Buchhändlerin Katharina Hanschel wurde 2021 oft überrascht
Kaum zu glauben, dass ein Coronajahr auch etwas Gutes haben kann. Katharina Hanschel hat 2021 viel Positives erlebt, es gab aber auch Dinge, die sie schockiert haben. Ein Beitrag aus der NDR Kultur Reihe: "Was macht Ihnen Mut? Kopf hoch trotz Corona"
Katharina Hanschel verwaltet circa 20.000 Bücher, verteilt über zwei Etagen in ihrem Antiquariat in Stralsund. Es gibt insgesamt 25 Abteilungen. Neben Büchern gibt es auch Bilder, alte Stiche, Karten und einige Marionetten. Zwei Mal musste sie ihren Laden während der Corona-Pandemie schließen, doch die Zeit konnte sie nutzen.
Wie war dieses Jahr für Sie?
Katharina Hanschel: Kurz vor Ende des vergangenen Jahres hat mich ein Bekannter angerufen. Er hatte gerade erfahren, dass er nicht mehr lange leben würde und wollte mir seine Bibliothek schenken. Da habe ich gesagt: Nein auf keinen Fall, ich will das nicht. Weil ich sowieso schon viel zu viele Bücher habe. Aber dann sagte er, es ginge nicht anders, "mitnehmen kann ich sie nicht". Das hat er ganz unbeschwert gesagt. Schon jetzt ist dieser Satz ein Mantra von mir, wenn ich überlege: Trenne ich mich von irgendwas oder nicht? "Mitnehmen kann ich es nicht". Einige Wochen später kamen hier ungefähr zehntausend Bücher mit einem LKW in 200 Bücherkisten an. Während der Schließung konnte ich die dann erfassen und in meinem Lager einsortieren. Das hätte ich gar nicht schaffen können, wenn ich gleichzeitig Kundenverkehr gehabt hätte. Es sind wunderbare Bücher. Ein unfassbarer Schatz, der mir da geschenkt wurde. Ein Antiquariat zu betreiben, ist wie jeden Tag Weihnachten. Das war wunderbar, diese Kisten auszupacken. Ich konnte mich über jedes Buch freuen.
Was hat Ihnen Kraft gegeben?
Hanschel: Ich bin in einem Literaturkreis, in dem wir Anfang des Jahres begonnen haben, die Märchen aus "1001 Nacht" zu lesen. Und dazu habe ich in der Vorbereitung gelesen, dass es so eine Art Wettstreit in der Übersetzung gab. Das waren zum Teil wirklich Spitzbuben, die dieses arabische Meisterwerk so nacheinander und gegeneinander in europäische Sprachen übersetzt und zum Teil die Fehler des anderen geklaut haben. Da dachte ich, wieso können die das und ich nicht? Und dann habe ich mich auch mit Feuereifer hingesetzt und versucht, arabisch zu lernen. Ich dachte, hebräisch kenne ich ja als Theologin. Arabisch ist eine semitische Sprache, das kann nicht so viel schwerer sein. Ich habe mich mühsam an die Schriftzeichen gesetzt und dann hat mich die große Schenkung ausgebremst. Aber ich bleibe dran. Außerdem habe ich angefangen zu zeichnen und zu malen. Gott sei Dank bin ich in einem Buchladen beschäftigt oder beschäftige mich selbst. Und da fiel mir ein Buch in die Hand, das heißt "Mut zum Skizzenbuch". Der Autor macht einem wirklich auf jeder Seite Mut. Da heißt es immer: "Sie können das! Das Bild wird noch." Und jetzt übe ich seit einem Jahr oder ein bisschen länger und zeichne gerade Porträts. Inspiriert von dem neuen Buch von Florian Illies "Liebe in den Zeiten des Hasses" porträtiere ich jetzt die Protagonisten, die 1929 das kulturelle und geistige Leben in Deutschland bestimmt haben.
Wie geht es Ihnen rund um den Jahreswechsel?
Hanschel: Ich habe ein Jahr gehabt, für das ich sehr dankbar sein kann. Klar gibt es kleine Sorgen. Aber ich bin ja auch wirklich eine Ausnahme in dem Geschäft, ich muss keine Angestellten bezahlen, die Miete hier ist nicht hoch. Wenn ich mir andere Leute betrachte, dann muss ich ganz still sein. Auch Routine hilft mir. Ich bin einfach jeden Tag hier. Eigentlich ist mein Tag, seit ich vor mehr als zehn Jahren den Buchladen eröffnet habe, fast minütlich durchgetaktet, damit ich mich nicht täglich neu erfinden muss.
Was macht Ihnen Mut?
Hanschel: Die Kunden, die hier jeden Tag - wenn nicht gerade wegen Corona geschlossen ist - hereinkommen und manchmal absurde Wünsche haben, von Büchern über historische Waffenkunde oder anharmonische Oszillatoren. Das interessiert mich, da lese ich nach. Viele Bücher bestelle ich auch auf Wunsch und lasse mich dann inspirieren, mehr darüber zu erfahren. Die meisten Bücher verschicke ich ja selbst auch über Online-Bestellungen. Der Buchhandel mit gebrauchten und alten Büchern ist ein kleines Universum. Die Leute gehen hier auch auf Schatzsuche. Einmal sind zwei Jungs in den Laden gekommen, die hier im Sommer barfüßig am Strand die Welt eroberten. Die guckten sich um und sagten: "Jetzt weiß man nicht, was größer ist - die Welt da draußen oder die hier drinnen." Und wenn mir irgendwie eng ums Herz wird, dann denke ich an diesen Satz und sage mir: Jetzt guck dich um in deiner großen Welt! Da darf man sich nicht hängen lassen, wenn man Regent dieser Welt ist.
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