Michel Houllebecq: "Ein bisschen schlechter" © DuMont

"Ein bisschen schlechter": Michel Houellebecqs Verfallsgeschichten

Stand: 28.11.2020 12:40 Uhr

Der berühmte Autor Michel Houellebecq hat keinen neuen Roman im Angebot, sondern gesammelte Texte in Buchform gepresst.

von Alexander Solloch

"Interventionen" nennt Houellebecq seine Essays. Zeigt er sich darin wieder als provokanter Prophet des westlichen Niedergangs? Hat er etwa auch Neues zu sagen?

Ziemlich am Ende, nachdem man einigermaßen gut durchgekommen ist durch die Interventionen von Michel Houellebecq, die der Verlag als "neu" kennzeichnet, ohne dass sie es in jedem Falle wären, nachdem man als Leser ein bisschen geschmunzelt hat, in Maßen geschimpft und weniger maßvoll sich gelangweilt hat, ziemlich am Ende also geschieht Beträchtliches: Houellebecq ist vor eine neue Herausforderung gestellt. Er fragt sich nicht zum tausendsten Mal seine Position zum nahenden Zusammenbruch Europas ab, zum bevorstehenden Bürgerkrieg in Frankreich oder zur Verweichlichung des Katholizismus - er fragt sich endlich einmal was Neues.

"Was macht eigentlich Corona mit uns?"

Falsch wäre die Behauptung, wir hätten das Tragische, den Tod, die Endlichkeit wiederentdeckt. Nun, der Tod ist nie so diskret gewesen wie in den letzten Wochen. Die Menschen sterben allein in ihren Zimmern im Krankenhaus oder Pflegeheim, im Verborgenen. Gestorben, ohne dass wir das geringste Zeugnis davon haben, beschränken sich die Opfer auf einen Zähler in der täglichen Statistik der Toten, und die Angst, die sich in dem Maße in der Bevölkerung ausbreitet, wie die Gesamtzahl steigt, hat etwas sonderbar Abstraktes. Leseprobe

In seinem Nachdenken über die Verheerungen des Virus bringt uns Houellebecq mit seiner französischen Perspektive auf ganz neue Gedanken: In Frankreich galt ja im Frühjahr - und gilt nun erneut - eine strenge Ausgangssperre. Ein Schriftsteller aber, so Houellebecq, müsse die Möglichkeit haben, täglich stundenlang zügig durch die Gegend zu gehen, sonst könne sich die Spannung in ihm nicht lösen, der Autor werde verrückt. Kurz und gut:

Wir werden nach der Ausgangssperre nicht in einer neuen Welt erwachen; es wird dieselbe sein, nur ein bisschen schlechter. Leseprobe

In der Geschichte des Menschen geht es nur um den Verfall

Womit wir dann doch wieder beim Hauptgedanken Michel Houellebecqs wären: die Geschichte des westlichen Menschen ist vor allem eine Verfallsgeschichte. Wenn er sie erzählt als Romancier, dann überzeugt er. "Serotonin" zum Beispiel, sein jüngster, vor knapp zwei Jahren erschienener Roman, bleibt dem Leser dauerhaft in Erinnerung: Er lacht und weint erschüttert über das sinnlose Treiben des vereinsamten, lebensüberdrüssigen Mannes.

Wenn Houellebecq diese Geschichte hingegen pamphletisch darlegt, dann ist das zwar immer noch gut geschrieben (oder gesagt, denn viele der Texte dokumentieren Interviews der vergangenen Jahre), aber eben auch vorhersehbar, redundant und dann auch wieder seltsam inkonsequent. Da trägt zum Beispiel ein Text die Überschrift "Donald Trump ist ein guter Präsident", im New Yorker "Harper‘s Magazine" zufällig Anfang 2019 erschienen, als man wie nebenbei das amerikanische Publikum für den neuen Roman gewinnen konnte. Okay, denkt man, dann lass doch mal hören, Monsieur! Warum ist Donald Trump ein guter Präsident?

Provokante Thesen

Die Amerikaner lassen uns in Frieden. Die Amerikaner lassen uns unser Leben leben. Die Amerikaner versuchen nicht länger, den Planeten mit Demokratie zu überziehen. Kurz gesagt, Präsident Trump erscheint mir als einer der besten Präsidenten, die Amerika je hatte. In persönlicher Hinsicht ist er natürlich ziemlich widerwärtig. Ein echter christlicher Konservativer - also ein ehrenwerter und sittlicher Kerl - mit einem gleichwertigen Programm wäre für Amerika besser gewesen. Leseprobe

Was ist denn jetzt aber bitte das: ein Leitartikel, der Schlagworte für Argumente ausgeben will? Oder Satire ohne Witz? Nichts Tatsächliches ist das, hier nicht und eigentlich auch nicht im ganzen Buch: nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht einmal (falls es das gibt) schmackhaftes Gemüse, allenfalls, hin und wieder, ein paar ungesalzene Erdnüsse. Karamell und Peperoni gibt es erst wieder mit dem nächsten Roman.

Ein bisschen schlechter

von Michel Houllebecq, aus dem Französischen von Stephan Kleiner
Seitenzahl:
200 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Dumont
Bestellnummer:
978-3-8321-7079-0
Preis:
17,99 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 28.11.2020 | 12:40 Uhr

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