Stand: 03.01.2018 11:52 Uhr
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"Wir Hamburger sind nicht immer rasch von Entschluss, aber was wir in Angriff nehmen, pflegt gut zu werden. Für alle Hamburger ist die Hochbahn geschaffen - und allen soll sie nützen." Hamburgs Erster Bürgermeister, Johann Heinrich Burchard, zeigt sich stolz und zufrieden, als am 15. Februar 1912 die erste U-Bahnlinie der Hansestadt eröffnet. Die neueste technische Errungenschaft soll nicht nur viele Verkehrsprobleme der wachsenden Stadt lösen, sie hat auch einen wichtigen ideellen Stellenwert für die Bürger: Hamburg ist nach Berlin die zweite Stadt in Deutschland mit einer Hoch- und Untergrundbahn und sieht sich nun in einer Reihe mit Metropolen wie London, Paris und New York, die ebenfalls bereits eine U-Bahn besitzen.
Heimatkunde: U-Bahn
Hamburg Journal - 01.09.2018 19:30 Uhr
Im Februar 1912 rumpelte die erste U-Bahn durch Hamburgs Untergrund, heutzutage ist das U-Bahnnetz 104 Kilometer lang. Die Heimatkunde hat fünf Fakten zusammengetragen.
58 Viadukte, Brücken und Tunnel, sechs Jahre Bauzeit
Die erste Teilstrecke verbindet Barmbek mit dem Rathausmarkt und läuft zunächst im zweiwöchigen kostenlosen Probelauf. Am 1. März nimmt die neue Hochbahn dann auch offiziell ihren Betrieb auf. In kurzen Abständen eröffnen die weiteren Teilabschnitte der als Ringlinie angelegten Trasse: Am 10. Mai 1912 geht das Teilstück Barmbek - Kellinghusenstraße in Betrieb, am 25. Mai die Strecke zwischen Kellinghusenstraße und Millerntor (heute: St. Pauli) und am 29. Juni der letzte Abschnitt zwischen Millerntor und Rathausmarkt - die Ringlinie ist nun geschlossen. Sie führt über 23 Haltestellen und passiert auf ihrem Rundkurs von Barmbek über die Innenstadt, den Hafen, Eimsbüttel und Eppendorf 58 Brücken, Tunnel und Viadukte. Ein eigens für die Hochbahn erbautes Kraftwerk in Barmbek liefert die notwendige elektrische Energie.
Fünf Stationen für zehn Pfennig , Kinder zahlen vollen Preis
Zehn Pfennig kostet eine Fahrt im Abteil der dritten Klasse, der sogenannten Holzklasse, für bis zu fünf Stationen. 15 Pfennig zahlen die Fahrgäste in der mit Linoleumfußboden und Kunstlederpolstern ausgestatteten zweiten Klasse. Längere Fahrten sind entsprechend teurer, Kinder zahlen den vollen Fahrpreis. Die Fahrkarten gibt es an speziellen Verkaufshäuschen an den Eingängen der Stationen. Obwohl es auch verbilligte Vielfahrerkarten gibt, kann sich bei diesen Preisen nicht jeder das neue Verkehrsmittel problemlos leisten: Ein einfacher Arbeiter verdient zu Beginn des 20. Jahrhunderts rund 27 Mark die Woche, ein Maurer etwa 40 Mark. Eine erste Klasse gibt es bei der neuen Hochbahn übrigens nur theoretisch. In der Logik der damaligen Zeit wäre sie dem Kaiser vorbehalten gewesen.
Bis zu 150.000 Fahrgäste am Tag
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Die Ringlinie führt am Hafen vorbei. Heute ist die Strecke zwischen Landungsbrücken und Baumwall besonders bei Touristen beliebt.
Trotz der relativ teuren Tarife ist der Ansturm auf das neue Verkehrsmittel riesig: Bereits nach wenigen Wochen nutzen jeden Tag mehr als 100.000 Fahrgäste die U-Bahn, an Sonntagen sind es sogar bis zu 150.000. Um das große Fahrgastaufkommen zu bewältigen, muss die Hochbahn schon bald weitere Triebwagen bestellen. Mit ihren zwei 100 PS starken Motoren für 800 Volt Gleichstromspannung können die sogenannten T1-Modelle die relativ starke Steigung beim Mönkedammfleet hinauf zum Rödingsmarkt problemlos überwinden. Die Bahn fährt bereits ähnlich schnell wie heute: Von Barmbek bis zu den Landungsbrücken dauert es nur 21 Minuten, heute sind es 19.
Mit Schaufeln und Stahl: Die U-Bahn entsteht
Beim U-Bahnbau in den Jahren 1906 bis 1912 ist noch fast alles Handarbeit. Die Trasse am Hafen - hier an den Landungsbrücken - führt größtenteils über Viadukte, die von Nietern in Teamarbeit erbaut werden. Ein nicht ungefährlicher Job:
Die Niete wird am Boden erhitzt und mit glühendem Kopf schwungvoll nach oben geworfen, wo der sogenannte Zulanger sie in einem Eimer auffängt. Dort verarbeiten seine Kollegen die noch weiche Niete weiter. Helm und Schutzkleidung gibt es noch nicht, die Gerüste sind kaum gesichert.
Für die einen ist sie Symbol des technischen Fortschritts, andere stören sich daran, dass sie den direkten Blick auf die Elbe verbaut - an der Hafentrasse scheiden sich zunächst die Geister. Heute ist sie wegen der Aussicht bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen beliebt.
Dass die Strecke am Hafen auf Viadukten verläuft, hängt vor allem mit dem Höhengefälle des Elbhangs zusammen. Die Viadukte gleichen das Gefälle aus, das sonst für die Züge nur schwer zu überwinden gewesen wäre.
Nicht nur am Hafen, sondern überall, wo es der Platz zulässt, lassen die Erbauer die Ringlinie oberirdisch verlaufen. Auch hier an der Isestraße führt sie über Viadukte. Eine komplett unterirdisch verlaufende Linie wäre wesentlich teurer gewesen.
Nur dort, wo es zu eng ist für eine oberirdische Trasse, gehen die Erbauer in den Untergrund - so auch hier am Mönckefleet, wo die Linie hinunter zur Haltestelle Rathausmarkt führt.
Die Arbeit an den U-Bahntunneln - hier in Eimsbüttel zwischen Moorkamp und Christuskirche - ist echte Knochenarbeit. Mit einfachen Schaufeln heben die Arbeiter die Schächte aus, eine Lorenbahn transportiert die Erde ab.
Alle Tunnel werden in offener Bauweise angelegt - so auch hier unter dem Heiligengeistfeld, auf dem 1910 noch eine Mühle steht. Man lässt große Gräben ausheben und dichtet anschließend die mit Holzbohlen und Stahlträgern geschalten Wände mit Beton ab
Viele Haltestellen sind architektonische Schmuckstücke. Die Haltestelle Mundsburg plante das Hamburger Architekturbüro Raabe und Wöhlecke, das auch die St.-Pauli-Landungsbrücken und das Eingangsgebäude zum Alten Elbtunnel entwarf.
Bewusst entscheiden sich die Planer gegen einfache Haltepunkte und für repräsentative Bahnhöfe, wie hier an der Lübecker Straße: "Die äußere Ausstattung der baulichen Anlagen des Bahnkörpers soll eine geschmackvolle und würdige sein", heißt es im Baukonzept.
Über die Haltestelle Landungsbrücken sagt Hochbahn-Direktor Wilhelm Stein 1912: "Der große Turm über dem Haupteingang mit Freitreppe sollte dem Fremden, der auf den gegenüberliegenden St. Pauli Landungsbrücken die Stadt betritt, den Weg zur Hochbahn zeigen."
Am 15. Februar 1912 geht die erste Teilstrecke der neuen Hoch- und Untergrundbahn in Betrieb. Sie führt von Barmbek zum Rathausmarkt. Zahlreiche Honoratioren, darunter Hamburgs Erster Bürgermeister und die Chefetage der Hochbahn, gehen auf Probefahrt.
Wenige Wochen später, am 10. Mai, ist ein weiterer Abschnitt fertig: Die Ringlinie führt jetzt bis zur Kellinghusenstraße. Am 25. Mai eröffnet die dritte Teilstrecke zwischen Kellinghusenstraße und Millerntor, am 29. Juni der letzte Abschnitt zwischen Millerntor und Rathaus.
Alle Wagen sind Triebwagen. Sie besitzen zwei 100 PS-Motoren für 800 Volt Gleichstrom - so schaffen sie auch die große Steigung beim Mönkedammfleet hinauf zum Rödingsmarkt.
Zehn Pfennig kostet eine Fahrt über fünf Stationen in der dritten Klasse, 15 Pfennig in der zweiten Klasse. Damit niemand schwarz fährt, müssen die Passagiere ihre Tickets am Ende der Fahrt wieder abgeben.
Während Fahrgäste der zweiten Klasse auf Kunstlederpolstern Platz nehmen, sitzen die Passagiere der dritten Klasse auf Holz - allerdings besteht die Holzklasse immerhin aus edlem Mahagoni.
Bei rund 100.000 Fahrgästen täglich geht es nicht immer so beschaulich zu wie hier im Juni 1912 an der Feldstraße: Zu Stoßzeiten ist das Gedränge am Bahnsteig manchmal so groß, dass die Hochbahn Sperren einsetzt, um den Fahrgaststrom zu regulieren.
Ab 1914 führt eine Zweiglinie bis nach Ohlsdorf, wo sich auch ein Stellwerk befindet. Nicht nur dort, sondern auch an den Signalblöcken und sogar im Gleisbau arbeiten wegen des Krieges viele Frauen:
Bis 1916 sind rund 98 Prozent des Betriebspersonals an die Front abkommandiert. Die Hochbahn hatte fast ausschließlich Männer eingestellt, die Militärdienst abgeleistet hatten. Diese Personalpolitik rächte sich nun.
Hamburg um 1900: Wachsende Stadt mit knappem Wohnraum
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Um die Jahrhundertwende müssen viele Hamburger aus der Innenstadt weichen, weil die Speicherstadt entsteht.
Viele Hamburger hatten die neue U-Bahn geradezu herbeigesehnt, um die Verkehrsprobleme der wachsenden Stadt zu lösen: Hamburg boomt, alte Wohnviertel in der Innenstadt mussten neuen Gebäuden oder Lagerkomplexen weichen. Allein durch den Bau der Speicherstadt sind 24.000 Wohnungen verloren gegangen, weitere alte Wohnviertel hat die Stadt nach der Choleraepidemie 1892 planieren lassen. Zehntausende Arbeiter und Angestellte müssen in die Peripherie umsiedeln, in ehemaligen Dörfern wie Barmbek, Eilbek, Hamm oder Eimsbüttel entstehen neue Wohnviertel. Arbeiter und Angestellte, die im Hafen und in der Innenstadt arbeiten, müssen lange Wege zu ihren Arbeitsstätten bewältigen. Bereits um 1890 pendeln täglich rund 50.000 Menschen allein zu den Betrieben im Freihafen und zurück. Und Hamburgs Bevölkerung wächst weiter: Allein zwischen 1890 und 1900 um durchschnittlich zwölf Prozent im Jahr.
Dieses Thema im Programm:
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04.02.2017 | 19:30 Uhr