Plakat der documenta fifteen, im Hintergrund die schwarz bemalten Säulen des Fridericianums © picture alliance/dpa | Swen Pförtner

Neue Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Documenta: Worum geht es?

Stand: 14.09.2022 12:32 Uhr

Knapp zwei Wochen vor Ende der Documenta 15 gibt es erneut Diskussionen über antisemitische Darstellungen auf der Schau. Im Mittelpunkt dieses Mal: Die Reihe "Tokyo Reels Film Festival" des Künstlerkollektivs Subversive Film.

von Katja Weise

Knapp zwei Wochen vor Ende der Documenta hat das im August einberufene Expertengremium eine Erklärung veröffentlicht, in dem es dem Kuratorenkollektiv Ruangrupa vorwirft, eine "antizionistische, antisemitische und israelfeindliche Stimmung zugelassen" zu haben. Im Kern geht um historische, pro-palästinensische Propagandafilme aus den 60er-Jahren, die auf der Documenta kommentarlos zu sehen sind. Wichtige Zeitdokumente, findet auch Nicole Deitelhoff, die Vorsitzende des Expertengremiums, aber es fehle eine kritische Einordnung. Die Reihe "Tokyo Reels Film Festival" des Künstlerkollektivs Subversive Film fördere Israelhass und glorifiziere Terrorismus. "Es geht uns nicht darum, diese Filme zu stoppen, sondern sie so lange zu abzusetzen, bis eine Kontextualisierung da ist", sagt Deitelhoff. Das sei Zensur, kontert das Kuratorenkollektiv Ruangrupa in einer Erklärung und kritisiert seinerseits scharf das Expertengremium.

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Ein leeres Stahlgerüst, an dem das Großbanner "People’s Justice" (2002) des indonesischen Kollektivs Taring Padi zu sehen war, steht auf dem Friedrichsplatz. Die documenta fifteen sieht sich mit einem Antisemitismus-Eklat konfrontiert. © picture alliance/dpa | Uwe Zucchi Foto: picture alliance/dpa | Uwe Zucchi

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Geschäftsleitung der Documenta agiert passiv

Die Gruppe Ruangrupa weigert sich, die Vorführung der Filme abzusetzen. Die Geschäftsleitung agiert zurückhaltend. Auf Anfrage der Jüdischen Allgemeine hieß es, man nehme die Einschätzung des Expertengremiums zur Kenntnis, aber die alleinige Entscheidung über eine vorübergehende Entnahme der Filme aus der Ausstellung stehe Ruangrupa zu. "Ich kritisiere überhaupt nicht, dass Kritik geübt wird, das muss die Documenta unbedingt aushalten", sagte Interims-Geschäftsfüher Alexander Farenholtz im Deutschlandfunk. "Aber das muss im Gespräch stattfinden und nicht über öffentliche Verlautbarungen, die für die andere Seite nicht mehr einzuholen sind." Zu diesem Gespräch zwischen Expertengremium und Ruangrupa sei es nicht gekommen.

Nicole Deitelhoff bestreitet, dass es nicht zunächst einen internen Austausch darüber gegeben habe: "Wir haben mit dem Kuratorenkollektiv Ruangrupa gesprochen und auch mit dem Geschäftsführer der Documenta, Herrn Farenholtz, wo wir ausgelotet haben, wie eine Kooperation aussehen könnte". Auch die am Wochenende veröffentliche Stellungnahme habe Ruangrupa vorab gehabt.

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Ein Mann mit grauen Haaren und einer schwarzen Brille sitzt an einem Tisch, und stützt sich auf seine gefalteten Hände und lächelt. Er trägt ein schwarzes Sakko und ein Hemd darunter. © picture alliance/dpa/KSB | Falk Wenzel Foto: Falk Wenzel

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Ruangrupa unterstellt Beirat "rassistische Agenda"

Eine erste Reaktion von Ruangrupa habe es bei diesem Treffen ebenfalls gegeben. Sie sei der Verschwiegenheit verpflichtet, was alle internen Gespräche angeht, sagt Deitelhoff. Einen Satz lässt sie aber doch fallen: "Die Härte, aber nicht die Richtung ihrer öffentlichen Reaktion hat mich jetzt überrascht."

Das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa unterstellt in der Erklärung dem wissenschaftlichen Beirat unter anderem, er habe nicht wissenschaftlich gearbeitet, sondern lediglich reproduziert, was die Medien geschrieben hätten. Sie selbst seien seit Monaten Opfer von Rufmord und Drohungen. Das Gremium leugne Fakten und Geschichte, um eine "rassistische und hegemoniale Agenda" voranzutreiben. Das kann Deitelhoff nicht nachvollziehen. Den Gesprächsfaden wolle sie trotzdem nicht abreißen lassen.

Documenta-Geschäftsführer: "Keine Basis für einen produktiven Gesprächsprozess"

Was die Antisemitismusdebatte angeht, sieht der Geschäftsführer der Documenta zumindest für den Moment schwarz. "Da habe ich tatsächlich den Eindruck, dass es uns nicht mehr gelingen wird, dass alle Beteiligten - wissenschaftliches Gremium, die Kuratoren, Gesellschafter, Medien - eine Basis finden, die einen produktiven Gesprächsprozess erlaubt."

Die documenta-Gesellschafter - das Land Hessen und die Stadt Kassel - haben sich am 13. September hinter den wissenschaftlichen Beirat gestellt. Die Filme sollten nicht mehr gezeigt werden, "mindestens bis eine angemessene Kontextualisierung vorgenommen wurde". Aktuell würden die "teils antisemitischen und terroristische Gewalt verherrlichenden Propagandafilme gerade nicht historisch eingeordnet".

Bis Ende des Jahres sollen Nicole Deitelhoff und ihre Kolleginnen und Kollegen einen Abschlussbericht vorlegen. Einiges werde aber sicher noch mehr Zeit in Anspruch nehmen, denn auch die Organisationsstrukturen der Documenta soll das Gremium prüfen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 14.09.2022 | 17:45 Uhr

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