Stefanie vor Schulte erhält Mara-Cassens-Preis 2021
Das Hamburger Kulturjahr beginnt traditionell mit der Verleihung des Mara-Cassens-Preises im Literaturhaus Hamburg. Dieser geht für das Jahr 2021 an die Autorin Stefanie vor Schulte für ihren Roman "Junge mit schwarzem Hahn".
Am Mittwochabend wurde im Hamburger Literaturhaus der Mara-Cassens-Preis 2021 an Stefanie vor Schulte für ihr Romandebüt "Junge mit schwarzem Hahn" verliehen. In der Jurybegründung heißt es: "Mit einer klaren und bildhaften Sprache, schafft es die Autorin, Vergangenheit und Gegenwart in einem zu bündeln, ohne sich in tagespolitische Aussagen zu verlieren." Der nach der Hamburger Stifterin Mara Cassens benannte Preis ist mit 20.000 Euro dotiert und damit der höchstdotierte Literaturpreis für einen deutschsprachigen Romanerstling.
"Junge mit schwarzem Hahn": Romanwelt stinkt nach Verwesung
Die Welt, in die uns Stefanie vor Schulte entführt, ist schwarz, sie stinkt nach Verwesung. Eine kriegsversehrte Landschaft voller Armut und Tod, vielleicht im Dreißigjährigen Krieg, vielleicht im Mittelalter? Das bleibt offen. Mitten in dieser Apokalypse lebt Martin.
Martin sitzt am Brunnenrand, keine zehn Schritte von der Kirchentür entfernt. Er ist jetzt elf. Sehr groß und dünn. Er lebt von dem, was er verdient. Zitat aus dem Roman
Stefanie vor Schulte erklärt: "Der stand eines Abends in meiner Küche, das Bild von ihm mit seinem Begleiter, und dann hat er mich nicht mehr in Ruhe gelassen." Martins Begleiter ist ein schwarzer Hahn.
Den hat der Junge immer dabei. Auf der Schulter hocken. Oder im Schoß sitzen. Verborgen unter dem Hemd. Wenn das Vieh schläft, sieht es aus wie ein alter Mann, und alle im Dorf sagen, es sei der Teufel.
Stefanie vor Schulte kommt aus Marburg zu Preisverleihung
Stefanie vor Schulte steht mit Jutesack und einem Lächeln in Hamburg-St. Georg, auf dem Weg in ihr Hotel. Gerade ist sie mit der Bahn aus ihrem Wohnort Marburg gekommen, am Abend erhält sie für ihr Debüt den Mara-Cassens-Preis. Der macht sie, sagt sie schmunzelnd, immer noch perplex. "Ich hab mich wahnsinnig gefreut, ich bin total dankbar. Das ist etwas sehr Besonderes - dass man nicht nur für ein Buch ausgezeichnet wird, sondern es gleichzeitig die Möglichkeit gibt, weiterzuschreiben."
Martin ist der einzige Überlebende seiner Familie: Sein Vater hat im Wahn die Mutter und die Geschwister und am Ende massakriert und sich selbst getötet. "Ich wollte gerne wissen, was hinter diesem sehr hellen lichtdurchdrungenen Kind stehen könnte. Dann bin ich immer weiter zurückgegangen in den Geschichten und habe geschaut, wo ist es besonders dunkel, wo kann dieses Kind besonders hell erstrahlen?"
Inspiration durch McCarthys dystopischen Roman "Die Straße"
Zusammen mit einem Maler geht Martin auf die Suche nach entführten Kindern, hier sieht er seine Mission. Erschütternd, wie klar Stefanie vor Schulte diese geschändete Welt zeigt, mit einer schnörkellosen Sprache, einfachem Ton. Ein kluges Märchen und ein Albtraum. Inspiriert hat sie Cormac McCarthys Roman "Die Straße".
Stefanie vor Schulte wurde 1974 in Hannover geboren, ist Bühnen- und Kostümbildnerin, geschrieben hat sie eigentlich schon immer, wie sie sagt. "Ich werde von vielen Dingen inspiriert, aber ich suche jetzt nicht. Ich habe tatsächlich immer das Gefühl, es ist etwas im Augenwinkel vorhanden. Dann muss ich mir das Bild klar vorstellen, und dann ist das relativ schnell ersichtlich, wohin die Reise gehen muss."
Martins Reise geht wirklich ins Herz der Finsternis. Seine Gabe: Er hat Verstand und ein fühlendes Herz.
Alles an ihm wirkt ruhig und bedacht. Und das macht ihn den Leuten im Dorf unbequem. Sie haben es nicht gern, dass einer zu lebendig ist oder zu ruhig.
Die Autorin erzählt: "Was ich generell nicht mag bei Erwachsenen, auch bei mir selber: dass man immer das Gefühl hat, man hat das alles schon verstanden." Dann gebe man sich keine Mühe mehr, das zu hinterfragen. "Von Kindern wird das aber ständig erwartet, sie müssen sich gegen andere Kinder behaupten, sie müssen in die Schulen gehen." Umgekehrt würden Erwachsene aber dort parken, wo sie wollen, tragen Masken oder nicht.
Das Buch "Junge mit schwarzem Hahn" ist mitreißend, unheimlich - ein Blick in den menschlichen Abgrund. Und trotzdem geht von diesem Kind ein Zauber aus.
Bereits Pläne für neuen Roman geschmiedet
Stefanie vor Schulte hat schon Pläne für einen neuen Roman. Im Augenwinkel sind schon ein paar Wesen, wahrscheinlich tummeln sie sich, wie damals Martin, schon in ihrer Küche. "Die Küche ist voll. Es gibt genug, was erzählt werden will."
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