Ein Mann mit grauen, kurzen Haaren schaut freundlich nach vorne. Er trägt ein weißes Hemd und darüber ein dunkelblaues Sacko. © picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm Foto: Wolfgang Kumm

documenta: Kunstwerk mit "klaren antisemitischen Anmutungen"

Stand: 20.06.2022 18:31 Uhr

Die Disskussionen um Antisemitismus auf der documenta fifteen reißen nicht ab. Konkrete Kritik wurde nun an einem Großgemälde des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi geäußert. Ein Gespräch mit Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt.

Herr Mendel, Sie waren am Wochenende auf der documenta - wie haben Sie die Ausstellung erlebt?

Meron Mendel: Ich war dort, bevor die Kunstwerke aufgehängt wurden. Von daher war ich ungestört, hatte durchaus einen sehr schönen Tag und habe viele positive Eindrücke von dieser wunderbaren documenta gesammelt. Die böse Überraschung kam erst später, als in den sozialen Medien Bilder von dem Kunstwerk aufgetaucht sind.

Was sieht man auf diesem riesigen Wimmelbild von Taring Padi?

Mendel: An zwei Stellen sind antisemitische Bilder zu sehen. Zum einen ist dort ein ultraorthodoxer Jude, zu erkennen an der jüdische Kopfbedeckung Kippa und seinen Schläfenlocken. Diese jüdische Figur wird sehr negativ dargestellt, mit spitzen Zähnen, mit blutigen Augen und bösem Blick. Es ist auch das SS-Zeichen zu sehen, also alle klassischen antisemitischen Motive. An einer weiteren Stelle ist eine Figur mit Schweinenase zu sehen. Weiter unten ist ein Davidstern zu erkennen, und auf dem Kopf ist das Wort "Mossad" zu sehen. Mossad ist der israelische Auslandsgeheimdienst.

Weitere Informationen
Kunstinteressierte sehen sich auf dem Friedrichsplatz das mit schwarzem Tuch verhüllte Grossgemälde "People·s Justice" (2002) des indonesischen Kollektivs Taring Padi an. © Uwe Zucchi/dpa

Kommentar: documenta-Chefin Sabine Schormann muss gehen

Das vielfach kritisiertes Gemälde mit antisemitischen Detailbildern wird entfernt. Unsere Kommentatorin meint: Jetzt muss die Generaldirektorin zurücktreten. mehr

Das ist ein Werk der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi. Können Sie sich erklären, was der Hintergrund dieser antisemitischen Symbole ist?

Mendel: Da ist an mehreren Stellen ein antisemitisches Weltbild zu erkennen. Zum einen die Gleichsetzung von Juden und Nazis - das ist eine typische Täter-Opfer-Umkehr, unter dem Motto: Die Nazis von damals sind die Juden von heute. Zum anderen ist das eine Reproduktion von klassischen antisemitischen Motiven, die wir seit dem Mittelalter kennen. Zum dritten ist es der Versuch, Juden zu diffamieren beziehungsweise sie zu beleidigen, beispielsweise wenn Juden als Schweine gekennzeichnet werden - Schweine gelten im Judentum als unrein und somit ist das die schlimmste Beleidigung der Juden gegenüber.

Sie haben uns schon letzte Woche ein Interview gegeben, und darin ruangrupa in Schutz genommen. Bereuen Sie das jetzt?

Mendel: Nein, ich bereue das nicht, weil es mir nach wie vor wichtig ist, dass niemand aufgrund von Herkunft oder Religion unter Generalverdacht gestellt wird. Ich würde niemals sagen, dass eine Person antisemitisch sein muss, nur weil sie aus Indonesien kommt. Das gilt auch für ruangrupa. Das Kunstwerk stammt zwar nicht von ruangrupa selbst, aber man kann ihnen durchaus vorwerfen, dass in ihrer kuratorischen Arbeit mindestens nicht präzise genug gearbeitet wurde. Offensichtlich ist ihnen dieses Bild mit seinen klaren antisemitischen Anmutungen nicht aufgefallen.

Was muss jetzt passieren? Muss man das Ding abhängen?

Mendel: Ja. Eigentlich wundert es mich, dass sich die documenta bis heute nicht ordentlich dazu geäußert hat. Es wäre dringend notwendig, dieses volksverhetzende Bild abzuhängen und zu entfernen - das gehört nicht in den öffentlichen Raum. Im zweiten Schritt muss geklärt werden, was genau schiefgelaufen ist. In der documenta-Leitung und im Kuratorenteam muss reflektiert werden, warum so etwas auf einem so prominenten Platz, auf dem Friedrichsplatz, direkt gegenüber dem Fridericianum, übersehen wurde, damit sich so etwas nicht wiederholt.

Das Gespräch führte Ocke Bandixen.

Anmerkung der Redaktion: Mittlerweile hat der Aufsichtsrat der documenta beschlossen, das in die Kritik geratene Gemälde zu entfernen. Das hat der Aufsichtsratsvorsitzende und Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) am Dienstagnachmittag erklärt.

Weitere Informationen
Hände zurren das schwarze Tuch über dem Großgemälde "People’s Justice" (2002) mit den umstrittenen Figuren des Kollektivs Taring Padi fest. © picture alliance/dpa Foto: Uwe Zucchi

Antisemitisches Gemälde auf der documenta: Was steckt dahinter?

Ein Gespräch mit der Chefredakteurin des Kunstmagazins "Monopol" Elke Buhr über den Banner des Künstlerkollektivs Taring Padi. mehr

Plakat der documenta fifteen, im Hintergrund die schwarz bemalten Säulen des Fridericianums © picture alliance/dpa | Swen Pförtner

documenta fifteen - 2022 in Kassel

Die 15. Ausgabe der documenta bezieht sich auf das an indonesische Architektur angelehnte "lumbung"-Konzept. mehr

Ein Wandbild mit dem neuen Logo der documenta fifteen © picture alliance/dpa Foto: Swen Pförtner

Göttingen: documenta-Ausstellung "printing futures" eröffnet

Die 100-tägige Partnerausstellung zeigt Kunstwerke aus und mit Papier. Besucher können die Entstehung live miterleben. mehr

Sabine Schormann, Generaldirektorin der documenta und des Museums Fridericianum, spricht bei der Pressekonferenz im Auestadion. © picture alliance/dpa Foto: Swen Pförtner

Pressekonferenz zur documenta fifteen: Neue Ideen von Kunst

Die documenta hat ihr Programm präsentiert. Unter anderem wurden auch klare Worte zur Antisemitismus-Debatte geäußert. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 20.06.2022 | 17:15 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Ausstellungen

Eine Frau sitzt auf einem Stuhl und lächelt in die Kamera. Neben ihr stehen die Worte "Die Hauda & die Kunst" © NDR/ Flow

Kunstwissen to go - serviert von Bianca Hauda

Bianca Hauda serviert Kunstwissen in kleinen Happen: Porträts von Künstler*innen, deren Bilder und Werke in deutschen Museen zu sehen sind. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Der Filmemacher Andreas Dresen steht vor einer Plakatwand des Filmkunstfestes Mecklenburg-Vorpommern. © Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern Foto: David Harms

Filmpreis "Fliegender Ochse" geht an "In Liebe, Eure Hilde"

Regisseur Andreas Dresen hat beim Filmkunstfest MV in Schwerin den Hauptpreis im Spielfilmwettbewerb verliehen bekommen. mehr