentur.

Weitere Informationen
Besucher der documenta fifteen sitzen auf den Stufen des Fridericianums. © picture alliance Foto: Uwe Zucchi

documenta-Bilanz: Turbulenzen, die aufgearbeitet werden müssen

Monatelang wurde hitzig über die internationale Kunstausstellung diskutiert: ausgelöst durch immer neue Antisemitismusvorwürfe. mehr

Ein leeres Stahlgerüst, an dem das Großbanner "People’s Justice" (2002) des indonesischen Kollektivs Taring Padi zu sehen war, steht auf dem Friedrichsplatz. Die documenta fifteen sieht sich mit einem Antisemitismus-Eklat konfrontiert. © picture alliance/dpa | Uwe Zucchi Foto: picture alliance/dpa | Uwe Zucchi

Antisemitismus auf der documenta: "Es geht nicht nur um ein Bild"

Das umstrittene Werk der Gruppe Taring Padi wurde abgehängt. Doch auch andere Werke sind von Juden-Feindschaft geprägt, meint Antisemitismus-Forscher Grigat. mehr

Auf einem Tisch liegt eine rote Broschüre des "Archives des luttes des femmes en Algérie" © picture alliance/dpa | Uwe Zucchi

Umstrittene Broschüre auf der documenta: "Das ist Antisemitismus"

Was ist dran an den neuen Antisemitismusvorwürfen auf der documenta? Einschätzungen von Stephan Grigat, Professor für Theorien und Kritik des Antisemitismus. mehr

Das Museum Fridericianum in Kassel vor wolkenverhangenem Himmel © picture alliance/dpa | Swen Pförtner

Neue Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta: Worum geht es?

Nach dem Skandal um ein antisemitisches Banner auf der documenta sind weitere Kunstwerke aufgetaucht, die als antisemitisch kritisiert werden. mehr

Sabine Schormann, Generaldirektorin der documenta fifteen und des Museums Fridericianum, blickt sehr nachdenklich. © Swen Pförtner/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Swen Pförtner

documenta: Generaldirektorin Schormann legt Amt nieder

Auf den Rücktritt haben sich der Aufsichtsrat, die Gesellschafter und die Generaldirektorin einvernehmlich geeinigt. mehr

Ein Mann mit grauen, kurzen Haaren schaut freundlich nach vorne. Er trägt ein weißes Hemd und darüber ein dunkelblaues Sacko. © picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm Foto: Wolfgang Kumm

documenta: Kunstwerk mit "klaren antisemitischen Anmutungen"

Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, fordert die Entfernung eines Großgemäldes auf der documenta. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 11.10.2022 | 07:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Installationskunst

Malerei

Eine Frau sitzt auf einem Stuhl und lächelt in die Kamera. Neben ihr stehen die Worte "Die Hauda & die Kunst" © NDR/ Flow

Kunstwissen to go - serviert von Bianca Hauda

Bianca Hauda serviert Kunstwissen in kleinen Happen: Porträts von Künstler*innen, deren Bilder und Werke in deutschen Museen zu sehen sind. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Der Regisseur Michael Verhoeven blickt in die Kamera. © picture alliance/dpa | Felix Hörhager

Filmemacher Michael Verhoeven ist tot

Der Ehemann von Schauspielerin Senta Berger starb bereits am vergangenen Montag. Das hat die Familie bestätigt. mehr