Ein leeres Stahlgerüst, an dem das Großbanner "People’s Justice" (2002) des indonesischen Kollektivs Taring Padi zu sehen war, steht auf dem Friedrichsplatz. Die documenta fifteen sieht sich mit einem Antisemitismus-Eklat konfrontiert. © picture alliance/dpa | Uwe Zucchi Foto: picture alliance/dpa | Uwe Zucchi

Antisemitismus auf der documenta: "Es geht nicht nur um ein Bild"

Stand: 24.06.2022 19:42 Uhr

Man solle sich die Ausstellung doch erst einmal ansehen, haben die Kuratoren der documenta fifteen im Vorfeld der weltberühmten Kunstschau immer wieder gefordert. Es ging um die Befürchtung, man werde in Kassel Antisemitismus ein Forum bieten.

Wie bekannt, hat sich das bewahrheitet. Ein Schwein mit Davidstern, auf dessen Helm "Mossad" steht, also der Name des israelischen Geheimdienstes, ein durch Schläfenlocken als orthodoxer Jude erkennbarer Mann, der mit blutunterlaufenen Augen, Hakennase, Raubtierzähnen und SS-Runen am Hut dargestellt wurde. Inzwischen ist das Werk der indonesischen Gruppe Taring Padi abgebaut. Das Kuratorenteam ruangrupa und die Leiter der documenta haben sich entschuldigt.

Aber auch andere Werke werfen Fragen auf, wie die Bildserie "Guernica Gaza" des palästinensischen Künstlers Mohammed Al-Hawajri, die schon durch den Titel eine Gleichsetzung von Israel und Hitler-Deutschland nahelegt. Guernica ist ein Ort im Baskenland, den Hitler-Deutschland 1937 im spanischen Bürgerkrieg bombardierte. Ein Video die Solidarität der sogenannten Japanischen Roten Armee mit den Palästinensern. Diese Solidarität beinhaltete 1972 einen Terroranschlag am Flughafen Tel Aviv, der 24 Menschen das Leben kostete. War diese Art von Kunst zu erwarten? Ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Stephan Grigat, Professor für Theorien und Kritik des Antisemitismus an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen und am Centrum für Antisemitismus- und Rassismus-Studien in Aachen.

Herr Grigat, so offener klassischer Antisemitismus auf der documenta - hatten Sie das erwartet, oder waren Sie davon doch überrascht?

Stephan Grigat: Ich denke, dass alles in allem die aktuelle Situation nicht überraschend kommt. Die Kritik an den Machern der documenta, insbesondere an den Kuratoren, wird ja nicht erst seit einigen Tagen oder einigen Wochen formuliert. Schon vor Monaten hat das ausgesprochen verdienstvolle Bündnis gegen Antisemitismus in Kassel eine gut recherchierte Dokumentation vorgelegt und hat aufgezeigt, was für einen Israel-feindlichen Hintergrund viele der Leute haben, die in die Vorbereitung und dann auch in die Ausstellung in Kassel involviert sind.

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Kunstinteressierte sehen sich auf dem Friedrichsplatz das mit schwarzem Tuch verhüllte Grossgemälde "People·s Justice" (2002) des indonesischen Kollektivs Taring Padi an. © Uwe Zucchi/dpa

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Lange Zeit ist das abgewehrt worden. Auch einige meiner Kollegen in der Antisemitismus-Forschung haben noch wenige Tage vor der Eröffnung behauptet, dass dort überhaupt kein Antisemitismus in der Ausstellung zu sehen sei. Und dementsprechend konzentriert sich jetzt allerdings auch die ganze Debatte und die Kritik auf dieses eine Bild mit den ganz offensichtlichen und klassischen antisemitischen Stereotypen. Und da scheint mir ein Problem zu sein. Ich glaube, dass die Diskussion über die anderen Punkte, also beispielsweise die Gleichsetzung der israelischen Terrorbekämpfung im Gazastreifen mit der NS-Luftwaffe ein Parade-Beispiel für einen Israel-bezogenen Antisemitismus ist. Oder die Verherrlichung des antiisraelischen Terrors aus den 1970er-Jahren. Um diese Dinge müsste es eigentlich gehen und nicht einfach nur um ein Bild, wo offensichtlich selbst die Verteidiger der documenta den Antisemitismus nicht mehr wegdiskutieren konnten.

Anders formuliert: Wenn man Leute, die sich stolz dazu bekennen, dass sie anti-israelische Positionen vertreten, von denen sehr viele die anti-israelische Boykottbewegung BDS unterstützen, wenn man diese eine documenta machen lässt, dann muss man sich nicht wundern, wenn man so ein Programm und so eine Ausstellung präsentiert bekommt. Und ich denke auch: Man muss darüber reden, wer die politische Verantwortung für das Ganze hat und das ist maßgeblich die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die diese Kritik auch seit Monaten kannte. Und jetzt ist die Situation so, wie sie ist. Und ich denke, das müsste politische Konsequenzen haben.

Also ist für sie da, wo BDS, also Israel-Boykott und totale Isolierung Israels draufsteht, immer auch ganz klassischer Antisemitismus mit drin?

Grigat: Vermutlich wird es einzelne Unterstützer dieser Boykottbewegung irgendwo auf der Welt geben, die gar nicht alle Ziele dieser BDS-Bewegung teilen. Deswegen ist das auch gar nicht der entscheidende Punkt. Der entscheidende Punkt ist, was diese BDS-Kampagne auf globaler Ebene fordert. Diese Forderungen laufen auf die Zerstörung und Abschaffung Israels, also des einzigen jüdischen Staates auf der Welt hinaus. Da geht es nicht um irgendeine Kompromisslösung. Es geht nicht um eine Zwei-Staaten-Lösung, sondern es geht tatsächlich um die Delegitimierung und letzten Endes um die Abschaffung von Israel. Und das ist eine moderne Ausdrucksform von Antisemitismus, eben ein israelbezogener Antisemitismus. Und der ist ausgesprochen präsent, der prägt diese documenta aktuell.

In vielen Diskussionen der vergangenen zwei Jahre über BDS konnte man den Eindruck gewinnen, der gesamte globale Süden, also Afrika, Asien, die arabischen Staaten, Lateinamerika sei militant gegen Israel. Wie kommt das?

Grigat: Dieser Bezug auf einen angeblich homogenen globalen Süden, ist schlicht und einfach falsch. Das ist mindestens eine schlechte Homogenisierung. In gewisser Weise könnte man sogar sagen: Das ist ein rassistischer Blick auf den globalen Süden, weil das ja unterstellt, dass es dort eine einheitliche Positionierung gäbe. Das ist einfach nicht richtig. Es gibt genauso wie in Europa und im Westen auch in Afrika, Lateinamerika und Asien Menschen, die eine antisemitisch grundierte Israel-Feindschaft hegen. Es gibt aber auch sehr viele Menschen und auch durchaus sehr viele Regierungen, die genau die entgegengesetzte Position vertreten.

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Hände zurren das schwarze Tuch über dem Großgemälde "People’s Justice" (2002) mit den umstrittenen Figuren des Kollektivs Taring Padi fest. © picture alliance/dpa Foto: Uwe Zucchi

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Zum Beispiel?

Grigat: Denken Sie aktuell zum Beispiel an die arabischen Staaten, die gerade Friedensverträge mit Israel geschlossen haben. Denken Sie an Indien, das in früheren Zeiten eine sehr Israel-feindliche Position hatte, das heute aber ein wichtiger sowohl Handelspartner als auch politischer Partner als auch militärischer Sicherheitspartner von Israel geworden ist.

Aber warum tun die hiesigen Vertreter wie die Generaldirektorin der documenta, Frau Schormann dann so, als sei der gesamte globale Süden gegen Israel?

Grigat: Offensichtlich gibt es ein Interesse, eine Art delegierten Antisemitismus artikulieren zu lassen. Die allzu scharfe Attacke auf Israel getraut man sich selber offensichtlich nicht so, und man delegiert sie quasi an das, was man den globalen Süden nennt.

In diesem sogenannten postkolonialen Diskurs, der das Augenmerk auf die kolonialen Massenverbrechen mit Millionen Toten richtet, gibt es auch eine starke Forderung, den Holocaust mehr einzuordnen in eine Reihe von Genoziden wie im Kongo. Deutschland wird in diesem Zusammenhang fast so etwas wie Provinzialität und Borniertheit vorgeworfen, so nach dem Motto: "Ihr Deutschen immer mit eurer Singularität des Holocaust." Wie sehen Sie das?

Grigat: Mit Provinzialität hat das überhaupt nichts zu tun. Und die Debatte über die Präzedenzlosigkeit der Shoah, des Holocaust, ist eine globale Debatte, die auf der ganzen Welt vollkommen zurecht geführt wird. Ich denke, dass es wichtig ist, sich natürlich mit beidem zu beschäftigen und dass sich das überhaupt nicht ausschließt. Und es gibt auch zahlreiche hervorragende Arbeiten, die sich sowohl mit dem Kolonialismus und den millionenfachen Kolonialverbrechen beschäftigen als auch mit dem Holocaust und der Shoah, aber eben nicht, um die Besonderheit der Shoah aufgehen zu lassen in einem allgemeinen Kolonialismus, in einer Abfolge von Massenverbrechen, sondern gerade um die Unterschiede bei allen natürlich auch existierenden Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.

Ich denke, der von Ihnen angesprochene Diskurs zielt sehr bewusst darauf, die Präzedenzlosigkeit der Shoah in Frage zu stellen. Um in einem weiteren Schritt, und das scheint mir die eigentliche politische Motivation zu sein, wiederum Israel und den Zionismus zu attackieren. Also die Existenz Israels hat eben sehr viel mit der Besonderheit der Shoah und des Holocaust zu tun. 

Das Gespräch führte Almut Engelien.

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NDR Info | Schabat Schalom | 24.06.2022 | 20:30 Uhr

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