Stand: 15.11.2019 16:22 Uhr

Versöhnung: Die KZ-Gedenkstätte Ladelund

von Michael Hollenbach
Eingang der KZ-Gedenkstätte Ladelund © NDR Foto: Bettina Meier
Heute erinnert die KZ-Gedenkstätte Ladelund an die Gräueltaten des NS-Regimes.

Vor 75 Jahren, am 1. November 1944, ließ die SS im nordfriesischen Ladelund eine Außenstelle des KZ Neuengamme einrichten. Das Lager nahe der dänischen Grenze war eigentlich nur für 250 Menschen ausgelegt. Doch im November und Dezember 1944 hausten dort etwa 2.000 Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen. Sie gehörten zu den KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern, die zwischen Nord- und Ostsee den sogenannter Friesenwall bauen sollten. Mit Panzerabwehrgräben sollte ein möglicher Vormarsch der Alliierten aus dem Norden verhindert werden.

Rache für einen getöteten deutschen Offizier

Unter den Inhaftierten waren auch Männer aus dem niederländischen Putten, die im Oktober nach einem Racheakt der deutschen Wehrmacht deportiert wurden. Bei einem Anschlag niederländischer Partisanen auf einen Geländewagen der deutschen Wehrmacht war am 1. Oktober 1944 ein deutscher Offizier entführt und später getötet worden. Daraufhin trieben Soldaten der Wehrmacht auf Befehl von General Friedrich Christiansen, dem deutschen Wehrmachtsbefehlshaber in den Niederlanden, die Männer des Ortes zusammen. 660 von ihnen wurden zunächst ins benachbarte Amersfoort gebracht, 59 kamen frei. Die übrigen 601 wurden dann ins KZ Neuengamme verschleppt und zum Teil auf Außenlager wie das KZ Ladelund verteilt. Von den deportierten Männern aus Putten starben 520 in deutschen Konzentrationslagern. Nur 48 seien nach Putten zurückgekommen, sagt die Leiterin der KZ Gedenkstätte Ladelund, Katja Happe.

Das KZ Ladelund: Sechs Wochen Hölle

In dem völlig überfüllten Lager in Ladelund mussten sich jeweils 100 Häftlinge eine 40 Quadratmeter große Barackenstube teilen - ohne Matratzen, ohne Strohsäcke, ohne Heizung. Doch nicht nur die Unterbringung war katastrophal. Katja Happe erklärt, "die Ernährung war mehr als schlecht, weil der Lagerleiter Griem auch viele Lebensmittel für sich behalten hat". Viele der Häftlinge seien krank geworden und an Schwäche und Hunger gestorben. Sie wurden geschlagen und geprügelt. Innerhalb von den sechs Wochen, die das Lager in Ladelund bestand, starben 300 Häftlinge aus 12 verschiedenen Nationen; die meisten von ihnen kamen aus Putten: 110.

Schockierte Dorfbewohner

In der Ausstellung der KZ-Gedenkstätte Ladelund wird mit Figuren gezeigt, wie Gefangene einen Wagen mit Toten, die in Papiersäcken liegen, ziehen. Die Figuren hat Bauer Christoph Möller Jahrzehnte gemacht, der damals Lebensmittel an das Lager lieferte. © Ausstellung der KZ-Gedenkstätte Ladelund Foto: Bettina Meier
Bauer Christoph Möller hat mit kleinen Figuren festgehalten, was er im Lager erlebt hat - zu sehen in der Ausstellung der Gedenkstätte Ladelund.

Das Lager lag direkt am Rand des Dorfes. Der heutige Pastor Hans-Joachim Stuck berichtet: "Ich weiß von früheren Erzählungen älterer Menschen, dass sie sehr geschockt waren beim Anblick der Häftlinge. Wenn durch so ein Dorf 2.000 Häftlinge auf der Dorfstraße durchgetrieben und geprügelt werden und die Schreie, die am man hörte, das ist schon für die Menschen sehr schockierend gewesen."

Der Bauer Christoph Möller war einer dieser Dorfbewohner. 1969 schilderte er, wie er als Fahrer in das Lager kam, um Lebensmittel zu liefern. Diesen Bericht können Besucher heute in der Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Ladelund hören. Er berichtet, dass auf dem Platz des Konzentrationslagers täglich ein Kastenwagen mit Papiertüten gestanden habe. Auf Nachfrage erfuhr Möller, dass es sich dabei um die toten Inhaftierten handelte. In der Ausstellung der Gedenkstätte ist diese Szene aus dem Lager zu sehen, die Möller später mithilfe kleiner Figuren festgehalten hat.

Gräber für die 300 Toten

Die Gräber mit den Todesopfern aus dem KZ Ladelund. Auf den drei Tafeln sind alle Namen aufgelistet. © NDR Foto: Bettina Meier
In neun Gräbern wurden die 300 KZ-Todesopfer beerdigt. Ihre Namen stehen auf den Tafeln.

Auch der Ladelunder Pastor Johannes Meyer sah das Leben und Sterben der Häftlinge. Meyer war lange ein glühender Nationalsozialist, der schon vor 1933 in die NSDAP eingetreten war, erzählt Pastor Stuck. Was Johannes Meyer dann in Ladelund sah, erschütterte sein Weltbild. Silvester 1944 schrieb er in sein Tagebuch: "Was nun unser Dorf erlebte, war derart grauenhaft, dass das Erleben zu schildern einfach unmöglich ist. Wir hatten auch hier, vor allem durch den Londoner Sender, von KZs gehört, aber nie für möglich gehalten, dass die Zustände derart satanisch waren."

Pastor Meyer erhielt von dem Lagerkommandanten den Auftrag, die 300 Toten zu begraben. Dass später Versöhnung zwischen den Menschen von Putten und Ladelund möglich wurde, dafür hat Pastor Johannes Meyer die Grundlage gelegt. Der heutige Pfarrer Hans-Joachim Stuck erklärt, Meyer habe darauf geachtet, dass er alle Namen der Toten bekam und die Möglichkeit, ihnen im Ansatz ein christliches Begräbnis zu geben. Und er habe den Hinterbliebenen einen Brief geschrieben, ergänzt Jan van Hoorn, der Vorsitzende der Stiftung Oktober 44. "Er hat gesagt, wir schämen uns, was da passiert ist, aber wir sorgen jetzt gut für die Gräber." Dadurch seien erste Kontakte entstanden. 1950 haben die ersten Hinterbliebenen aus Putten Ladelund besucht.

Schuldbekenntnis der Pastoren

Der Nachfolger von Pastor Meyer im Pfarramt, Harald Richter, intensivierte die Versöhnungsarbeit. Anfang der 80er-Jahre beschrieb der Pfarrer in einem NDR Interview, wie sehr die KZ-Toten vom Herbst 1944 den Ort geprägt haben: "Die große Mehrheit ist so erschüttert gewesen, dass es hier zu einem Umbruch gekommen ist im Denken der Menschen. Hier war eine unwahrscheinliche Hilfslosigkeit, aber auch ein Zorn zum Teil."

Und eine große Bereitschaft, Scham und Schuld öffentlich einzugestehen sowie auf die Menschen in Putten zuzugehen, sagt Michel Kooij, Vorsitzender der niederländischen Stiftung "Samen Verder Putten": "Pastor Meyer und auch später der Pastor Richter haben öffentlich Schuld bekannt. Das ist ein unterschätzter Aspekt gewesen. [...] Wenn man das so sieht, dann realisiert man, dass wir nicht immer im Hass leben können."

Gemeinsames Gedenken: Putten und Ladelund

Gedenkfeier in Putten am 2. Oktober 2019. Die Skulptur "Die Frau von Putten" erinnert seit 1949 an die Deportation der Männer des Ortes durch die deutsche Wehrmacht. © NDR Foto: Michael Hollenbach
In Putten fand am 2. Oktober 2019 eine Gedenkfeier für die im Jahr 1944 deportierten Männer statt.

Schon Anfang der 50er-Jahre begann in Ladelund die Aufarbeitung der Lagergeschichte. Ladelund ist eine der ältesten KZ-Gedenkstätten Deutschlands und die einzige in kirchlicher Trägerschaft. Doch erst 1989 wurde ein Dokumentenhaus mit einer ersten Dauerausstellung errichtet - neben der Kirche und nur 50 Meter vom Gräberfeld entfernt, dem Kern der Gedenkstätte. 2006 wurde das Haus erweitert.

Außerhalb der Gedenkstätte erinnert nur noch wenig an das ehemalige Todeslager: ein Gedenkstein und Informationstafeln am ehemaligen Standort des Lagers, ein Mahnmal an der Stelle, an der die Häftlinge an einem Panzerabwehrgraben arbeiten mussten. Die letzte Baracke wurde 1970 abgerissen. Im niederländischen Putten erinnert seit 1949 die Skulptur "Die Frau von Putten" an die Deportation der Männer des Ortes durch die deutsche Wehrmacht.

Jedes Jahr gedenken am Volkstrauertag in dem nordfriesischen Ort Menschen aus Putten und Ladelund gemeinsam der Toten des Zweiten Weltkriegs. Eine einmalige Gedenkfeier, meint der Hamburger Historiker Stephan Linck, zuständig für Erinnerungskultur und Gedenkstätten in der evangelischen Nordkirche: "Ich kenne keine vergleichbare Veranstaltung wie den Volkstrauertag in Ladelund."

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Forum am Sonntag | 17.11.2019 | 06:05 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

NS-Zeit

Mehr Geschichte

Das Passagierschiff "Cap Arcona" © Carl Müller & Sohn, Hamburg-Altona / Stadtarchiv Neustadt

#everynamecounts: Infos zu "Cap Arcona"-Überlebenden digitalisieren

Freiwillige sind aufgerufen, Infos einer historischen Kartei zu digitalisieren. Beim Untergang der "Cap Arcona" und der "Thielbek" starben 1945 rund 7.000 Menschen. mehr

Norddeutsche Geschichte