Neue Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta: Worum geht es?
Nach dem Skandal um ein antisemitisches Banner auf der documenta in Kassel sind weitere Kunstwerke aufgetaucht, die als antisemitisch kritisiert werden.
Die documenta fifteen kommt einfach nicht zur Ruhe. Nach dem Skandal um das als antisemitisch eingestufte Gemälde "People's Justice" der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi und dem Abgang von Generaldirektorin Schormann sah es zwischenzeitlich so aus, als könne der Fokus nun stärker auf die dort ausgestellten Kunstwerke gerichtet werden. Nun werden jedoch weitere Kunstwerke als antisemitisch kritisiert. Ein Gespräch mit Guido Pauling von NDR Kultur:
Auf der Welt-Kunst-Ausstellung sind erneut Bilder aufgetaucht, um die heftig gestritten wird. Was ist da los?
Guido Pauling: Offenbar vor Wochen bereits hat ein Besucher - manche Meldungen sagen: eine Besucherin, selbst das geht durcheinander - also sagen wir: ein Gast der Ausstellung an Bildern in einer Broschüre Anstoß genommen, die 1988 in Algerien erschienen ist. Auf zwei Bildern hat ein syrischer Künstler israelische Soldaten als entmenschlichte Roboter gezeichnet, mit entblößten Zähnen, Davidstern auf dem Helm. Einer dieser Roboter-Soldaten bedroht ein kleines Kind.
Auf einer anderen Zeichnung tritt eine Frau einem anderen Soldaten mit übergroßer Hakennase und ebenfalls Davidstern auf dem Helm in den Unterleib, kickt ihn weg.
Das ist eindeutig gegen Israels Armee gerichtet, die - im Sinne dieser Zeichnungen - brutal und feindlich auftritt. Die Streitfrage ist: sind diese Zeichnungen als antisemitisch einzustufen, also gegen Juden allgemein gerichtet; stellen sie sogar Israels Existenzrecht als Staat in Frage? Oder stuft man sie als äußerst scharfe Kritik von arabischer Seite an israelischen Soldaten ein, die als brutale, schwer bewaffnete, uniforme Gruppe wahrgenommen werden?
Und wie sind die Einschätzungen und Reaktionen nun?
Pauling: Von Seiten der documenta heißt es: Nachdem es Hinweise zu diesen Zeichnungen gegeben hat, habe man die Broschüre vor rund drei Wochen aus der Ausstellung genommen und prüfen lassen - auch von der Staatsanwaltschaft. Dabei sei man zu dem Schluss gekommen, dass hier das israelische Militär kritisiert werde, aber nicht Juden allgemein - im etwas hölzernen documenta-Wortlaut: "keine Bebilderung von Juden 'als solchen' ". Die Art der Darstellung sei nicht strafrechtlich relevant.
Also ein Argument, das im Grunde besagt: Natürlich dürfe man Israels Militär kritisieren, das aus palästinensischer Sicht - oder etwas weiter gefasst: aus arabischer Sicht - als Besatzer wahrgenommen werde. Das sei noch kein genereller Judenhass.
Das sehen aber nicht alle so!
Pauling: Nein, die Zahl derer, die nun empört bis fassungslos sind, ist groß: Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, spricht von "Hassbildern" und sieht darin den Beweis, dass auch die neue documenta-Leitung immer noch keine inhaltlichen und strukturellen Konsequenzen gezogen habe.
Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, ist nach eigenen Worten "fassungslos", dass er als damaliger Berater der documenta nicht informiert worden sei. Stattdessen sei auf Basis eines juristischen Gutachtens entschieden worden, die problematischen Werke mit - so sagt Mendel - eindeutig antisemitischer Bildsprache in der Ausstellung zu belassen.
Und der Pianist Igor Levit twittert: "es ist einfach furchtbar. Shame on these people. Ich habe keine Worte. Man will einfach nur noch verschwinden. Und wütend weinen."
Der neue documenta-Geschäftsführer Alexander Farenholtz hat aber nun doch Fehler eingeräumt?
Pauling: Ja, er äußert sich heute in der Süddeutschen Zeitung mit den Worten: Es habe zwei Fehler gegeben.
"Erstens habe man der Besucherin nicht mitgeteilt, was aus ihrer Beschwerde geworden sei. Zweitens habe man keine erkennbare Entscheidung getroffen, ob ihre Beschwerde Konsequenzen für die Ausstellung hatte, ob man sich also bewusst dafür entschieden habe, die Bilder nicht mit einer Erklärung zu versehen." Süddeutsche Zeitung
Genau diese Erklärung zu den Zeichnungen werde es nun aber geben, sagte Farenholtz der SZ: "die künstlerische Leitung der Documenta habe [...] entschieden, dieses 'historische Material' nun doch durch [...] einen erklärenden Text zu ergänzen."
Ich bin mir absolut sicher, dass das allein nicht ausreichen wird, um die aufgebrachten Kritiker zu beruhigen. Immerhin gibt es inzwischen mehrfach die Forderung: documenta abbrechen!
Das Gespräch führte Jan Wiedemann.