Stand: 11.09.2011 13:37 Uhr

"Es gab keine Pestkranken im Pesthofkeller"

Gewölbe im Pesthofkeller in St. Pauli. © NDR Foto: Daniel Sprenger
Praktisch genutzt wird der Pesthofkeller nur noch zu seltenen Konzerten. Diese dürfen aber nicht öffentlich angekündigt werden - der Raum ist nicht für Veranstaltungen freigegeben.

Durch den Strand geht es nach unten. Mitten in den Palmen öffnet sich die schlichte Metalltür. Sie ist in die mit einem Südseepanorama bedruckte Fototapete eingelassen. Am äußersten Ende der mit alten kuscheligen Sofas vollgestellten Zoe-Bar im Hamburger Stadtteil St. Pauli führt die steile Treppe aber nicht einfach nur in den Keller, sondern in den "Pesthofkeller".

Die schiefen, abgetretenen Stufen enden in einem Vorraum, von wo aus der große Backstein-Gewölbekeller betreten wird. Hier riecht es muffig, an einigen Stellen ist der Betonboden nass. Nur am Tag des offenen Denkmals ist der Raum hier öffentlich zugänglich - Sicherheitsvorschriften und baupolizeiliche Auflagen verhindern, dass der Zoe-Betreiber hier eine Bar oder Tanzfläche einrichtet. Schließlich gibt es nur den einen Zugang und keine Rettungswege.

"Pesthofkeller" hat nichts mit Pestkranken zu tun

Der Name "Pesthofkeller" lässt an ein notdürftig ausgestattetes Lazarett, dahinsiechende Menschen und Leichentransporte denken. Doch nichts davon ist mit der Örtlichkeit in der Clemens-Schultz-Straße verbunden: "Sie müssen sich von dem Gedanken verabschieden, dass hier Pestkranke gestorben sind", sagt Ronald Rossig. Der Vorsitzende des Vereins "unter hamburg" klärt die Besucher über die wahre Geschichte des Ortes auf - und die beginnt viel später als das Mittelalter, währenddessen der schwarze Tod auch in Hamburg viele Opfer fordert.

Eiskeller für die Schlachterei Koopmann

Ronald Rossig erläutert Besuchern die Geschichte des Pesthofkellers in St. Pauli. © NDR Foto: Daniel Sprenger
Ronald Rossig räumt mit einigen Irrtümern zur Geschichte des Kellers auf: Nicht Pestkranke, sondern Schweinehälften waren hier untergebracht.

Erst in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts wurde das Gewölbe unter dem Hof des dreieckigen Eckgrundstücks angelegt - als Eiskeller und Lagerraum der Fleischerei Koopmann. Kreuzförmige Säulen und zwischen Pfeilern errichtete Bögen tragen die Decke, in die mehrere Oberlichter eingelassen sind, die allerdings verschlossen sind. "Diese wurden aber erst später hinzugefügt", erklärt Rossig. Während der Nutzung als Eiskeller habe man darauf geachtet, möglichst wenig kalte Luft entweichen zu lassen. Einzig durch eine Luke sei die aufsteigende Wärme, die von den im Keller arbeitenden Schlachtern erzeugt wurde, in den Innenhof abgeführt worden. Die schwerere kalte Luft blieb drinnen.

Es gibt nur wenige historische Eiskeller in Hamburg - und dass dieser zum Pesthofkeller wurde, liegt an seiner Lage am südöstlichen Rand des früheren Pesthofes. Dieser wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts zwischen den Städten Hamburg und Altona als Heilstätte errichtet. "Das war allerdings kein Krankenhaus, wie wir es heute kennen, sondern eher wie ein großer Bauernhof, mit einem Wassergraben umgeben", weiß Rossig. Während der napoleonischen Besatzung wurde die Anlage niedergebrannt. Das einzige, was blieb, war der Name, der zumindest beim Keller die falschen Assoziationen weckt.

Folterkeller der NSDAP?

Weil der Raum heute komplett leer ist, fallen die teilweise rußgeschwärzten Wände auf. Sie erhielten ihre Farbe durch den Betrieb von im Jahre 1921 installierten Räucheröfen, nachdem die Nutzung als Eiskeller aufgegeben wurde. In den 30er-Jahren wurde das Haus darüber zum NSDAP-Parteibüro St. Pauli. Möglicherweise wurde der Keller zur Inhaftierung und Folterung von Nazigegnern genutzt. Beweise hierfür gebe es jedoch nicht, sagt Rossig: "Die Nazis waren da mal schlecht im Dokumentieren ihrer eigenen Verbrechen."

Kalk wäscht aus - Stalaktiten wachsen von der Decke

Stalaktiten im Pesthofkeller in St. Pauli. © NDR Foto: Daniel Sprenger
Gut dreißig Zentimeter lang sind die Stalaktiten. Dafür musste über rund 15 Jahre lang der Kalk ausgewaschen werden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Keller nur noch sporadisch genutzt. Die Zeit und die hohe Luftfeuchtigkeit - Rossig spricht von bis zu 95 Prozent - lassen den Putz krümeln und Stalaktiten aus der Decke wachsen. Ähnlich wie in Tropfsteinhöhlen werden sie aus ausgewaschenem Kalk gebildet. "Diese hier brauchten 10 bis 15 Jahre zum Wachsen", erläutert Rossig vor den erstaunten Besuchern, die eifrig ihre Kameras zücken und die wenige Millimeter dicken, schnurgerade nach unten wachsenden Stalaktiten ablichten.

Die Feuchtigkeit ist auch der Grund, aus dem hier nichts gelagert werden kann. "Ein Antiquitätenhändler hatte hier mal Möbel untergestellt", erinnert sich Rossig. "Die waren schneller kompostiert, als dass sie verkauft werden konnten."

Karte: Der Pesthofkeller in St. Pauli

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 20.10.2009 | 19:30 Uhr

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